Wir wollen nicht mehr in die Schweiz fahren! – so hatte es analog der aus den 70er Jahren stammenden Forderung von Frauen geheißen, nicht mehr in Holland abtreiben zu wollen. In der Schweiz ist die organisierte und geschäftsmäßige Sterbehilfe erlaubt, in Deutschland existierte bisher eine ungeregelte Grauzone: Beihilfe zum Suizid war nicht strafbar, auch nicht, wenn sie wiederholt und aus Gründen der Gewinnerzielung angeboten wurde. Das wird sich nun ändern.
Nicht zum ersten Mal hat sich der Deutsche Bundestag mit Gesetzesvorlagen zu diesem Thema befasst. In Enquetekommissionen, Ethikräten und Parlamentsdebatten ist das Thema nun mindestens zehn Jahre hin und her gewälzt worden. Es wurden in Stellungnahmen und Gesetzentwürfen die Überzeugungen der Bevölkerung abgebildet.
Da sind die einen, die darauf bestehen: „Mein Tod gehört mir!“, und dies mit dem vom Bundesgerichtshof 2010 gestärkten Selbstbestimmungsrecht von Patienten begründen. Und auf der anderen Seite stehen diejenigen, die zu bedenken geben, dass der Tod grundsätzlich unverfügbar sei und kein Dritter genötigt werden dürfe, dieses Geschäft für einen zu betreiben.
Dass sich in diesen Extremhaltungen selbst schon etwas von der Lebenswirklichkeit und den in der Gesellschaft virulenten Befürchtungen und Abwehrhaltungen offenbart, wurde in den wiederholten Aussprachen des Bundestages deutlich. Wollen wir in einer Republik leben, in welcher der Einzelne sich auch auf dem Markt der Todesarten bedienen kann, weil er fürchtet, in einem unmenschlichen, vom Ökonomisierungsdruck gebeutelten Gesundheitssystem unter die Räder zu kommen, und aus nachvollziehbaren Gründen bis zuletzt das Fähnlein der Autonomie hochhalten möchte?
Oder ist dieses Schreckgespenst umgekehrt nicht gerade der Anlass, jedwede Art von geschäftsmäßiger Verfügung über den Tod zu verfolgen, nicht zuletzt deshalb, damit wir wenigstens nicht im Tod ins Antlitz einer Gesellschaft blicken müssen, die – wenn es um die nicht mehr Leistungsfähigen geht – durchaus auch inhumane Züge aufweist?
Die Parlamentarier hätten sich wieder einmal aus der Affäre ziehen und alles beim Alten lassen können. Die Grauzone hätte sich dann wohl allmählich schwärzlich gefärbt. Dubiose Vereine wie der von Richter Roger Kusch könnten sich bestätigt fühlen.
Doch entgegen allen Erwartungen hat sich die Mehrzahl der Abgeordneten schon im ersten Wahlgang für eine Regelung entschieden, die Ärzten im Rahmen der Palliativversorgung zwar im Einzelfall das Recht zugesteht, dem Willen ihrer Patienten zu entsprechen, aber eben nicht in organisierter Form. Sterbehilfevereine und geschäftsmäßig mit Suizidhilfe befasste Ärzte werden künftig die rote Karte des Strafrechts sehen, falls nicht die obersten Gerichte das Gesetz kassieren.
In der Bevölkerung, die durchaus lebensnah urteilt, dürfte diese Regelung allerdings nur dann Akzeptanz finden, wenn sie nicht mit dem Gefühl zurückbleibt, krank oder alt den Angehörigen zu einer schweren Last zu werden oder allein gelassen auf Sterbestationen dahinzusiechen.
Organisierte Sterbehilfe strafrechtlich zu verfolgen ist leicht; ein Umfeld zu schaffen, in dem es sich auch mit Defiziten leben lässt und man würdig und ohne geschäftsmäßige Todesengel sterben kann, das ist sehr viel schwerer.
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