Ein Honorarstreit zwischen Chirurgen und der Deutschen Stiftung Organtransplantation führte in der vergangenen Woche dazu, dass eine eigentlich als Spende vorgesehene Lunge nicht verpflanzt werden konnte. Seither erregen sich die Medien über die "Verschwendung" eines wertvollen Organs, und die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Straftatbestand vorliegt. Einmal davon abgesehen, dass in der Diskussion alle medizinischen und ethischen Probleme des Transplantationsalltags unterbelichtet bleiben, wirft der Fall doch auch interessante Aspekte auf: Darf eine ärztliche Leistung an einer "Leiche" (also einem "hirntoten" Patienten) geringer vergütet werden als an einem Patienten? Bricht Vertragsrecht den ärztlichen Handlungsauftrag? Liegt eine Körperverletzung vor, obwohl das Organ von einem Toten stammt? Oder wurde die Empfängerin geschädigt, weil ihr das Organ nicht eingepflanzt werden konnte? Hat sie überhaupt Anspruch auf ein Organ? Und, allgemeiner, wird künftig jeder und jede das medizinisch Mögliche auch beanspruchen können? Ist es überhaupt gerecht, die Solidargemeinschaft für sehr teure Operationen bezahlen zu lassen, während auf der anderen Seite allerorten Leistungen eingeschränkt werden? Und wer soll darüber entscheiden, wem was zusteht?
Wem dienen die Räte?
Um Leben und Tod geht es im politischen Alltagsgeschäft, das Abgeordneten Entscheidungen abverlangt, in der Regel nicht. Doch die moderne Medizin hat hier einiges durcheinander gewirbelt. Wann das Leben beginnt ist ebenso zur Verhandlungssache geworden wie die Entscheidung darüber, wann und wie es enden soll, ob man darüber verfügen darf, und wen man dabei zum Komplizen macht. Es gibt einen Markt, auf dem Körperrohstoffe patentiert, verteilt oder gehandelt werden und es existieren diagnostische Verfahren, die zum Nutzen oder Nachteil des Einzelnen eingesetzt werden können. Darüber muss gesellschaftlich diskutiert werden, und weil dies nicht einfach ist, holt sich die Politik den Rat von Sachverständigen ein.
Dem Parlament stand in den letzten beiden Legislaturperioden eine Enquete-Kommission zum Thema "Recht und Ethik der modernen Medizin" zur Seite, jeweils von 13 Mitgliedern der Fraktionen und 13 von ihnen benannten Experten und Expertinnen besetzt. Noch vor ihrer Einsetzung im April 2000 gab es politischen Krach, weil die eher forschungsliberalen Geister um den Kanzler (und in der ethischem Rat ohnehin abgeneigten FDP) - nicht ganz zu Unrecht - fürchteten, sich damit einen "Bremsklotz" ans Bein zu binden. Weil der Kanzler seine Gentechnikpolitik unbehindert von Einmischern durchwinken wollte, berief er - im Alleingang und heftig kritisiert - einen "Nationalen Ethikrat" als bioethischen Türöffner. Seither herrscht zwischen den beiden Einrichtungen eine klammheimliche Konkurrenz um das Beratungsmonopol, das vor allem dann in Frage steht, wenn die beiden Gremien zu bestimmten Fragen - genannt seien hier nur die divergierenden Stellungnahmen zum Stammzellimport - unterschiedlich votieren. Wem soll die Ethik also dienen: Der jeweiligen Regierung oder dem Parlament?
Wenig Interesse an Enquete
Für Reinhard Loske, als grüner Abgeordneter mittlerweile in der Opposition und bestrebt, seine Partei im Gespräch zu halten, ist das keine Frage. Deshalb nahm er den Skandal um den koreanischen Klon-Fälscher Hwang zum Anlass, eine neue Enquete zu fordern, um, wie er im Gespräch sagt, "sicherzustellen, dass die bioethische Debatte im Parlament bleibt" und nicht klammheimlich auf das "Akzeptanzbeschaffungsgremium" Ethikrat übergeht.
Damit sei Loske, wie selbst ehemalige Mitglieder der Enquete-Kommission monieren, "vorgeprescht". Sie sind nicht sauer, weil sie die Idee nicht unterstützen würden, sondern weil die in beiden Regierungsparteien derzeit auf wenig Gegenliebe stößt. Unions-Fraktionsvorsitzender Kauder bügelte das Projekt Enquete gleich Anfang Januar mit einem schlichten "wenig sinnvoll" ab; wobei Hubert Hüppe, für die Union bislang stellvertretender Enquete-Vorsitzender, versichert, dass dies nur die Meinung Kauders und kein Beschluss der Fraktion sei. Vorsichtig geworden, hat René Röspel, seinerseits Vorsitzender der letzten Enquete, den Vorschlag erst gar nicht in seine SPD-Fraktion eingebracht, um, wie er sagt, "kein frühzeitiges Nein" zu riskieren. Überraschend ist diese Zurückhaltung des Bioethik-Beauftragten schon deshalb, weil sein Gremium noch im Sommer, als es Bundestagspräsident Thierse seinen Zwischenstandsbericht übergab, von allen Seiten überschwänglich gelobt und auf Weiterführung seiner Arbeit gedrungen worden war. Will man mit der Einrichtung einer dritten Enquete nur einen parlamentarischen Präzedenzfall vermeiden, weil ein Ad-hoc-Gremium damit auf Dauer gestellt würde?
Das hält Reinhard Loske für ein "vorgeschobenes Argument", ein Vorwand, um die Bredouille zu kaschieren, in die sich die Union mit dem Ethikrat gebracht hat. Denn die einst als "Kanzlerberatungsverein" und "Konsensmaschine" gescholtene Einrichtung wurde - zum Missfallen der Union - erst im vergangenen Juni wieder bestätigt. Das oppositionelle Dauerlamento fällt den Leuten von der CDU/CSU nun vor die Füße: Den Rat einfach aufzulösen, verbieten die politische Redlichkeit und Pragmatik. Andererseits scheint er in Zeiten der forschungspolitischen "Standortsicherung" manchem möglicherweise nützlicher als die nur dem Parlament verpflichtete Enquete mit ihren unbequemen Stellungnahmen - auch wenn Röspel und Hüppe dies nachdrücklich bestreiten.
Das mit seiner Einrichtung verbundene Legitimationsproblem allerdings hängt bis heute über den Räten: Zuerst hatte der Kanzler überhaupt Probleme, seine Runde prominent zu füllen und kassierte herbe Absagen; seither gilt die Mehrheit der Mitglieder, die in einem undurchsichtigen Kooptionsverfahren ernannt wurden, als forschungsgläubige Sprecher. Aufschlussreich ist, dass von den anfänglich noch im Ethikrat vertretenen Politkern und Funktionären kaum noch einer dazu gehört; der Rat ist mittlerweile zum Expertengremium mutiert. Am meisten aber vergrätzt viele Abgeordnete, dass der "Nationale Ethikrat" schon qua Titel einen Monopolanspruch erhebt: "Es gibt überhaupt keine nationale Ethik", erregt sich Unions-Mann Hüppe. Auch Loske lehnt ein "Universalethikgremium" ab. Wenn überhaupt ein Ethikrat, dann einer des Bundestags.
Einig ist man sich darin, dem Ethikrat nicht das Feld überlassen zu wollen. "So wie es ist, kann es nicht bleiben", dekretiert Hüppe, und Röspel sekundiert: Ohne ein zweites Gremium sei "die Verlockung des bioethischen Alleinvertretungsanspruches zu groß". Möglicherweise geht es dabei aber auch schlicht um Geld. Die Fraktionschefs könnten vor einer Revitalisierung der Enquete auch deshalb zurückschrecken, weil sie Mittel und Personal binden würde. Nicht einzusehen sei außerdem, bemerkt der Grüne Loske, dass die 2,14 Millionen Euro, die der Ethikrat jährlich verschlingt, mittlerweile zwar aus der bioethischen Begleitforschung des Parlaments stammten, dieser sich dem Parlament aber nicht verpflichtet fühle.
Ständige Kommission geplant
Bestimmt, wer zahlt? Braucht das Parlament eine neuerliche Proporz-Veranstaltung oder ist andererseits wissenschaftlicher Sachverstand tatsächlich unabhängiger? Die Ethikwächter der Fraktionen wollen den ethischen Rat enger ans Parlament binden und zu einer Dauereinrichtung machen. Das sei aussichtsreicher als eine neue Enquete zu installieren, glauben sowohl Röspel als auch Hüppe und sondieren derzeit interfraktionell das Terrain. Voraussetzung sei, betont Hüppe, dass die Mitglieder eines solchen Gremiums wechseln und ihre Berufung nachvollziehbar ist. Vorstellbar sei auch eine Einbeziehung oder "Fusion" mit dem jetzigen Ethikrat, wobei niemand sagen will, wie das konkret aussehen könnte.
Die Chancen für eine solche Lösung stehen noch nicht einmal schlecht, denn in bioethischen Angelegenheiten wird seit Jahren quer durch die Fraktionen gearbeitet und votiert. Das Vorhaben würde wohl auch außerhalb des Parlaments Unterstützung finden. Kürzlich haben sich mehrere einschlägige Initiativen und Organisationen im "Tübinger Aufruf" an die Abgeordneten mit der Anregung gewandt, eine ständige bioethische Kommission einzurichten, die das Parlament fortlaufend beraten soll. Dem Ansinnen, den Themenkreis auch auf andere ethische Probleme wie zum Beispiel Folter auszuweiten, erteilen die befragten Abgeordneten allerdings eine abschlägige Antwort. Themen wie Folter, so Röspel und Hüppe, seien im Menschenrechtsausschuss des Parlaments besser aufgehoben; und auch Loske fürchtet, dass die Kommission "ausfransen" könnte, wenn man das Themenspektrum erweiterte.
Vielleicht treffen sich die Berater irgendwann auch unterm Dach des Bundespräsidenten wieder. Der in der Bioethik höchst engagierte ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hätte dies sicher unterstützt. Am wenigsten ist zu befürchten, darin stimmen alle überein, dass einer Ethik-Kommission, auch wenn sie auf biomedizinische Fragen beschränkt bleibt, die Themen ausgehen könnten: Der von der alten Enquete hinterlassene Aufgabenkatalog ist lang.
Eine andere, viel spannendere Frage ist, ob nicht jede Kommission, egal wer sie bestellt und wo sie angesiedelt ist, letztlich nur die Aufgabe hat auszuloten, was in einer Gesellschaft durchsetzbar ist und was nicht und den Diskurs darüber zu organisieren; wenn man so will, "Akzeptanzbeschaffung" zu betreiben. Oder, wie es Wolfgang van den Daele, Mitglied des Ethikrats, kürzlich in einer internen Runde formulierte: Es gehe in der bioethischen Beratung letztlich nur um die "Ausbalancierung der Argumente". Am Ende müsse im Parlament entschieden werden.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.