Selektives Prämienmodell

Klientelverdacht In der Gesundheitsdebatte ist die FDP den privaten Versicherern gefährlich nahe gekommen. Da passt ein Gutachten über deren Wettbewerbsfähigkeit nicht ins Bild

Eine „gesunde Lösung“ versprach Guido Westerwelle seinen Parteimitgliedern, als er 2003 seinem Dreikönigsbrief einen Flyer der Deutschen Krankenversicherung DKV beifügte und für das private Sorglos-Paket warb. Dass FDP-Mitglieder wie auch parteilose Fraktionsmitarbeiter im Bundestag von den Rabatten des größten europäischen Privatversicherers profitieren, wurde aber erst im Januar 2010 publik. Da hatte sich der liberale Gesundheitsminister Rösler gerade den PKV-Lobbyisten Christian Weber als Staatssekretär ins Amt geholt, von dem er sich gesunde Rezepte fürs Volk versprach.

Dass Westerwelle vor seinem Antritt als Außenminister sowohl bei der Deutschen Vermögensberatungs AG (DVAG) als auch bei der Rechtsschutzversicherung ARAG gut dotierte Funktionen ausübte, sein gesundheitspolitischer Sprecher Daniel Bahr für die ERGO-Versicherungsgruppe tätig war und Cornelia Pieper im Aufsichtsrat der Nürnberger Versicherung sitzt – es sind nur die sichtbaren Teile eines ziemlich unüberschaubaren Netzes, der von den Großspendern mächtiger Finanzberatungsunternehmen verspannt wird. Allein seitens der DVAG flossen in den vergangenen zwei Jahren 350.000 Euro an die FDP. Von wegen Sorglos-Paket: Jeder liberale Abgeordnete kann nun im Internet nachlesen, wie ungesund diese „Lösung“ zu werden verspricht.

Wie ein Damoklesschwert

Ein Gutachten des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), das vom langjährigen Kommissionsexperten Bert Rürup unterstützt wurde, stellt den privaten Krankenversicherern ein desaströses Zeugnis aus. Und das ausgerechnet dort, wo sich die PKV den Gesetzlichen Krankenkassen überlegen fühlt: beim Wettbewerb.

Die Prämienmodelle der Privaten seien – sagen die Gutachter – so selektiv, dass mit günstigen Angeboten die jungen, gesunden Versicherten vom Markt abgeschöpft würden, während die Älteren jetzt und künftig mit einem sprunghaften Beitragsplus rechnen müssten. Zum Jahresanfang erhöhten sich viele Versicherungsprämien um 20 bis 30 Prozent. Der Anspruch auf eine voraussehbare und planbare Beitragsentwicklung werde damit nicht erfüllt. Ältere Versicherte hätten durch den Verlust der Altersrückstellungen kaum Möglichkeiten, den Anbieter zu wechseln. „Zum wirtschaftspolitischen Problem“, so das vernichtende Fazit der Experten, „wird der Umstand, dass sich kein Wettbewerb entwickelt“. Der Politik wird aufgegeben, durch förderliche Rahmenbedingungen den Krankenversicherungsmarkt funktionsfähiger zu machen.

Das noch vom Bundeswirtschaftsministerium zu Zeiten der großen Koalition in Auftrag gegebene Gutachten hängt nun wie ein Damoklesschwert über dem freidemokratischen Amtsinhaber Rainer Brüderle, der es erst einmal in der Schublade verschwinden ließ. Mittlerweile sorgen jedoch Rachedurst und das Internet dafür, dass die unliebsame Studie durchs Netz floatet und zum tückischen Lindenblatt für den liberalen Jung-Siegfried im Gesundheitsministerium mutieren könnte.

Söder stichelt

Wie überhaupt Gutachter-Schlachten aus der gesundheitspolitischen Arena kaum mehr wegzudenken sind und keineswegs nur freidemokratische Minister in Bedrängnis bringen. Erinnert sei an den bizarren Expertenkrieg im Jahr 2007, als Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber noch durchs Land zog und beklagte, dass der Freistaat beim Gesundheitspoker verliere. Er beauftragte die Initiative Soziale Marktwirtschaft damit, die Zahlen aus dem Gesundheitsministerium zu widerlegen. Der unterlief dann ein peinlicher Rechenfehler, irgendwann trat Bert Rürup als Gutachter der Gutachter auf – und heute wundert man sich, dass die tot gesagten bayrischen Frontschweine immer noch leben. Besser als die Bayern leben indessen die Gutachter, die neben den Beratern einen ausgesprochenen Instinkt für das diversifizierende Geschäft entwickelt haben.

Mehr noch als das IGES-Gutachten könnte für Philipp Rösler allerdings die Expertise aus dem Finanzministerium zum Verhängnis werden. Es siedelt den Finanzbedarf für den Sozialausgleich bei der Kopfpauschale in derart astronomischen Höhen an, dass die Studie der FDP nun ständig um die Ohren geschlagen wird. Kaum hatte die Kanzlerin ihre Mannen zurechtgewiesen und ihnen den Rücken gedreht, stichelt der baye­rische Gesundheitsminister Markus Söder schon wieder gegen die gerade eingesetzte Regierungskommission und ihre Aufgabe, die er für „erledigt hält, bevor sie angefangen hat“. Söder fühlt sich wie Karl Lauterbach (SPD), der en passant dem ganzen Gremium überhaupt die Eignung abspricht, als Fachmann den gutachtenden Experten verbunden – eine klassische Vorlage fürs Politikseminar.

In diesem Fall holzten allerdings nicht zuerst FDP-Politiker zurück, sondern die Parteisoldaten aus den eigenen Reihen, die Söder mangelnde Disziplin und Illoyalität vorwarfen. Wenn zwei sich streiten, freuen sich bekanntlich Dritte. Das konnte man kürzlich auf einer Veranstaltung des Versicherungsforums in Berlin beobachten, bei der sich Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Union, mit der Grünen Biggi Bender in der Sache einiger schien als mit dem Kollegen von der FDP. Dass „Union und Grüne weiterhin Welten trennen“, gehört wohl eher in den eisernen Wunschbestand von CSU-General Hermann Gröhe als in die Welt der politischen Zukunft.

Die Kanzlerin, die nun schon wieder ihre Pfeife ansetzen muss, hätte gegen eine solche Koalition vielleicht gar nicht so viel einzuwenden. Seitdem die Grünen die Turnschuhe gegen Designer-Anzüge vertauscht haben und Kundgebungen im Bundestag der Linkspartei überlassen, kommen sie jedenfalls disziplinierter als die angeblichen Tabubrecher aus der FDP daher. Sie werde dafür sorgen, dass man zu Lösungen komme, ließ Angela Merkel inzwischen wissen. Fragt sich nur, ob es am Ende gesunde sind.

Die Studie des Iges-Instituts bei wikileaks

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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