Sagt bloß nicht Opfer

Kristina Schröder Die Familienministerin will Gerüchten zufolge keine zweite Amtszeit bestreiten. Sie selbst schweigt und zementiert das Vorurteil: Mutter und Ministerin geht nicht
Ausgabe 18/2013

"Jede Lebensentscheidung ist mit Risiken verbunden“, gab sie einmal zu Protokoll. Das war 2010, da hatte die damals 33-jährige Kristina Schröder zwei wichtige Lebensentscheidungen bereits getroffen: Mit 14 war sie als Kohl-Fan in die Junge Union eingetreten, was sie, noch wichtigere Weichenstellung, 2009 in Ministerhöhen katapultierte. Die junge Frau aus Wiesbaden bediente gleich mehrere Proporze im zweiten Kabinett Merkel, dem der Hesse Franz Josef Jung über Nacht abhanden gekommen war. Und die Kanzlerin konnte es sich noch nicht leisten, ein mächtiges CDU-Land zu übergehen.

Das Risiko, als Frau geboren zu werden, ist individuell nicht zu verantworten. Das Risiko, als Frau in die Politik zu gehen und dort reüssieren zu wollen, schon. Und ein noch größeres Risiko ist es, sich während der Amtszeit für ein Kind zu entscheiden. Kristina Schröder, das wird immer wieder als herausragendes Merkmal hervorgehoben, war die erste Ministerin, die sich das traute. Vorangegangen war ihr Andrea Nahles, die ein halbes Jahr vor ihr ein Kind bekam. Die SPD-Generalsekretärin kehrte acht Wochen nach der Geburt an ihren Berliner Schreibtisch zurück, Kristina Schröder nach zehn Wochen.

Präzedenzfall Elternzeit

Wer erlebt hat, wie die Generalin während ihrer Schwangerschaft darum gekämpft hat, politische Einflussbereiche zu markieren, hat eine Vorstellung von der Angst, die eine Mutter werdende Politikerin befällt. Denn anders als Krankheit ist Mutterschaft eine soziale Zuschreibung. Ob ein Minister denn Elternzeit nehmen könne, wurde die Frauenministerin einmal gefragt (und der Spiegel meinte natürlich: Ministerin). Einen solchen Fall habe es bislang nicht gegeben, entgegnete Schröder. Den Präzedenzfall wollte sie denn doch nicht schaffen. Die Vereinbarkeit von Kind und Beruf in der Politik hat für Frauen Grenzen.

Genau das erlebt Kristina Schröder im Augenblick wieder. Und dabei ist es – vorerst – völlig gleichgültig, ob sie selbst amtsmüde ist oder das Gerücht, dass sie im nächsten möglichen Kabinett von Angela Merkel nicht mehr sitzen wolle, weil sie ihre Mutterrolle ernst nähme, von mächtigen Gegnern in den eigenen Reihen gestreut wird. Schon die Nachricht schafft Fakten, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Man muss sich zu ihr verhalten (aus dem Ministerium: Schweigen und Ausweichen), sie wird von anderen kommentiert (eine schweigende Kanzlerin und viel Häme seitens der Presse) und sie zementiert Vorurteile: Vollmutter und Ministeramt, das schafft man nicht, es sei denn, man hielte sich eine Unterstützungsarmada wie Dauerkonkurrentin Ursula von der Leyen.

Kein nächtliches Tête-à-Tête

Jedenfalls schafft frau es nicht, bis ultimo Sitzungen zu bestreiten, danach mit Parteikollegen zu kungeln, Journalistenjüngelchen beim nächtlichen tête-à-tête zu bezirzen, ausufernde Reisen zu unternehmen und Netzwerke zu knüpfen – also all das, was ein Politikerleben erfolgreich macht. Und Frauen haben auch keinen Ausnahme-Bonus, um (wie die jüngeren oder meist schon älteren Papas) das neue Kind in ihre Profilierungsstrategie einbauen zu können, wie das Oskar Lafontaine, Sigmar Gabriel oder Cem Özdemir hervorragend vorgeführt haben. Die Vorzeigeväter müssen um ihre Rückkehr nicht fürchten, sei es, weil für Männer die Türen ohnehin weit offen stehen oder weil der Papa eher ein medialer als ein tatsächlicher ist.

So gesehen wäre eine so oder so aus dem Amt getriebene Kristina Schröder also ein Opfer der Verhältnisse. Aber Opfer-Diskurse, das hat uns die Frauenministerin immer wieder eindringlich versichert, sind degoutant. Deshalb hat sie sich mit Alice Schwarzer angelegt und überhaupt mit dem ganzen Feminismus. Deshalb hasst sie die Frauen bevorzugende Quote, deshalb nimmt sie die angeblich benachteiligten Jungen in Obhut und verpflichtet neuerdings sogar die Frauenbeauftragten, sich um die Belange diskriminierter Männer zu kümmern. Sogar für die Gleichstellung der Homo-Ehe tritt sie ein, was sie in der hessischen Provinz nicht gerade beliebt macht. Das ist ihr Verständnis von Gleichheit.

Die Kampfhähne bestimmen

Was Kristina Schröder im Moment aber schmerzhaft lernen muss, ist, dass Gleichheit noch lange nicht Gleichheit bedeutet. Das gilt für Ministerinnen und Minister ohnehin, und das gilt auch unter Frauen. Weil sie eben nicht mit 50 Prozent jungen Müttern, die abends nach Hause streben, Sitzungen bestreitet, kommen diese nie zu einem Ende. Weil nicht mehrheitlich konsensorientierte Frauen dafür sorgen, dass ein Kompromiss gefunden wird, bestimmen Kampfhähne das Feld. „Säßen in der Arbeitswelt nur Frauen in Konferenzen“, betont Kristina Schröder gerne, „kämen die Runden viel schneller zu Entscheidungen.“

Wirklich belegt ist das nicht, aber einleuchtend. Es sei denn, es säße eine Kristina Schröder in der Runde, die beinhart ist in der Sache und – im Unterschied zu der geschmeidigeren von der Leyen – kein Jota Bewegung kennt. Bei der Quote zum Beispiel, die dafür sorgen könnte, dass die von ihr beschriebenen paradiesischen Zustände einzögen. Man vermisst da doch etwas Reflexivität und Weitblick. Wenn Kristina Schröder stolpern sollte, dann auch über ihre bemerkenswerte Obstination, die das Dauerlächeln Lügen straft.

Das Reich der Notwendigkeit

Dass nun allerdings einer Ministerin, die für das Betreuungsgeld zumindest mitverantwortlich zeichnet, der Herd zur Feuerprobe wird, hat fast parodistische Züge. Hat sie doch die Väter – freiwillig – zwei Monate an den Wickeltisch bringen, die Unternehmen – freiwillig – für bessere Vereinbarkeit sorgen lassen wollen. Die freie Wahl ist Schröders Mantra. Das Reich der Freiheit beginnt aber erst, wenn das Reich der Notwendigkeit nicht mehr von Zeitnot bestimmt ist.

Gegen die Risiken der Entscheidung, von denen Schröder sprach, müssen sich Frauen jedenfalls anders absichern als Männer. Die haben die Partei, den Männerbund, den Schröder jetzt zu spüren bekommt. Die Frauen haben im Ernstfall nur Frauen. Auch wenn Ursula von der Leyen am Ende der Mut fehlte, das im Parlament durchzuziehen, hat sie den Zeigefinger drohend erhoben: Wir können auch anders. Mit Bündnissen über die Bande hinweg tut sich Kristina Schröder aber schwer.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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