Aufatmen am Forschungsstandort Deutschland. Nachdem sich die EU-Minister vergangene Woche nach fünfjährigem Streit und zähen Verhandlungen in letzter Minute auf das 7. Forschungsrahmenprogramm einigten, stehen 54 Milliarden Euro für den Zeitraum 2007 bis 2013 bereit. Dass die deutschen Forscher von diesen Mitteln mehr als alle anderen EU-Länder profitieren, verkündet stolz die Website des Bundesforschungsministeriums: An mehr als 80 Prozent der bislang geförderten Forschungsprojekten seien deutsche Partner beteiligt, und mit 20 Prozent der Mittel des auslaufenden Programms haben sich die deutschen Forscher den größten Happen gesichert.
Eben dies mag Annette Schavan zu diesem von allen Seiten bekrittelten "Kompromiss" in Sachen Stammzellforschung bewogen haben. Ursprünglich hatte die Bundesforschungsministerin die Minderheitenposition jener zehn Länder angeführt, die verhindern wollten, dass die ethisch problematische Stammzellforschung mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Wie in Deutschland das Stammzellimportgesetz existieren auch in anderen europäischen Staaten Bestimmungen, die die Forschung mit embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) erheblich einschränken und Wissenschaftlern die Beteiligung an Projekten verbieten, bei denen Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt beziehungsweise "überschüssige" Embryonen aus der künstlichen Befruchtung vernichtet werden. Die zehn Staaten, die gegen eine EU-geförderte Stammzellforschung votiert hatten, beriefen sich dabei auf das Prinzip der Subsidiarität, das heißt, dass die EU nationale Rechtslagen weitest möglich zu respektieren hat und nur dort ordnend eingreift, wo es notwendig erscheint.
Dass sich Schavan am Ende doch der Mehrheit beugte und bis 2013 nun 50 Millionen Euro aus dem Gesamtetat für die Stammzellforschung bereit gestellt werden, könnte man als politische Niederlage der Forschungsministerin deuten - und die grüne Opposition im Lande und in der EU wird auch nicht müde, Schavans Einknicken vor den europäischen Ministerkollegen so zu interpretieren. Die von Schavan zuletzt noch durchgesetzte Zusatzklausel, nach der die EU zumindest keine Projekte fördern soll, bei denen unmittelbar menschliche Embryonen zerstört werden, ist kaum mehr als ein Feigenblatt, denn sie verhindert keineswegs, dass sich die Wissenschaftler ihr "Material" dort beschaffen, wo seine Herstellung nicht verboten ist. Eine Stichtagsregelung wie im deutschen Recht - hierzulande ist die Verwendung von ES-Zellen, die nach dem 31.12.2002 gewonnen wurden, verboten - sieht die Vereinbarung ebenfalls nicht vor.
Über die ethische Tragweite der Entscheidung, bei der sich bezeichnenderweise der Rat für Wettbewerbsfähigkeit gegen die klaren Beschlüsse sowohl des Rechts- als auch des Frauenausschusses des EU-Parlaments durchgesetzt hat, lässt sich streiten. Denn erstens sind die Mittel für die Stammzellforschung vergleichsweise bescheiden, zum anderen werden die Wissenschaftler schon aus Gründen der Reputation zurückhaltend operieren, denn die Beteiligung an umstrittenen Projekten kann - wie kürzlich die Kooperation zwischen dem koreanischen Scharlatan Hwang und dem Stammzellforscher Gerald Schatten - ganz schnell zum wissenschaftlichen Absturz führen oder doch zumindest am Prestige kratzen. Wer mit Stammzelllinien zweifelhafter Herkunft hantiert, läuft Gefahr, sich öffentlicher Kritik auszusetzen.
Viel dramatischer ist das politische Signal, das dieser EU-Kompromiss für die nationalen Gesetzgebungen geben könnte. In Deutschland etwa drängten schon kurz nach der Entscheidung diejenigen Politiker und Politikerinnen in den Vordergrund, die zumindest das Stammzellimportgesetz geändert und am liebsten das ganze Embryonenschutzgesetz in den Orkus geschickt sähen. Ausgerechnet aus der CSU-Fraktion heraus wurde gemunkelt, die beiden Gesetze fänden in der heutigen Zusammensetzung des Bundestages überhaupt keine Mehrheit mehr. Deren forschungspolitische Sprecherin Ilse Aigner forderte die Lockerung des Embryonenschutzes in Deutschland und fand, kaum verwunderlich, bei ihrer Kollegin von der FDP, Ulrike Flach, nachdrückliche Zustimmung. Unterstützt wird diese Position auch von der Vorsitzenden des Nationalen Ethikrats, Kristiane Weber-Hassemer.
Am aussagekräftigsten jedoch sind die leiseren Töne. Schon im Juni hatte der ehemalige Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen, im Rahmen einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche und des Kompetenznetzwerks Stammzellforschung NRW über neue ethische Grenzziehungen sinniert und die mögliche Revision des Stammzellimportgesetzes in Aussicht gestellt. Als einer der Gesetzesurheber schlug er unter anderem vor, einen "rollierenden Stichtag" einzuführen, um die dringende Nachfrage nach neuen Stammzelllinien zu befriedigen.
Als Kenner der Szene und versierter internationaler Verhandler weiß Catenhusen genau um die Inkonsistenz des deutschen Stammzellimportgesetzes, dem die Strafandrohung für deutsche Forscher ebenso in letzter Minute eingeschrieben wurde wie die Zusatzklausel in die EU-Vereinbarung am Montag vergangener Woche - beides politische Kompromisse, um die Skeptiker auf die andere Seite zu ziehen. Schon damals sah Catenhusen die EU-Gelder an Deutschland vorbeirinnen. Inkonsequent ist das Gesetz aber auch deshalb, weil es den Import von Stammzellen unter bestimmten Umständen erlaubt, man sich in Deutschland mit der Herstellung von Embryonen aber die Finger nicht schmutzig machen will. Diesen moralischen Doppelstandard scheint sich nun auch die EU zu eigen zu machen: Stammzellforschung ja, aber mit dem Geschäft der Herstellung und Vernichtung von Embryonen sollen sich andere befassen. Das Vorbild Deutschland macht Schule, wenn schon nicht nach dem Buchstaben, so doch im Geiste des Gesetzes.
Diese Logik ist übrigens keine europäische Spezialität, ihr folgt auch die Politik des amerikanischen Präsidenten, dessen Veto gegen ein US-weites Stammzellgesetz vier Tage vor der EU-Entscheidung dadurch bekräftigt wurde, als es dem Repräsentantenhaus nicht gelang, eine Zweidrittelmehrheit dagegen zu organisieren. Auch George Bush ist kein kategorischer Gegner der Stammzellforschung, Bundesmittel dürfen jedoch nur in Arbeitsprojekte fließen, die vor dem 9. August 2001 gewonnene Stammzellen verwenden. Dagegen sind private Geldgeber oder einzelne Bundesstaaten - zum Beispiel Kalifornien mit drei Milliarden US-Dollar - im Geschäft mit neueren Stammzellen höchst aktiv.
Mag sein, dass die Stichtagsregelung den Anreiz, immer neue Stammzelllinien zu produzieren, drosselt. Das Dilemma, dass die Forschung an ES-Zellen auf Material ethisch zweifelhaften Ursprungs angewiesen ist, löst sie nicht. Auf internationaler Ebene wiederholt sich nur, was in Deutschland in jahrelanger Diskussion erörtert, ausgefochten und in einen faulen Kompromiss gegossen wurde. Schon damals sagten Kritiker voraus, dass es kein Ende habe mit der Stammzelldebatte, in Deutschland nicht und auch nicht anderswo.
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