Zu den Zivilisationsleistungen moderner Gesellschaften gehört die Abschaffung der körperlichen Züchtigung, in der Erziehung ebenso wie in den Straflagern aller Art. Strafe nicht aus Rache und Vergeltung, sondern zum Zwecke der Besserung und Normierung des Delinquenten. Mitunter scheint jedoch auch in der deutschen Justiz das alte Strafsystem durch und erinnert daran, dass der Körper genuin in das Disziplinarsystem eingespannt bleibt. Die den drei ehemaligen RAF-Mitgliedern Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Knut Folkerts angedrohte Beugehaft signalisiert schon sprachlich, worum es geht: Der Geist soll sich beugen mittels physischer Intervention. Man mag das Schweigekartell der ehemaligen RAF-Mitglieder als letzten hilflosen Aufstand einer anachronistisch anmutenden Ära empfinden und den Verfassungsschutz der Mittäterschaft zeihen, weil er die Akten zum Buback-Mord unter Verschluss hält. Man mag auch Verständnis dafür haben, dass Angehörige Aufklärung wünschen. Dass die "Beugehaft" nun allerdings als letztes Mittel in Anschlag kommt, um mit dem Körper den Geist zu krümmen, verweist auf die Grenzen einer "therapeutischen" Justiz, wenn es um Gesinnung geht und um das, was wir schon Kindern beibringen: den "aufrechten Gang".
Spät gekrümmt
Geschrieben von
Ulrike Baureithel
Redakteurin (FM)
Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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