Blut, das beim Arzt abgenommen wird, Gewebe für eine Biopsie oder auch das reine Erbgut eines Menschen, die DNA, sind wertvolle Güter. Nicht nur weil sie Auskunft über die Krankheit des Einzelnen geben, sondern auch, millionenfach gesammelt, grundsätzliche Erkenntnisse über die Entstehung von Krankheiten liefern könnten. Die Stoffe und die dazu gehörigen Informationen werden in so genannten Biobanken gelagert. 67 Prozent aller Deutschen, so ergab es eine europäische Erhebung, haben keine Ahnung, was das ist; werden sie jedoch vom Arzt oder im Krankenhaus gefragt, ob sie bereit sind, Proben für die Forschung zur Verfügung zu stellen, sind sie durchaus dazu bereit. Sie geben ihre informierte Einwilligung (informed consent), können aber nicht mehr kontrollieren, was danach mit den Präparaten und gewonnenen Daten passiert.
Soweit es sich um orphan diseases handelt, um „Krankheitswaisen“, ergibt das Sammeln dabei sogar einen Sinn: Diese Leiden sind für die Pharmaindustrie unattraktiv zu beforschen, was wiederum dazu führt, dass keine entsprechenden Medikamente entwickelt werden. Patienten mit seltenen genetisch bedingten Krankheiten, etwa Muskeldystrophien oder Stoffwechselerkrankungen, richten ihre Hoffnung deshalb auf Forschungsverbünde. Sie spenden Biomaterial, in der Hoffnung, dass die Wissenschaftler neue Therapien finden und die Leiden künftiger Patienten mindern.
Die Begehrlichkeiten an Körperstoffen reichen jedoch weiter. Das Krebsforschungszentrum Heidelberg sammelt zum Beispiel Gewebeproben von Tumorpatienten, an der europäischen Biobank in Ulm lagert DNA von Diabetes-Patienten und die größte medizinische Biodatenbank in Europa befindet sich in Graz. In dem Maße, wie die Entschlüsselung des menschlichen Genoms voranschreitet und die sich sprunghaft entwickelnde Chiptechnik es erlaubt, immer größere Datenbestände in immer kürzerer Zeit zu bearbeiten, weitet sich das Forschungsfeld auf die Volkskrankheiten aus. Inzwischen werden sogar Biobanken für ganze Bevölkerungspopulationen angelegt. Das berühmteste (und umstrittenste, weil kommerziell unter anderem von Hoffmann LaRoche genutzte) Projekt DeCODE startete vor über zehn Jahren in Island, und die britische UK Biobank umfasst Proben von 500.000 Personen. Aber auch in Deutschland beginnen Forscher in kleinerem und größerem Umfang Material und Daten in der Bevölkerung zu sammeln: In der schleswig-holsteinischen Biobank PopGen liegen 100.000 Proben, die der Forschung weltweit zur Verfügung stehen, und neuerdings wird die so genannte Helmholtz-Kohorte aufgebaut, eine bundesweite Bevölkerungsstudie, die darauf abzielt, die Entstehung von chronischen Volkskrankheiten zu erforschen.
Auch der Lebensstil muss mit
Im Unterschied zu monogenetischen Leiden haben Krebs, Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz auch umwelt- und verhaltensbezogene Ursachen. Um überhaupt verlässliche Aussagen machen zu können, benötigt man nicht nur das biologische Material, über die klinischen Befunde hinaus (Blutwerte, Genetik, Anamnese) werden auch Daten über den Lebensstil der Probanden erhoben. In Biobanken lagern also Informationen, die immer individueller werden und, verknüpft und mit Referenzproben verglichen, auf eine bestimmte Person verweisen.
Mit dieser Problematik haben sich in den vergangenen Jahren bereits verschiedene Bioethik-Kommissionen befasst, zuletzt der Deutsche Ethikrat. Nicht nur die quantitative Ausweitung, sagte die Ethikrätin Regine Kollek auf einem Expertengespräch vergangene Woche, sondern auch die Reichweite der Informationen rückten Biobanken ins Visier von Datenschützern. Denn biologische Proben und Daten werden meist nicht auf einen konkreten Zweck hin gesammelt und nach einer gewissen Zeit vernichtet. Unkontrollierbar für die Spender flottieren sie in den nationalen und internationalen Forschungsnetzen und werden unter Umständen auch kommerziell genutzt. Biobanken, sagt Kollek, stünden an der sensiblen Schnittstelle zwischen forschungsorientierten Zugriffs- und Persönlichkeitsrechten und bedürften klarer juristischer Regelungen.
Einigkeit besteht unter Forschern, dass Patienten oder Probanden, die Material spenden, darüber informiert und damit einverstanden sein müssen. Die einst übliche Praxis, im Klinikalltag anfallende Proben ohne Wissen der Patienten zu lagern und zu beforschen, ist unvereinbar mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht. Doch worin willigen Patienten ein, wenn sie das Material freigeben? Solange ein Vorhaben eine enge Zweckbindung hat wie bei den orphan diseases, ist das überschaubar. Wie aber steht es um Proben für Kohorten, deren Zweck nur grob umrissen ist? Was passiert mit dem Material, wenn ein Forschungsprojekt abgeschlossen ist? Wie garantieren Forscher, dass die Daten – selbst wenn sie vorbildlich anonymisiert sind, was bei kleinen Sammlungen nicht selbstverständlich ist – nicht re-identifiziert werden, und Strafverfolgungsbehörden oder Versicherungen darauf zugreifen?
Das Biobankengeheimnis, das der Ethikrat seiner Empfehlung voranstellt, war im Expertengespräch der wichtigste, aber auch umstrittenste Punkt. In Biobanken gespeicherte Proben und Daten müssen vor unbefugten Dritten geschützt und alle Beteiligten zum Schweigen verpflichtet oder durch ein Zeugnisverweigerungsrecht der Auskunftspflicht enthoben werden. Soweit auf nationale Gegebenheiten bezogen, gehen Forscher dabei mit; Einwände erheben sie angesichts der Zumutung, auch über Ländergrenzen hinweg für die Datensicherheit verantwortlich zu sein. Dies behindere die internationale Zusammenarbeit, denn nirgendwo sonst auf der Welt existiere ein Biobankengeheimnis, meint etwa Erich Wichmann, verantwortlich für die Helmholtz-Kohorte. Er vertritt die gegen die Rats-Stellungnahme gerichtete Erklärung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die ein gesetzlich geregeltes Forschungs-Biobankengeheimnis für überflüssig hält und kleinere Biobanken generell aus verschärften Qualitätsanforderungen des Biobankings ausgenommen sehen will. Ähnlich äußerte sich der Vertreter von PopGen, Michael Krawczak, der keinen Missbrauch erkennen kann und für niedrigschwellige Regelungen plädierte. Die Betreiber der Biobanken hätten selbst Interesse an hohen Standards, um das Vertrauen der Spender nicht zu gefährden.
Gerade die Betreiber von großen bevölkerungsbezogenen Sammlungen wie der Helmholtz-Kohorte und PopGen forcieren die Professionalisierung und Zentralisierung von Biobanken. Der Wert der Proben und Informationen hängt von ihrer Aufbereitung ab, doch 50 Prozent aller Gewebeanalysen, sagt Peter Schirmacher von der onkologischen Gewebebank in Heidelberg, seien „unzureichend charakterisiert und unbrauchbar. Das „wertvolle Gut“ soll gegen Dilettanten geschützt werden – um es weitgehend, auch kommerziell, verwerten zu können.
Skepsis gegenüber Datenpools
Auf die Skepsis der Deutschen gegenüber Datensammlungen jedweder Art machte der Ethiker Peter Dabrock aufmerksam. Zwar genieße die Wissenschaft in der Bevölkerung hohes Ansehen, im europäischen Vergleich sei die Bereitschaft, Körpersubstanzen zu spenden, jedoch gering und die Angst vor Datenmissbrauch ausgeprägt. Im Falle von Biodatenbanken griffen klassische Datenschutzprinzipien wie Einwilligung, Zweckbindung und Datensparsamkeit nicht mehr und müssten anderweitig kompensiert werden. Ob sich der Gesetzgeber überhaupt an eine gesetzliche Regelung wagt, nachdem die große Koalition der Forderung der Wissenschaftsverbände nachgekommen war und Forschungsbiobanken im Gendiagnostikgesetz ausgeklammert hatte, ist ungewiss, zumal die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern umstritten ist. Die grüne Bundestagsfraktion hat Eckpunkte formuliert. Sie will nicht einwilligungsfähige Patienten aus dem Spenderkreis herausnehmen. Die Union hält sich bedeckt, während die SPD, wie ihr forschungspolitischer Sprecher René Röspel erklärte, „eine Situation verhindern will, „in der die Forschung ihren Kredit schon verspielt“.
Völlig ungewiss bleibt derweil, ob bevölkerungsbezogene und mit Forschungsgeldern finanzierte Biodatensammlungen die Ursachenforschung von Volkskrankheiten überhaupt weiterbringen. Erfolgsversprechender ist die Forschung im Bereich der personalisierten Medizin, der individuell „maßgeschneiderten“ Therapien. Das Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg (NCT) rechnet damit, in ein oder zwei Jahren die Genome von 500 Patienten jährlich sequenzieren und gezielte Therapieangebote machen zu können. Und an diesem Markt ist sowohl die Medizin- als auch die Pharmaindustrie interessiert.
Blut, Zellen, Vertrauen: Ein Bankenrecht für Biodarlehen
Biobanken sind Kreditinstitute der besonderen Art, obwohl man sie einfacher als Lager für bestimmte biologische Materialien beschreibt. Das können pflanzliche Proben sein, wie in der Saatgutbank Seed Vault. Für die biomedizinische Forschung sind aber vor allem Gewebe- oder Zellproben interessant, die genetische Informationen enthalten und mit persönlichen Daten wie Rauchen, Ernährung, Krankheitsverlauf kombiniert neue Erkenntnisse liefern können.
Um diese Daten zu schützen, hat der Deutsche Ethikrat im Juni 2010 ein Fünf-SäulenKonzept vorgeschlagen. Es umfasst qualitätsgesicherte Verfahren und völlige Transparenz in Bezug auf Ziele und Beschaffenheit der Banken. Neben dem Biobankgeheimnis, das jede Verwendung von Daten außer für die Forschung ausschließt, bleibt den Spendern das Bestimmungsrecht für die Nutzung von Proben und Daten gewährt. Alle Fälle, die außerhalb der gewährten Nutzung liegen, sind einer Ethikkommission vorzulegen.
Zu den besonderen Problemen der Nutzung von Biobanken gehört, dass sie relevante Informationen für die Spender generieren können, die diese so nicht erwartet oder erwünscht haben Aussagen über schwere Erbleiden etwa, oder Krankheitsrisiken. Es ist umstritten, ob hier das Recht auf Nichtwissen gelten oder dieses Wissen an die Spender weitergegeben werden soll. zint
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