Sie kommen dann mal nach

Pioniere Was ist eigentlich ­bewiesen, wenn Frauen Macht erhalten? Über einige vergessene ­Zusammenhänge von ­Beruf, Leistung und Geschlecht

Es reicht. Dieses unendliche Gerede von der neuen Meritokratie, die – endlich! – Frauen an die Spitzen von Regierungen, Konzernen und demnächst vielleicht sogar Armeen hievt. Öffentlich präsentierte Vorbilder sollen angeblich beweisen, dass sich Leistung lohnt, selbst wenn man (!) eine Frau ist. Oder gerade weil man eine Frau ist? Die Damen jedenfalls beeilen sich zu versichern: Nein, sie seien garantiert nicht nur Mittel zum Zweck, nicht nur Joker, die eine staatlich verordnete Quote verhindern sollen, sondern stünden einfach kraft ihrer Leistung bereit. So gerade eben wieder bei der Telekom geschehen. Deren Chef, René Obermann, lässt sich nun als Held der Emanzipation feiern.

Manchmal glaubt man, in einer verkehrten Welt zu leben: Da beschimpfen so genannte Karrierefrauen ihre Schwestern, sie seien an ihrem Unglück selbst schuld, weil sie aus (Erfolgs-)Angst und Bequemlichkeit ihren Hintern nicht hochbrächten und sich hinter dem Kinderwagen verschanzten. Die Karriereweiber dagegen müssen sich gegen den Vorwurf verteidigen, nur ein geschlechtsspezifisches Plansoll zu erfüllen. Sie werden misstrauisch beäugt von Altfeministinnen, die nun endlich die Zonen der Macht umgekrempelt sehen wollen, und von Männern, die fürchten, als Mauerblümchen zu enden, und ziemlich aggressiv reagieren, wenn es um Pfründe geht.

Starke Aufsteigerinnen

Aber was ist eigentlich erreicht, gewonnen oder bewiesen damit, dass Frauen es – was auch immer „es“ sein mag – auch können? Zunächst einmal nur, dass Konzerne wie die Telekom das Diversity Management als Unternehmensstrategie entdeckt haben. Vielfalt ist ein ökonomischer Wertefaktor, und eine heterogene, gut austarierte Mitarbeiterstruktur kann ein Wettbewerbsvorteil sein. Das ist ökonomische Rationalität, die zunächst gar nichts mit Gleichstellungspolitik zu tun hat. Warum sollte man Manager in teure Trainingskurse schicken, um kommunikative Kompetenz, Teamfähigkeit oder Empathie zu schulen, wenn Frauen das quasi „von Haus aus“ mitbringen? So mag einer wie Obermann kalkulieren. Und das war einmal ein feministisches Argument gegen die unternehmerische Einverleibung des so genannten „weiblichen Arbeitsvermögens“.

Woran sich natürlich die Frage anschließt, ob die betroffenen Frauen nun aufgrund einer befürchteten Quote Karriere machen oder weil sie über die fachlichen Kompetenzen hinaus, die sie mit Männern teilen, noch etwas anderes, etwas spezifisch „Weibliches“ einbringen, was sie männlichen Konkurrenten überlegen machte. Dass Frauen gleichzeitig Windeln wechseln, kochen, den Handwerker und die Schulaufgaben der größeren Kinder beaufsichtigen, den deprimierten Ehemann immer wieder aufrichten und nebenher vom häuslichen Arbeitsplatz aus auch noch ihren eigentlichen Job erledigen können sollten, galt einmal als Surplus, als spezifisches Unternehmertum, das Frauen gegenüber Männern auszeichnete.

Heutzutage nennt man das Multitasking – und das wird von den Vordenkern der „Müdigkeitsgesellschaft“ wie Byung-Chul Han, der zumindest einige Auserwählte gerne in die Zonen der Kontemplation zurückversetzt sähe, schon wieder heftig kritisiert. Doch die Vorstellung hatte lange Zeit Konjunktur: Wenn Frauen – ohnehin die besseren Menschen – in die oberen Hierarchien aufstiegen, würden sie den ganzen Apparat gründlich ausputzen, ein neues Zeitregiment einführen und den ganzen Kapitalismus in eine Art semi-sozialistische moralische Ökonomie überführen.

Das ist, soweit man sieht, bislang nicht eingelöst worden, auch wenn in einer weiblich geführten Unternehmenshierarchie gelegentlich ein moderaterer Ton herrschen mag (und in den mittleren Etagen ein noch gnadenloserer Zickenkrieg). Im Gegenteil sind die Frauen, wenn sie die gläserne Decke durchbrechen, ja gerade dazu gezwungen, mindestens so rational, effektiv und gegebenenfalls eben auch so rücksichtslos zu handeln wie Männer, wenn sie erfolgreich sein wollen. Sie habe sich auf männlich dominierten Feldern durchgesetzt und fühle sich nicht als Quoten-, sondern als Pionierfrau, lässt die einstige McKinsey-Beraterin Claudia Nemat, demnächst im Vorstand der Telekom, wissen. Dass sie bei den Aufräumarbeiten bei der griechischen Konzerntochter OTE besonders moralisch oder sozial vorgehen wird, ist kaum zu erwarten.

Die Aufwertung des „Weiblichen“, wie sie gelegentlich noch in Frauenförderplänen aufscheint, führt in eine Sackgasse. Das sollte eigentlich gelernt worden sein. Entscheidend ist nicht, ob ein Mann oder eine Frau eine bestimmte Position einnimmt, sondern dass das, was als „Frauen-“ und als „Männerarbeit“ angesehen wird, in hierarchischer Beziehung zueinander steht. Die Differenz soll deutlich bleiben: Der in der Kindertagesstätte als Ausnahmeerscheinung arbeitende Erzieher wird bei allen „weiblichen“ Anteilen, die er einbringen mag, dringlich darauf pochen müssen, als Mann wahrgenommen zu werden; die in der Vorstandsetage tätige Frau muss „ihren Mann stehen“ und gleichzeitig deutlich machen, dass sie „trotzdem“ eine Frau bleibt.

Während der eine wirklich ein Pionier ist, kommt die andere – trotz gegenteiliger Wahrnehmung – immer zu spät, weil sie in einer unendlichen Aufholjagd stets beweisen muss, auch „wie ein Mann“ funktionieren zu können –, selbst wenn sie durch Statusgewinn entschädigt wird.

Ob die Jobs in den Machtzentralen, die im Unterschied zu so genannten handfesten Berufen inhaltlich entleert sind, durch eine zunehmende „Feminisierung“ an Prestige einbüßen, lässt sich noch nicht ausmachen. Historisch lässt sich allerdings nachweisen, dass sich Berufe quasi hinter dem Rücken der Akteure „vergeschlechtlichen“, und zwar ganz unabhängig von ihren Inhalten: Die Chemie und die Informatik beispielsweise waren ursprünglich von Frauen dominiert, gewannen aber erst an Ansehen, als sie von Männern okkupiert wurden. Man könnte es auch umgekehrt formulieren: Als sie sich zu aussichtsreichen Berufsfeldern entwickelten, drangen Männer ein und schlossen Frauen aus. Zu entscheiden, welche Sicht nun stimmt, gleicht der Frage, ob es zuerst die Henne oder das Ei gab.

Stärkere Systemlogik

Die Aufsteigerinnen, die neuerdings so gefeiert werden, werden also weiterhin in Verdacht stehen, dass in ihrem Fall Geschlecht vor Qualifikation gegangen sei – und sie werden den Beweis des Gegenteils nie antreten können, weil der eventuell durchgefallene Mann ja nicht mehr unmittelbar konkurriert. Was eine interessante Perspektive auf die eigentümliche „männliche“ und „weibliche“ Leistungserfahrung eröffnet: Während Männer ihre Verdienste ganz selbstverständlich ihrer fachlichen Kompetenz zuschreiben dürfen, kommen Frauen eher als Quereinsteigerinnen in die Leistungsgesellschaft.

Bereits schulische Leistungen von Mädchen werden anders wahrgenommen als die von Jungen, und Mädchen verfolgen mit Leistung viel häufiger soziale Ziele als ihre männlichen Altersgenossen. Wenn Frauen also aufsteigen, besteht ihre Leistung zunächst einmal darin, es gegen alle Widerstände „geschafft“ zu haben – und zwar nicht innerhalb einer selbstverständlichen Kohorte wie Männer, sondern als Einzelne.

Dass sie dort, wo sie dann ankommen, unter Umständen in Atemnot geraten können, ist nichts Neues. Es war einmal die Kritik an dieser Art von Leistungsgesellschaft, die Frauen dazu veranlasste, sich auf diesen Deal lieber nicht einzulassen. Sie wollten den hohen Preis nicht zahlen und hatten darüber hinaus die dunkle Ahnung, dass sie auch als Frauen die Systemlogik nicht würden unterwandern können.

Es sei dahingestellt, ob diese Strategie Erfolg verspricht. Doch angesichts der Niederungen, in die die neuerliche Quotendebatte geraten ist, würde man sich wünschen, dass zumindest das verfügbare Wissen über den Zusammenhang von Beruf, Erfolg und Geschlecht wieder ins gesellschaftliche Bewusstsein aufstiege. Vielleicht ist das in einer Vergessenskultur, die weibliche Leistung generell unterschätzt, aber auch schon zu viel verlangt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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