Im Juni 2016 stand er zuletzt vor Gericht, eine Berufungsverhandlung. Der Vorwurf: Drohung, Nötigung und Verletzung des Bankgeheimnisses. Vor allem Letzteres hat den eigentlich unauffälligen Banker Rudolf Elmer weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt gemacht: Er war der Erste, der Bankdaten an Wikileaks – eine Plattform, die Anfang 2008 noch kaum jemand kannte – weitergegeben hat. Das haben ihm die Eidgenossen nie ver-ziehen: Einen „Nestbeschmutzer“ wollten sie nicht in ihren Reihen haben. Schon gar nicht die Banker.
Was war es, das den Chief Operating Officer der altehrwürdigen Privatbank Julius Bär, den „zweiten Mann“ im Offshore-Geschäft auf den Cayman Islands, nach 15 Jahren treuer Dienste dazu gebracht hat, Drohmails an seine Bank zu schreiben, Kundendaten an Finanzbehörden weiterzugeben und schließlich zum Whistleblower zu werden? Diesen pingeligen Buchhalter, der im Zürcher Industriequartier auf-gewachsen ist, dessen Mutter bei Julius Bär geputzt hat und der sich ehrgeizig und fleißig bis zur noblen Bahnhofstraße und ins Karibikparadies hocharbei-tet hat? Das sind Fragen, die Carlos Hanimann, Redakteur der Wochenzeit-ung WOZ mit Sitz in Zürich, in seinem Buch Elmer schert aus umtreiben. Einen „wahren Krimi zum Bankgeheimnis“ nennt er seine Geschichte in der Unterzeile und übertreibt nicht damit. Wahr sind die Fakten, die der Journalist auf Grundlage vieler Interviews, nicht zuletzt mit dem Ehepaar Rudolf und Heidi Elmer, und Recherchematerial zu-sammengetragen hat; spannend – und manchmal auch etwas komisch – ist die Geschichte, die er zu erzählen hat. Etwa die Sache mit diesem Brief an Angela Merkel, die eines Tages aufgefordert wird, ihre geheimen Bankkonten in der Schweiz aufzulösen ...
Eingebettet in den „Tag des Überfalls“ am 19. Januar 2011, als Rudolf Elmer, gerade von einer Gerichtsverhandlung wieder zu Hause, in der Tiefgarage verhaftet wird, rollt Hanimann den „Fall Elmer“ noch einmal auf. Er zeichnet seinen beruflichen Aufstieg nach, sein Leben im karibischen Steuerparadies, das 2002 jäh mit der Kündigung endet, nachdem Bankdaten verschlampt worden sind. Eher zufällig befindet sich die gesamte Kundendatei bei Elmers Rückkehr nach Zürich in seinem Gepäck.
Der gesundheitlich angeschlagene Elmer fühlt sich gedemütigt, es kommt zu Auseinandersetzungen mit der Bank. Er droht, die Bankdaten aus Cayman Islands weiterzugeben. Die Bank, die den Vertrauensverlust fürchtet, schlägt zurück, lässt Elmer und seine Familie von Detektiven beschatten, die gegenseitigen Drohungen eskalieren. Elmer sucht einen Ausweg und gerät über Umwege an die Gründer von Wikileaks. 2011 einigt er sich zwar privat mit der Bank, doch die seit 2005 andauernde gerichtliche Strafverfolgung ist bis heute nicht abgeschlossen.
Bestechend an Hanimanns Bericht über Elmer ist, dass er, trotz Sympathie mit dem geschlagenen Mann, Abstand hält und ihn nicht zum Helden macht. Denn wenn er überhaupt einer ist, dann einer von der traurigen Gestalt. Wie sein älterer Kollege Gian Trepp, ein Schweizer Wirtschaftsjournalist, der Elmer auf die Spuren von Wikileaks gebracht hat, weiß der Autor, dass Whistleblower nicht immer von den hehrsten Absichten geleitet sind. Elmer wollte zwar nie Kasse machen mit seinen Daten. Aber es ging ihm schon um Wie-dergutmachung, die irgendwann völlig aus der Spur geraten ist, weil ihn niemand ernst nahm, weil das Bankgeheimnis in der Schweiz – damals noch – sakrosankt war.
Info
Elmer schert aus. Ein wahrer Krimi zum Bankgeheimnis Carlos Hanimann Echtzeit Verlag Zürich 2016, 144 S., 26 €
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