Schweinesystem

Biopatente In München machen Landwirte und Verbände gegen ein Schweinepatent mobil. Die Politik hängt sich dran, sollte aber lieber mal vor der eigenen Tür kehren

Gerade mal einen Tag, nachdem Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) den genveränderten Mais Mon 810 von den Äckern und vom Tisch der Verbraucher gepustet hat, rast schon wieder eine Sau durchs Dorf, eine ganz und gar reale in diesem Falle und eine konventionelle dazu, denn sie ist nicht gentechnisch verändert. Vielmehr geht es bei der Supersau, auf die die US-Firma Newsham Choice Genetics im vergangenen Jahr beim Europäischen Patentamt ein Patent angemeldet hat, um eine Eigenschaft, die einerseits Landwirte und andererseits Verbraucher schätzen: Sie wird schnell fett, enthält aber nicht das verdächtige Wasser, das sie in der Pfanne zusammenschnurren lässt.

Eigentlich bezieht sich die anhängige Patentschrift EP 165 1777, gegen die gestern Bauern und Verbände in München auf die Straße gingen und dabei dem Patentamt einen Sammeleinspruch übergaben, aber gar nicht auf das Schwein selbst, sondern auf einen Gentest. Mit ihm lässt sich das wundersame Leptin-Rezeptor-Gen identifizieren und die gezielte Auswahl von Zuchtschweinen bewerkstelligen. Soweit Landwirte den Test nutzen, wären sie also lizenzpflichtig, worüber sich niemand aufregen würde. Dissens besteht in der Einschätzung der Reichweite des Patents: Gilt es auch für das identifizierte Gen selbst? Und wenn ja, hätte der Patenthalter dann nicht Anspruch auf die solcherart gezüchteten Ferkel? Müssen Schweinezüchter dann nicht befürchten, dass sie für Tiere, die das Gen tragen, Gebühren entrichten und sie ihre Ställe der Genfahndung der Konzerne öffnen müssen?

Dass sich gestern auch das Land Hessen und Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) dem Einspruch gegen das Schweinepatent angeschlossen haben, mag Wahlkampfkalkül geschuldet sein, wohl aber auch der Tatsache, dass die Politik sich langsam einer starken Bewegung, die sich gegen Patente auf Leben ausspricht, öffnen muss. Dass ein Testverfahren, das als Erfindung durchgehen mag, sich gleichzeitig auf ein in der Natur vorkommendes Gen beziehen soll und auf die Kreaturen, die es tragen, fordert nicht nur den christlichen Schöpfungsgedanken heraus. Fast 90 Prozent nahmen in einer nicht repräsentativen Tagesschau-Umfrage gegen solche Patente Stellung. Natur, so offenbar die verbreitete Meinung, kann nicht als Erfindung deklariert und gewinnbringend lizenziert werden.

Nachdem Konzerne wie Monsanto – übrigens der ursprüngliche Entwickler des Schweine-Gentests –, Dupont oder Syngenta Bayern mit ihrem gentechnisch veränderten Saatgut in Europa nicht punkten, verlegt sich ihr Interesse auf konventionelle Züchtungsmethoden von Pflanzen und Tieren: die so genannte Schrumpeltomate (eine Tomate mit wenig Wassergehalt) zum Beispiel oder Brokkoli waren in der Vergangenheit schon zum Streitapfel geworden. Die Patente beziehen sich nicht nur auf das Saatgut und die Pflanzen selbst, sondern auf die gesamte Produktionskette, also bis hin zum Ketchup und im Falle von Tieren zum Beispiel auf die Milch oder das Schweinefleisch. Die dann fälligen Lizenzgebühren verteuern die Produkte und treiben Züchter und Landwirte in den Ruin. Manchmal wirken Patente auf Leben aber auch als ausschließend, indem der Pateninhaber beispielsweise den Zugang zu einem bestimmten Saatgut verwehrt. Die Folgen sind neue Abhängigkeiten, die nicht nur einzelne Landwirtschaftsproduzenten gefährden, sondern die gesamte Welternährung.

Dabei waren es die Politiker selbst, die das schwunghafte Treiben mit Biopatenten ermöglicht haben, etwa durch die umstrittene Europäische Biopatentrichtlinie. Sie hat, darüber besteht mittlerweile Einigkeit, nicht nur im medizinischen Bereich zum Schaden von Ärzten und Patienten geführt, sondern wirkt auch im Agrobereich negativ. Obwohl die Münchner Patentanwälte das Schweinepatent schon vor der Annahme entschärft und die Tiere selbst aus dem Patentanspruch herausgenommen haben, fällt das Züchtungsverfahren unter Patentschutz, die Europäische Biopatentrichtlinie macht dies unter Artikel 8 Absatz 2 möglich. Die Richtlinie bietet aber auch viel Interpretationsspielraum, den die nationalen Gesetzgeber – meint jedenfalls Christoph Then, der die europäische Allianz von Patentgegnern auf die Beine gestellt hat – zur Klarstellung nutzen könnten.

In Zeiten, wo alle Welt von den Piraten vor Afrika spricht, sollte man den Blick wieder einmal auf jene Biopiraten lenken, die ganz legal und unbehelligt die Natur ausbeuten und den Gewinn daraus privatisieren. Sonst bleibt am Ende wirklich nur noch ein Schweinesystem.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden