Sex nur mit Ausweis

Gewerbe Im Rotlichtmilieu kritisieren viele das neue Prostitutionsgesetz. Es sehe zu viele Kontrollen vor
Ausgabe 25/2017
Sexarbeiter nur als Opfer zu sehen – dagegen begehren viele Frauen auf
Sexarbeiter nur als Opfer zu sehen – dagegen begehren viele Frauen auf

Illustration: der Freitag

„Ich war neugierig und hatte keine Lust, mich als studentische Hilfskraft ausbeuten zu lassen. Zuvor hatte ich kurz in der Gastronomie gearbeitet, das war schlimm. Meine Familie übte ziemlichen Druck auf mich aus, etwas neben meinem Studium dazuzuverdienen. Dann gehe ich eben anschaffen, dachte ich.“ Marleen ist Mitte zwanzig und Sexarbeiterin. In der Hurenbewegung engagiert sie sich schon länger, sie kämpft für bessere Arbeitsbedingungen in ihrem Beruf.

Wie für viele ihrer Mitstreiterinnen gehört Sexarbeit für sie in den Bereich der Care-Arbeit. Die Dienstleistung, die Sexworker für ihre Kundschaft verrichten, sei ebenso wichtig wie die einer Erzieherin oder einer Krankenschwester, argumentieren sie. Deshalb empfinden sie das von der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig im vergangenen Jahr noch auf den Weg gebrachte, lange verhandelte Prostituiertensschutzgesetz als Hohn: „Das Gesetz schützt Sexarbeiterinnen nicht, sondern kontrolliert und bevormundet sie“, erklärt Stefanie Klee von der Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“.

Die Kampagne wurde anlässlich des Hurentags am 2. Juni und vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli gestartet. Sie wird nicht nur von den Betroffenen selbst getragen, sondern auch von Beratungsstellen, Sozialarbeiterinnen und Juristinnen, die dem Gesetz kritisch gegenüberstehen.

Paternalistischer Impetus

Umstritten war das neue Gesetz von Anfang an. Denn im Unterschied zu der von den Grünen forcierten Liberalisierung der Prostitution in den 90er Jahren hat sich die gesellschaftliche Atmosphäre unter dem Eindruck von Menschenhandel verändert. Es geht nicht mehr um die Legalisierung von Prostitution durch geregelte Arbeitsverträge und Arbeitsschutzrechte, sondern um die Verhinderung ihrer negativen Erscheinungen und um die Herstellung eines „sauberen Rotlichts“. Der paternalistische Impetus, der dem Prostituiertenschutzgesetz nun eingeschrieben ist, trifft aber auch die große Mehrheit derjenigen, die dieser Tätigkeit selbstbewusst und selbstbestimmt nachgehen.

Ausgangspunkt der Kritik sind die neuen Kontrollmaßnahmen. Ab Juli müssen sich Sexworker ausnahmslos amtlich registrieren. Das gilt auch für diejenigen, die im Rahmen von Escort-Diensten arbeiten. Mit der Anmeldung sind eine verpflichtende Gesundheitsberatung , die auch die Lebensumstände der Betroffenen beinhaltet, verbunden. Die zuständige Behörde – je nach Bundesland wahrscheinlich im Umfeld der Gewerbe- oder Ordnungsämter – prüft die Personalien und entscheidet, ob ein entsprechender Ausweis ausgestellt wird.

Diesen Ausweis müssen die Sexworkerinnen dann immer bei sich tragen. Wer nicht angemeldet erwischt wird oder den Ausweis nicht bei sich trägt, dem droht ein Bußgeld. Die Meldedaten werden auf einer gesonderten Datenbank gespeichert, auf die Ordnungsämter, die Polizei, aber auch die Finanzbehörden Zugriff haben.

Die Strafrechtsanwältin Margarete von Galen ist davon überzeugt, dass das Prostitutionsgesetz nicht zu mehr Schutz, sondern zur Verschlechterung der Lage der Prostituierten führt. Schon die zwangsweise Gesundheitsberatung, aber auch die Pflicht, Auskunft über den in den nächsten zwei Jahren anvisierten Arbeitsort zu geben, widerspreche EU-Recht, insbesondere der EU-Dienstleistungsrichtlinie, die ein Grundrecht auf freie Berufsausübung garantiert und Gewerbeanmeldungen auch online erlaubt. Die Prostituierten haben sich dagegen persönlich vorzustellen. Wenn die Ordnungsämter innerhalb der Fünf-Tage-Frist nicht reagieren, laufen die Prostituierten Gefahr, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen, wenn sie ihren Beruf ausüben.

Auch einschlägig im Milieu tätige Sozialarbeiterinnen beobachten die Entwicklung kritisch. Astrid Gaab, Leiterin einer Fachberatungsstelle in Bochum, fürchtet, dass die Einführung einer Zwangsberatung den Zugang zu freiwilliger Beratung erschwert. „Frauen kommen in allen möglichen Rollen zur Beratung – als selbstbewusste Huren, als Aussteigerinnen, als Angehörige, als fremdbestimmte Opfer. Wenn sie nur noch als ‚defizitär‘ wahrgenommen werden, nehmen sie unsere Angebote nicht mehr wahr, tauchen unter.“

Marleen, die sich viel mit der internationalen Prostitutionsbewegung befasst hat, erzählt von einem ganz anderen Modell, das beispielsweise in Indien praktiziert wird. Dort informieren sich Sexarbeiterinnen gegenseitig über ihre Rechte und klären sich und die Gesellschaft über Safer Sex auf. Sie wehren sich gegen Polizeigewalt und bekämpfen den Menschenhandel in ihren Rotlichtvierteln. Im Rahmen dieser Peer Education entwickeln sie neues Selbstbewusstsein.

Diese Art von Selbstbewusstsein wolle man, so die Kritik der Kampagne, den Huren hierzulande aber gerade austreiben. Natürlich gebe es wie in vielen anderen Berufen auch in der Prostitution Zwang und Ausbeutung, meint Kathrin Schrader, die in Frankfurt lehrt und eine entschiedene Kritikerin der „selbsternannten Befreierinnen“ ist. Die einseitige Fokussierung auf diese Gruppe von Prostituierten hält sie für falsch.

„In der Ausbildung von Sozialarbeiterinnen kommen Sexarbeiterinnen bestenfalls als Opfer vor, schlimmstenfalls werden sie kriminalisiert oder pathologisiert. Dass Sexarbeit zum großen Bereich der Care-Arbeit gehört, unterliegt immer noch einem moralischen Denkverbot“, sagt Schrader.

Anwältin von Galen macht sich nach Inkrafttreten des Gesetzes aber gerade um diese Frauen Sorgen. „Was passiert mit denen, die keine Anmeldung erhalten? Wie reagieren die, die man gemeinhin als Zuhälter bezeichnet?“ Ihre Mitstreiterin Do Lindenberg, die seit vielen Jahren antirassistische Politik aus feministischer Perspektive macht, wird hellhörig, wenn sie von Gesetzen hört, bei denen Frauen „unter Zwang“ geschützt werden sollen: „Egal, ob es um so genannte Zwangsheiraten oder um vermeintliche Zwangsprostitution geht, seit langem dient die Darstellung von Migrantinnen als Opfer der Inszenierung staatlicher Kontrolle als Schutzmaßnahme. Unter dem Vorwand, Scheinehen und damit Zwangsprostitution zu verhindern, wurde beispielsweise die Zeit verlängert, die ein Paar mindestens zusammenleben muss, damit die nichtdeutsche Ehepartnerin ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhält.“

Dass Zwangsprostituierte vorgeschoben werden, um das gesamte Milieu unter Kontrolle zu bringen, vermutet auch die ehemalige Sexarbeiterin Elke Winkelmann, die heute im Wedding das „Freudenhaus Hase“ betreibt. In all den Jahren, sagt sie, hätten viele Frauen ihre Dienstleistungen bei ihr angeboten. Sie könne sich aber nur an zwei Frauen erinnern, die Probleme mit ihrem Lebensgefährten beziehungsweise Zuhälter gehabt hätten. „Im einen Fall konnten wir etwas unternehmen.“ Im anderen sei die Frau bei ihrem Mann geblieben und hätte nicht mehr bei ihr gearbeitet.

Winkelmann ist überzeugt: „Dieses Gesetz schützt die Frauen nicht.“ Und sie ärgert sich darüber, dass die Situation der Bordellbesitzer überhaupt nie in den Blick genommen wird, die auch von den neuen Richtlinien und Kontrollmaßnahmen betroffen sind. „Viele Bordelle werden schließen müssen, weil sie Auflagen nicht erfüllen können. Wo gehen die Frauen dann hin? Man sollte sie vielmehr darin bestärken, selbstbestimmt zu arbeiten.“

Stigmatisiert als Nutte

Marleen verbindet mit ihrer gegenwärtigen Tätigkeit vorerst noch eine Lebensperspektive. „Ich will das nicht Vollzeit machen. Aber ich möchte überhaupt nicht Vollzeit arbeiten.“ Was sie belaste, sei die Stigmatisierung, die ihre Eltern, die in einer ländlichen Gegend leben, aushalten müssten. „Ich habe meinen Eltern erzählt, was ich mache. Sie haben mich gebeten, es nicht weiterzuerzählen. Aber dann wurde ich zwangsgeoutet.“

Ihre Mutter arbeite im öffentlichen Dienst und müsse sich seitdem von ihrem Vorgesetzten blöde Sprüche anhören, erzählt Marlen. „Auch mein Bruder leidet stark darunter. In der Disco bekommt er beispielsweise zu hören, er sei doch der Bruder einer Nutte, keine will mit ihm zu tun haben. Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, fängt meine Mutter an, ob ich das noch immer mache, ob ich mir nichts anderes suchen könne.“

Die von Marleen mitinitiierte Kampagne wendet sich deshalb nicht nur gegen das neue Gesetz, sondern sie will vor allem auch dazu beitragen, ein neues Verständnis von Sexarbeit in die Gesellschaft zu tragen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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