Mit der Gesundheitsreform ist es mittlerweile so wie mit dem, wovor sie schützen soll, der Krankheit: Nur überstehen will man sie. Das gilt nicht nur für die politische Koalition in Berlin und für die langsam in Agonie verfallende Presse, sondern auch für das nun schon jahrelang mit verquerem Vokabular, widersprüchlichen Gutachten und Einsprüchen aller Art malträtierte Publikum. Wer den Weg bis hierher mitgegangen ist, wünscht sich nur noch, der Bundestag möge Anfang Februar diese ungeliebte "Reform" durchwinken. Damit es ein Ende hat mit dem quälenden Geschacher und man nicht, wie in Berlin seit vergangenem Mittwoch, wieder vor verschlossenen Praxistüren steht, weil die Ärzteschaft - diesmal vielleicht persönlich im weißen Kittel und nicht vertreten durch angeheuertes studentisches Personal - gegen die Gesundheitsreform protestiert.
Dabei haben die Ärzte noch vergleichsweise gut abgeschnitten beim erneuten Lobby-Poker. Sollte die Honorarreform der Ärzte 2009 ursprünglich kostenneutral starten und der Punktwert nur auf einen verbindlichen Euro-Wert umgerechnet werden, ist die Ministerin den Ärzteverbänden nun entgegengekommen. Alljährlich soll der Bewertungsausschuss einen neuen Orientierungswert festlegen können, der an die tatsächlichen Kosten der Ärzte angepasst ist, allerdings mit Budgetgrenzen nach oben. Durchgesetzt haben sich die Ärzte auch damit, dass Kollegen, die sich künftig in überversorgten Gebieten (wie Oberbayern) niederlassen, nicht mit Honorareinbußen zu rechnen haben; wer in schlechter versorgten Regionen eine Praxis eröffnet, darf dagegen - allerdings erst ab 2011, denn bis dahin wurde die gesamte Honorarreform verschoben - mit Zuschlägen rechnen. Dann sollen auch die Fallpauschalen für Niedergelassene in Kraft treten.
Mag man für die Forderung, dass eine bestimmte Leistung mit einer berechenbaren Vergütung abgegolten werden sollte, noch Verständnis aufbringen, wirkt die Allianz zwischen Ärztelobby und Privatversicherern schon unheiliger. Wenn die Privaten künftig einen Basistarif anbieten müssen und möglicherweise viele der heute in der PKV Versicherten in billigere Alternativen abwandern, fürchten die Ärzte um ihre Mischkalkulation in den Praxen. Leistungen für basisversicherte Patienten sind dann nur noch auf dem Niveau der Kassenpatienten abzurechnen, statt wie bisher das 2,3-fache für persönliche und das 1,8-fache für technische Leistungen.
Ob es allerdings überhaupt zu diesem Massenexodus aus den gehobenen Privattarifen in den Standard- und ab 2009 in den für die Privatkassen obligatorisch anzubietenden Basistarif kommt, bleibt abzuwarten. Denn hier hat, wie die SPD-Gesundheitsexpertin Andrea Nahles nach den Verhandlungen süffisant anmerkte, die Union für die Versicherungsunternehmen tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Ursprünglich für Juli 2007 geplant, ist das Unternehmen erst einmal um anderthalb Jahre verschoben und der Zeitkorridor mit sechs Monaten so verengt worden, dass Altkunden sich schon sehr beeilen müssen, wenn sie den Anbieter oder in den Basistarif wechseln wollen. Allein den über 55-Jährigen steht auch nach dem 30. Juni 2009 der Wechsel in den Basistarif offen - allerdings nur beim alten Versicherer. Auch bei der Mitnahme der Altersrückstellungen, die Privatversicherte bereits angespart haben, hat die PKV nach Punkten gewonnen: rund ein Drittel davon verbleibt nach einem Wechsel beim bisherigen Unternehmen.
Neukunden hingegen - und das heißt künftig auch all jene, die nicht über die gesetzlichen Kassen versicherbar sind oder von ihnen nicht mehr aufgenommen werden - können sich ab dem 1. Juli dieses Jahres im Standardtarif, und nach dem 1. Januar 2009 zeitlich unbegrenzt für den Basistarif entscheiden. Er soll 500 Euro nicht übersteigen und kann für Einkommensschwache noch einmal halbiert werden; für Zahlungsunfähige springt die Arbeitsagentur oder das Sozialamt ein. Mit der Krankenversicherungspflicht für alle hat das Gesundheitsministerium einen lange anhaltenden Skandal beendet - dass sich schätzungsweise 200.000 Menschen in Deutschland bislang nämlich überhaupt nicht gegen Krankheit absichern konnten.
Ausgerechnet das nun als "Riesenerfolg" zu feiern, ist schon im Hinblick auf den einmal beabsichtigten "großen Wurf" der Bürgerversicherung ein politischer Witz. Rechnet man diese Zahl, die nun die Privaten gezwungen sind aufzunehmen, gegen die vielen Alten und chronisch Kranken auf, die selbstverständlich von der Gesamtheit der Kassenpatienten mitgetragen werden, dann ist bei dem ganzen Geschrei um die Privatversicherung höchstens ein Solidaritätsablass herausgekommen. Zumal auch der ab 2009 eingeführte Basistarif wieder individuell berechnet wird und Frauen, Ältere und Kranke mehr werden bezahlen müssen als gesunde junge Männer, was offenbar niemanden stört.
Experten indes glauben ohnehin nicht, dass sechs Monate ausreichen, um die private Versicherungslandschaft aufzumischen und den Wettbewerb zu forcieren. Deshalb sind die Drohungen der Versicherer, Altkunden müssten künftig mit bis zu zwölf Prozent mehr Beitrag rechnen, eher als Stimmungsmache zu bewerten - nicht zuletzt, um den beabsichtigten Gang zum Verfassungsgericht zu legitimieren. Spannend könnte allerdings werden, was kürzlich in einer Serviceseite des Berliner Tagesspiegel anklang: Dort wurde die Befürchtung der Versicherer kolportiert, der Staat könnte die neuen Regelungen zum Anlass nehmen, seine privat versicherten Beamten massenhaft in den Basistarif zu treiben, um auf diese Weise Geld zu sparen.
Dass es nach dem bayrischen Debakel noch nennenswerten Widerstand gegen das Gesetzesprojekt geben wird, ist kaum zu erwarten, in den Ländern wird das Paket derzeit schon verhandelt. Auch die SPD wird ihre Ministerin nicht im Regen stehen lassen, auch wenn gemunkelt wird, nicht einmal jeder vierte Sozialdemokrat zeige Neigung zu ihrem Werk. Während sich die Abgeordneten auf die Koalitionsräson herausreden werden, beabsichtigen die "Brückenköpfe des Widerstands" - von Reimann über Lauterbach bis Wordarg - der abschließenden Sitzung im Gesundheitsausschuss fernzubleiben und - in kreativer Auslegung des Ärzteprotests - ihre Vertreter vorzuschicken. Bliebe am Ende nur noch der Bundespräsident, der, wieder einmal, einem Gesetz die Unterschrift verweigern könnte - und das Verfassungsgericht. Sicher ist: Die Gesundheitsreform wird uns auch über den Überdruss hinaus beschäftigen.
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