Sterbehilfe für Arafat?

Patientenverfügung Ministerin Zypries legt einen umstrittenen Gesetzentwurf vor

In Paris liegt der palästinensische Präsident Yassir Arafat in einem Krankenhaus und ringt mit dem Tod. Selten war die Nachrichtenlage so widersprüchlich über den Gesundheitszustand eines Politiker: Mal geht das Gerücht, Arafat sei bereits hirntot, dann wieder erklären Ärzte, er liege "nur" in einem tiefen Koma und sein Zustand sei nicht irreversibel. Der politische Sinn dieses Verwirrspiels liegt auf der Hand. Doch stellen wir uns einmal den Fall vor, Yassir Arafat hätte vorab verfügt, was in einem solchen Fall zu geschehen hätte. Je nach Rechtslage müssten seine behandelnden Ärzte dann die Apparate abstellen, ungeachtet aller politischen Folgen.

Nun ist dies im Falle Arafat tatsächlich nur theoretisch, denn dass Arafat einen "vorletzten Willen" über die Umstände seines Sterbens niedergelegt haben könnte, ist schwer vorstellbar. Doch einmal angenommen, er hätte verfügt, im Falle eines zum Tod führenden Zustandes möchte er fern von allen Apparaturen in Ruhe sterben, wüsste man, wie es um ihn steht und ob man noch Hoffnung haben kann.

Das deutsche Parlament diskutiert zur Zeit sehr kontrovers über den Umgang mit solchen Patientenverfügungen. Ginge es nach der parlamentarischen Ethikkommission, wären Ärzte nur im ersten Fall - im Zustand irreversiblen Sterbens - berechtigt, einen Patienten von den Apparaten zu nehmen, vorausgesetzt, er hätte dies bei vollem Bewusstsein schriftlich erklärt. Die Kommission will angesichts strapazierter Gesundheitskassen und eines zunehmend altenfeindlichen Klimas Missbrauch verhindern, das hatte sie in ihrem kürzlich vorgelegten Zwischenbericht an den Bundestag sehr deutlich gemacht. Fragwürdig sind Vorverfügungen insbesondere dann, wenn es sich um einen medizinisch nicht hoffnungslosen Fall handelt, weil sie Ärzte einerseits in Konflikt zu ihrem Behandlungsauftrag bringen und ein Gesunder andererseits nie vorab in einen entsprechenden Zustand antizipieren und entsprechend entscheiden kann.

Eben diese Bedenken teilt Justizministerin Zypries offenbar nicht. Ihr vergangene Woche vorgelegter Gesetzentwurf, der die Selbstbestimmung von Patienten stärken will, brüskiert nicht nur die Enquete-Kommission, sondern auch große Teile der Ärzteschaft. Wenn ihre Vorlage Gesetz würde, hätte ein Patient auch das Entscheidungsrecht über Situationen, die nicht unweigerlich zum Tode führen und das medizinische Personal würde zu dessen Erfüllungsgehilfen. Zypries argumentiert aus der Warte der Betroffenen: Es gehe nicht an, dass ein Patient bei Bewusstsein jederzeit auf eigenes Risiko eine Behandlung ablehnen könne, bewusstlos aber der ärztlichen Willkür ausgeliefert sei. Darüber hinaus sieht sie im Unterschied zur Kommission auch keine Veranlassung, verbindliche formale Kriterien für ein Patiententestament festzuschreiben, was seitens der Sterbehilfeskeptiker zusätzlich kritisiert wird.

Befinden wir uns nun auf einem abschüssigen Weg, zumal dann, wenn nur der "mutmaßliche Wille" des Patienten abgefragt wird und Dritte über sein Wohl und Wehe entscheiden? Oder stärkt die Initiative der Ministerin tatsächlich die Patientenautonomie? Sieben Millionen Patientenverfügungen soll es bereits geben, doch eine rechtliche Regelung, wie im Bedarfsfall damit umgegangen wird, existiert nicht, weshalb Streitfälle bislang juristisch bis hin zum Bundesgerichtshof entschieden wurden. Letzterer erklärte das Vormundschaftsgericht zur letzten Entscheidungsinstanz.

Auffällig an den Reaktionen auf den Zypries-Entwurf ist, dass sowohl Unterstützung als auch Kritik aus allen Fraktionen kommen. Während beispielsweise die Grüne Christa Nickels behauptet, die Vorlage verstärke die bestehenden Rechtsunsicherheiten noch, sieht Irmingard Schewe-Gerigk die Ministerin "auf dem richtigen Weg". Sie lobt ausdrücklich, dass sich der Entwurf über die Empfehlung der Enquete hinwegsetzt und die "Mündigkeit des Patienten" anerkennt. In der SPD-Fraktion - etwa seitens Enquete-Mitglied Wolfgang Wodarg - stößt der Entwurf auf Ablehnung, Ähnliches gilt auch für Vertreter der CDU; die CSU-Sozialministerin Christa Stewens wiederum begrüßt den Vorstoß Zypries´. Dieses geteilte Echo allerdings spricht auch dafür, dass die Änderung des Betreuungsgesetzes - ähnlich wie beim 218-Kompromiss, beim Transplantations- oder beim Stammzellgesetz - aus der Mitte des Bundestags kommen sollte. Es müssen dort ja nicht immer nur "faule Kompromisse" gefunden werden.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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