Privatim politisch

Im Schwerefeld des NS Eine Ausstellung widmet sich den Reichskanzlern der Weimarer Republik

Vom Ende her betrachtet, waren sie allesamt glücklos: Egal, ob sie die Republik ausriefen, den Kapp-Putsch überstanden, sich um den Ausgleich mit den Alliierten bemühten, das sogenannte "Wunder der Rentenmark" vollbrachten und der Republik damit zumindest eine Atempause verschafften; ob sie soziale Reformen in die Wege leiteten oder Deutschland außenpolitisch wieder aufs Parkett verhalfen - gemessen werden die Weimarer Republik und ihre politischen Akteure noch immer an dem, was auf sie folgte. Das Gravitationsfeld des Nationalsozialismus ist so gewaltig, dass die ihm vorangegangenen vierzehn Jahre immer nur als Vorspiel auf dem politischen Welttheater erscheinen, mit einer langen Folge von mehr oder weniger erfolglos agierenden Mimen. Die beiden letzten von ihnen, Franz von Papen und Kurt von Schleicher, spielten am Ende nur noch Schmierentheater.

Zwanzig Kabinette mit zwölf Kanzlern hat die Weimarer Republik hervorgebracht. Sie standen unterschiedlichsten Koalitionsformationen vor, die, wenn sie eine Jahresfrist überstanden, schon zu den stabileren zählten. Von den Personen selbst ist heute kaum mehr etwas bekannt. Soweit sie überhaupt in politische Zitierhöhe aufsteigen, tun sie es höchstens in abschreckender Weise, wie jüngst Heinrich Brüning herhalten musste, des Kanzlers Arbeitsmarktpolitik zu geißeln - und die meisten mussten da schon im Lexikon nachschlagen. Nur einem einzigen, dem Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann, ist es gelungen, der Zeit seinen Namen aufzuprägen - allerdings als Außenpolitiker.

Den Kanzlern der Weimarer Republik widmet der Deutsche Bundestag derzeit eine Ausstellung. Was an der weitgehend auf fotografische Bestände beschränkten Schau überrascht, ist weniger die Tatsache, dass es sich hierbei natürlich um eine exklusive Männergesellschaft handelt - daran würde eine Fortsetzungsfolge aus der Nachkriegszeit schließlich auch nichts ändern. Erstaunlich ist vielmehr der Mangel an medienwirksamer Schaustellung und Gestik. Die Männer, die uns hier gegenübertreten, wirken überraschend privat, selbst dann, wenn sie politisch agieren: Constantin Fehrenbach beispielsweise vor dem Haus in Spa, wo die Reparationsverhandlungen zum Versailler Frieden stattfanden, oder Joseph Wirth im vertraulichen Gespräch mit Reichspräsident Friedrich Ebert. Gar nicht zu reden von den vielen Privatfotos, die etwa den parteilosen Hans Luther bei einem Ausflug mit seinen Töchtern zeigen oder den ebenfalls parteilosen Wilhelm Cuno auf einem Hapag-Dampfer auf der Fahrt nach Amerika. Dass zwei der zwölf Kanzler gar keiner Partei angehörten, ist selbst schon wieder Beleg für das hochexplosive Minenfeld der Weimarer Republik: Hier waren vor allem auch politische Moderatoren gefragt, wie der am längsten amtierende, heute fast vergessene Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum).

Ganz und gar nicht mehr privat, sondern staatsmännisch-militärisch dagegen posiert Franz von Papen bei seinem Ritt durch den Berliner Tiergarten. In gewisser Hinsicht dokumentiert die Ausstellung in der Abfolge der Weimarer Jahre auch eine innergesellschaftliche Entwicklung: Werden die "kleinen Leute" etwa von einem Mann wie Gustav Bauer (SPD), von Haus aus Bürogehilfe und aktiver Gewerkschafter, der sich in seinem bescheidenen Glienicker Haus ablichten lässt, repräsentiert, und kann sich das katholisch-ländliche Milieu eher in dem aus dem Baarkreis stammenden Fehrenbach wiederfinden, so zeichnet sich gegen Ende der Republik doch immer stärker der Wiederaufstieg der Großbürger, Junker und Militärs ab.

Eine anekdotische Fußnote in der Sammlung der Weimarer Kanzler ist sicher Joseph Wirth, der auch nach dem Krieg sein etwas unstetes politisches Engagement nicht aufgab. Ursprünglich Zentrumspolitiker, emigrierte er 1933 und gründete nach 1945 zunächst den linksorientierten, auf strikte Neutralität bestehenden Bund der Deutschen, später die Gesamtdeutsche Volkspartei. Die Ausstellung zeigt Wirth 1952 in der DDR beim Händedruck mit Wilhelm Pieck und dem Vorsitzenden der (Ost-)CDU, Otto Nuschke. Die Ereignisse "vom Ende her" zu betrachten, brachte ihn in scharfe Opposition zur westdeutschen CDU und ihre Wiederbewaffnungspläne und 1955 den Stalinpreis ein. Den hätte er "vom Ende her" gesehen später vielleicht auch abgelehnt.

Die Ausstellung ist im Paul-Löbe-Haus in Berlin-Mitte zu besichtigen

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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