Scheinheiliger Schein

SCHWANGERENKONFLIKTBERATUNG Die Kirche, der Staat und warum man Bismarck Erfolg gewünscht hätte

Eigentlich müßte die katholische Kirche dem deutschen Gesetzgeber dankbar sein: Denn ohne die paradoxe Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch fände sie kaum Gelegenheit, sich wiederholt und ex cathedra aus Rom zurückzumelden in Sachen Moral. Als vor anderthalb Jahren der Papst seine als »Bitte« deklarierte Bulle gen Norden schickte und die deutschen Bischöfe aufforderte, das »Schein-Wesen« zu beenden, wurde ein neues Kapitel im mächtigen Buch des Kulturkampfes aufgeschlagen. Dabei ist die aktuelle Gemengelage so widersprüchlich wie einst im Jahre 1871, als Bismarck mit dem sogenannten »Kanzelparagraph« den Geistlichen verbot, kraft ihres Amtes »in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise« ihre Nase in staatliche Angelegenheiten zu stecken.

An erster Stelle steht der Clinch zwischen dem katholischen Oberhirten und seinen bischöflichen Compagnons, die der Papst per »Richtlinienkompetenz« auszurichten versucht - ein Usus, der sich mit dem Ersten Vatikanischen Konzil und dem damals verkündeten päpstlichen Unfehlbarkeitsdogma eingebürgert hat und nie mehr tatsächlich rückgängig gemacht werden konnte. In einer solchen Atmosphäre haben katholisch-gemäßigte »Freidenker« wie Bischof Kamphaus (Limburg) oder der moderate Bischofsvorsitzende Lehmann gegenüber Fundamentalisten wie dem Fuldaer Erzbischof Dyba oder Bischof Mixa (Eichstätt) wenig Chancen. Dyba hatte bereits Anfang dieses Jahres die päpstliche Anweisung mit seiner eigenwilligen Auslegung des israelitischen Kindermords unterstützt und die abtreibungsentschlossenen Frauen mit König Herodes verglichen. Als einziges Erzbistum stellt Fulda keine Beratungsscheine aus.

In guter alter Kulturkampftradition formiert sich in Sachen Beratungspraxis zum anderen der Konflikt zwischen Staat und Kirche. Mit welchem Recht opponiert hier das römisch-katholische Oberhaupt gegen einen zwar höchst problematischen, aber parlamentarisch abgesegneten und institutionell geregelten Modus der Schwangerenberatung? Kann päpstliche Intervention nationales Recht aushebeln und sich zum »Störfaktor zugunsten der Ungeborenen«, wie der Wiener Pastoraltheologe Zulehner kürzlich in einem Inteview formulierte, aufschwingen? Wenn die katholische Kirche als »Staat im Staate« auftritt, wer führt dann die Oberaufsicht, zumal wenn der Staat nicht nur vertretungshalber die Kirchensteuer eintreibt, sondern darüberhinaus das katholische Beratungsangebot alimentiert?

Diese Gelder könnten auch konfessionell unabhängigen Institutionen wie pro familia zugute kommen, die sich verpflichten, im Sinne des Gesetzes zu beraten. Mit gutem Recht nämlich fragt der bundesweit wichtigste Träger der Schwangerenberatung, weshalb in der aktuellen Diskussion angenommen werde, die katholischen Beratungsstellen arbeiteten besonders qualifiziert. Weder seien sie in der Lage, den schwangeren Frauen besondere finanzielle Hilfen anzubieten, noch werde deutlich, in welcher Form die Beraterinnen die Frauen, die sich am Ende für ein Kind entscheiden, über den Rahmen hinaus begleiten, den auch andere Beratungsstellen gewährleisten können.

Beratung, auch die von Schwangeren, das läßt sich aus den verschiedenen Stellungnahmen ablesen, ist ein »marktfähiges« Produkt, das sich gegenüber anderen Konkurrenten behaupten muß. Immerhin sind von 1685 Schwangerenkonfliktberatungsstellen nur 270 in der Hand katholischer Träger. In Frankfurt/ Main hat der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) vergangenes Jahr 177 Frauen beraten, davon waren 36 in einer akuten Konfliktsituation, nur viermal wurde ein Beratungsschein ausgestellt; zur katholischen Beratungsstelle »Lydia« in Berlin kommen monatlich gerade mal zwei, drei Frauen, die sich wegen eines Schwangerschaftsabbruchs beraten lassen, und ein Beratungsschein wird höchst selten ausgestellt. In Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, wo die katholischen Beratungsstellen stärker verankert sind und frequentiert werden, ist die Zahlenrelation Beratung - Schein ganz ähnlich. Man fragt sich angesichts solcher Zahlen, was der ganze Wirbel soll.

»Leben schaffen ohne Schein« oder »heiligt der zweckentbundene Schein das Mittel?« Mit ihrer Entscheidung, den Beratungsschein künftig nur noch mit dem Zusatz auszugeben, daß er nicht für einen Schwangerschaftsabbruch im Sinne des § 218 StGB »mißbraucht« werden dürfe, haben die Bischöfe - das wurde vielfach kritisiert - das moralische Problem auf die schwangeren Frauen, die sich in diesem Konflikt befinden, verlagert. Kaum mehr erinnert wird offenbar, daß es die paradoxe gesetzliche Regelung selbst ist, die Tür und Tor öffnet für derlei »bigotte« Kompromisse.

»Rechtswidrig«, aber »nicht strafbar«, erklärte der Deutsche Bundestag nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1991, sei der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen, soweit die Frauen nachweisen, daß sie sich haben beraten lassen. Diese Beratung habe »zielorientiert« (im Sinne des »ungeborenen Lebens«) jedoch »ergebnisoffen« zu erfolgen. Diese Vorschrift gilt für alle anerkannten Beratungsstellen, auch die katholischen. Diesen Widerspruch, der bereits im Verfassungsgerichtsurteil angelegt und im Gesetzestext festgeschrieben wurde, machen sich der Ponifex in Rom und einige seiner Vasallen nun seit Jahren in ihrem Kreuzzug zunutze.

Und wo bleiben die eloquenten politischen Streiterinnen, die noch Anfang der neunziger Jahre vehement gegen das Abtreibungsverbot und die staatliche Beratungspflicht stritten? Heute warnen sie, wie die Sprecherin der Bündnisgrünen, Gunda Röstel, vor dem Ausstieg aus der Konfliktberatung, weil das den Einfluß der Kirche schwäche. Früher hätte frau hinzugefügt: Hoffentlich! Nach kaum zehn Jahren Wende und frauenpolitischem Aufbruch gibt es lediglich noch einige dünne Stimmen wie die der frauenpolitischen Sprecherin der Bündnisgrünen Albrecht, die fordert, den katholischen Stellen die Anerkennung zu entziehen, oder Petra Bläss (PDS), die einsam für den generellen Wegfall des § 218 eintritt. Dem Vernehmen nach werden die zuständigen Ministerinnen der Länder nach Canossa gehen und den katholischen Beratungsstellen ihren Segen geben, obwohl der Zusatz auf deren Beratungsschein juristisch ein Stein des Anstoßes sein könnte und quasi anerkennt, daß eine Abtreibung zumindest moralisch verwerflich bleibt.

In einem Jahrzehnt, wo nicht nur die befriedende Sozialgesetzgebung ausgehöhlt und abgewickelt wird, sondern weltweit auch religiös-fundamentalistische Einflüsse erstarken, wünschte man, Bismarck hätte den damaligen Kulturkampf gegen die katholische Kirche gewonnen. Eine solche Verbeugung vor dem »eisernen Kanzler« ist ein überaus trauriges Resümee im ausgehenden Jahrtausend.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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