Putzfrauen der Nation?

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Nichts hält mehr zusammen, was Männer gebaut haben und wofür sie stehen. Erst marschierten sie im Irak ein und hinterließen ein politisches Chaos. Dann sank das World Trade Center vor den Augen der Welt in sich zusammen. Bohrinseln havarieren im Meer und lösen eine Ökokatastrophe aus. In Deutschland gehen in fliegendem Wechsel die Repräsentanten von Bord, zuletzt ihr oberster. Und nun, hören wir, dass gegen den Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, Zollitsch, ermittelt wird wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch. Wo leben wir eigentlich, wenn die höchsten Stellvertreter des Souveräns oder Gottes die Segel streichen, fahnenflüchtig werden oder in den Knast gehen? Herrgott, fragt eine, die einmal Blumenteppiche zu Fronleichnam gestreut hat, wo leben wir eigentlich?

Es hat nicht nur mit den Männern zu tun. Ich weiß. Aber ist ein Zufall, dass die Jungs sich alle mitten in einer gigantischen Krise verabschieden? Dass sie kalte Füße kriegen, weil der Euro dahinschwindet (Köhler), die Aussicht auf Macht (Koch), dass sie auf Tauchstation gehen und vom Staatsanwalt wieder an die Oberfläche gehievt werden müssen (BP und die Katholische Kirche)?

Und jetzt also die mannigfaltigen Phantasien darüber, dass es Frauen richten werden. Dass sie den Karren aus dem Dreck ziehen, dass sie säubern und aufräumen werden. Das haben sie ja schon immer getan, nach den Kriegen, in Krisenzeiten, überhaupt. Sie gelten als die Heilsbringerinnen in großer Not. Und jetzt: Merkel, Käßmann oder von der Leyen? Neue Leitsterne? Und wie ist es mit der Bischofskonferenz? Wird der demnächst auch eine Frau vorstehen?

„Weiblichkeit als Putz- und Entseuchungsmittel“, hat die einmal deutungsmächtige Feministin Christina Thürmer-Rohr das vor fast 25 Jahren genannt. Sie meinte damit zwar die weiblichen Eigenschaften, an denen Männer damals genesen wollten. Und kritisierte, dass da wieder mal etwas überhöht wird, was eigentlich gar nicht so geschätzt ist: Das Beziehungsmäßige und die Werte, die in der Wettbewerbsgesellschaft eigentlich gar nicht gefragt sind. Die zusammen bringen, was zusammengehört – oder gerade auch nicht zusammengehört.

An deutschem Wesen kann die Welt nicht genesen: Das war allerspätestens 1945 klar. Und an weiblichem Wesen? Gewiss auch nicht. Aber die Hoffnung ist unendlich, wenn das Feminine als Säuberungsmittel lockt. Es ginge, sagte Thürmer-Rohr damals, um die Entseuchung einer Weiblichkeit, die eben nicht befriedet und wiederherstellt, was Männer verbockt haben. Oder Gierschlünde. Oder „der Markt“. Oder eben alle diejenigen, die Strukturen zuarbeiten und dienen, die Unterdrückung, Armut, Ungerechtigkeit heraufbeschwören.

Wir sind keine „Putzfrauen der Männerzivilisation“ (TR). Naja, Zivilisation... Aber ich wundere mich, warum das nicht schon massenhaft durch die Republik getwittert wird.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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