Werden auch arme Länder den Anti-Corona-Impfstoff bekommen? Unnötig, erwidert der beleibte Herr, der den Impfstoff fest unterm Arm geklemmt hält, und deutet auf einen abgemagerten Schwarzen: Sollte er Corona überleben, verhungert er. Die Karikatur ist, zugegeben, plakativ und zynisch, aber das, was sich derzeit auf dem internationalen Markt für Impfstoffe abspielt, ist nicht so weit davon entfernt. Seitdem im Wochentakt nun ein Hersteller nach dem anderen sein Serum annonciert und deren Vorstände gebannt auf die rasant steigenden Börsenkurse blicken, ist es mit dem im Frühjahr verlautbarten Altruismus der Industrieländer nicht mehr weit her. Er erschlafft in dem Maße, wie die nationalen Bevölkerungen keine Lust mehr haben auf die ihnen auferlegten Einschränkungen und die Regierungen ihnen ein Licht am Ende des Tunnels aufstecken müssen. Der Impfstoff ist zum Erlösungssymbol der Corona-Krise geworden und die, die ihn haben oder bezahlen können, sind immer weniger bereit, ihn zu teilen.
Als die WHO im Mai im Rahmen der Impfallianz Covax die Plattform ACT ins Leben rief, die für die Forschung und Entwicklung, Produktion und Verteilung von Impfstoffen sorgen sollte, überschlugen sich die Staatschefs mit Versicherungen ihrer Solidarität. Die mittels der bereitgestellten Milliardenbeträge entwickelten Produkte, so der ausdrückliche Auftrag, sollten auch den armen Ländern zugutekommen. Der künftige Impfstoff müsse ein „globales öffentliches Gut“ werden, bekundete Angela Merkel, für „alle Teile der Welt“ zugänglich.
Davon ist ein halbes Jahr später wenig übriggeblieben. Die USA folgten ihrem Motto „America first“ und sicherten sich einen Teil des noch gar nicht marktreifen Produkts von Sanofi, hart kritisiert von den Konkurrenten. Bald aber warf auch die EU ihre Netze aus, in Richtung AstraZeneca, und vereinbarte ein Vorkaufsrecht. Als dann Biontech und Moderna die ersten aussichtsreichen Impfstoffe ankündigten, gab es kein Halten mehr: Die reichen Länder sind dabei, sich große Mengen zu sichern. Nationen, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, haben sich schon die Hälfte der Produktion unter den Nagel gerissen. Das Nachsehen haben die Länder des globalen Südens, aber auch Nicht-EU-Staaten auf dem Westbalkan.
Biontech/Pfizer, um nur ein Beispiel zu nennen, hat von den 1,3 Milliarden Impfdosen, die 2021 produziert werden können, mittlerweile mehr als 570 Millionen an die EU und die USA verkauft, 1,2 Milliarden sind fest zugesagt. Schon im September hatten die USA, die EU, Australien, Großbritannien und die Schweiz Verträge über 5,3 Milliarden Impfdosen abgeschlossen, weitere 2,6 Milliarden gehen an Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder China. Für alle übrigen bleibt die Restpfütze. Die von Covax Afrika zugesicherten 220 Millionen Impfdosen, die meist doppelt verabreicht werden müssen, sind für die 1,3 Milliarden Menschen umfassende Bevölkerung ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Ungerechtigkeit schreit zum Himmel, umso mehr als gerade Länder wie Brasilien, Bolivien oder Peru zu Testlaboren für Impfstoffe ausgebaut wurden und dort Menschen als Versuchskaninchen herhalten müssen.
Gleichzeitig agieren die milliardenschwer geförderten Unternehmen weiter nach dem Prinzip „Risiken vergesellschaften, Gewinne privatisieren“. Während Covax, dem die USA und Russland bis heute nicht beigetreten sind, unterfinanziert bleibt, winken den Pharmafirmen satte Renditen. 2019, rechnet die Nichtregierungsorganisation Oxfam vor, erzielten die zehn größten einschlägigen Konzerne 89 Milliarden US-Dollar Gewinn; nicht einmal ein Drittel davon würde ausreichen, um die ärmsten Länder mit Impfstoffen zu versorgen.
Das Missverhältnis ist so offensichtlich, dass zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Deutschland und die EU aufgefordert hat, die verfügbaren Impfstoffe mit den ärmeren Ländern zu teilen. Unterstützt wird er offensiv nur von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der Covax weitere 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt, bei Außenminister Heiko Maas (SPD) bleibt es bei folgenlosen Wohlfühlsätzen, während Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nur die eigene Bevölkerung im Blick hat, wenn er über die EU-Kontingente hinaus mittels bilateraler Verträge den Markt abschöpft. Der Impfnationalismus wiederholt, was wir im Frühjahr in Bezug auf Masken, Schutzkleidung oder Beatmungsgeräte erlebt haben. Es ist beschämend.
Dass die Verträge darüber hinaus intransparent sind, ist das eine, die Qualität der Produkte das andere. Der blamable Auftritt von AstraZeneca jüngst, als Studien unzulässig vermischt wurden, um eine höhere Wirksamkeit zu behaupten, spricht Bände. Gleichzeitig weigern sich fast alle Industriestaaten, Patente auszusetzen, bis eine globale Immunität erreicht ist. Dieser Vorschlag Südafrikas und Indiens wurde abgelehnt, weil er angeblich Innovationen hemme, gemeint waren wohl Renditen.
Doch selbst wenn auf Patente verzichtet oder lediglich das Knowhow in einen Wissenspool eingespeist würde, wären die Länder des Südens im Nachteil, weil es ihnen an technischer und medizinischer Infrastruktur fehlt. Nicht zuletzt, weil sie durch Kreditgeber wie den IWF gezwungen wurden, ihre Gesundheitssysteme zu schrumpfen. Wie überall offenbart auch hier die Pandemie die strukturellen Ungleichheiten wie in einem Brennglas. Die Gesundheitskrise ist eine Krise des gesamten Systems.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.