Recht vor Gnade

Wieviel Sühne fordert politisch motivierter Mord? Nach 26 Jahren kommt das ehemalige RAF-Mitglied Christian Klar wieder frei.

Gnade wollte er ihm nicht zuteil werden lassen, vor einem Jahr, als Bundespräsident Horst Köhler über ein entsprechendes Gesuch von Christian Klar zu entscheiden hatte. Schon Köhlers Amtsvorgänger Johannes Rau vermisste "Reue" bei dem nun seit fast 26 Jahren in Haft sitzenden Ex-Terroristen. Verurteilt wurde er 1985 unter anderem wegen seiner Tatbeteiligung an den Morden von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Bankier Jürgen Ponto und Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer zu fünf Mal lebenslanger Haft.

Das letzte Gnadengesuch hatte Klar zu einer Zeit gestellt, als die Ereignisse des "Deutschen Herbstes" 1977 nicht nur aufgrund des runden Jubiläums wieder ins Gedächtnis rückten, sondern die Bundesanwaltschaft gerade einen neuen Vorstoß unternahm, Brigitte Mohnhaupt, Knut Folkerts und auch Christian Klar zu Aussagen über den noch immer ungeklärten Tathergang bei der Buback-Ermordung zu veranlassen. Nachdem sich alle drei auf ihr Aussageverweigerungsrecht zurückzogen, um sich nicht selbst wegen anderer in diesem Zusammenhang stehenden Taten zu belasten, ordnete der Ermittlungsrichter Erzwingungshaft an, die vom Bundesgerichtshof allerdings wieder aufgehoben wurde. Kein guter Augenblick für Gnadenakte.

Das Interesse der Angehörigen an der Aufklärung der Morde ist nachvollziehbar. Doch mit der Beihilfe zur juristischen Aufarbeitung, zu der Innenminister Wolfgang Schäuble und Justizministerin Brigitte Zypries die Täter gerade wieder bewegen wollen, ist jedes Mal ein Stück Demütigung verbunden. Nichts hat der Rechtsstaat, der sich 1977 nicht hatte "erpressen" lassen wollen, so wenig verziehen wie die Unbeugsamkeit derjenigen, die nicht einfach abschwören und sich ihrer politischen Biographie entledigen wollten. Umgekehrt hat der Staat nicht nur die juristische Kooperation zu erzwingen versucht, sondern mehr noch den Kniefall und Widerruf. Das aber hatte Klar verweigert und mit einem weiteren Jahr Haft bezahlt.

Dass er sich als "Aktivist" die Frage nach dem Leid, das der "bewaffnete Kampf" für die Opfer bedeutet habe, gefallen lassen müsse, erklärte Christian Klar vor Jahresfrist in einem Interview im Freitag. Eine terroristische Bedrohung, das bestätigten seine Gutachter schon damals, gehe von ihm jedoch nicht mehr aus. Deshalb hat das Oberlandesgericht Stuttgart nun entschieden, dass der mittlerweile 56-jährige Klar nach gut 26 Jahren am 3. Januar 2009 auf Bewährung aus der Haft entlassen wird. Er war das am längsten inhaftierte RAF-Mitglied überhaupt und muss nach über 30 Jahren Untergrund und Gefängnis erst einmal leben lernen. Möglicherweise doch noch beim Berliner Ensemble, das Klar schon im vergangenen Jahr einen Praktikumsplatz angeboten hatte.

Ob man ihm die Chance eines neuen Lebens gibt, hängt auch davon ab, auf welchen Konsens sich der Staat nach so langer Zeit einigt: Handelt es sich bei den RAF-Leuten um ganz gewöhnliche Straftäter, als die sie Justiz und Politik immer sehen wollten? Dann müssen sie, da ist Zypries beizupflichten, rechtsstaatlich wie jeder andere Straftäter behandelt werden, auch wenn sie reuelos scheinen. Macht man jedoch weiterhin Polit-Monster aus ihnen, wie Hamburgs Innenminister Christoph Ahlhaus (CDU), deren Opfern es "nicht zuzumuten" sei, dass sie aus "rein formalen Gründen" freikommen, dann wären sie doch die "politischen Gefangenen", als die sich die RAF-Häftlinge selbst sahen.

Wieviel Sühne fordert politisch motivierter Mord? Und wieviel Sinn macht es, das Schuldbuch der RAF immer wieder aufzuschlagen? Im Fall von Christian Klar hat der Rechtsstaat nun Recht statt Gnade walten lassen. Ein Punkt für eine Justiz, die mit Staatsfeinden nicht immer zimperlich umgegangen ist. Und im Umgang mit der RAF ist diese Gesellschaft noch heute gnadenlos.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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