Zuganschlübzoogakeivekekakabauuu... Über mir das gewohnte Gekrächze am Bahnhof Friedrichstraße. Wer hier ankommt, weiß nicht weiter. Seit Jahrzehnten würgt die Anlage an den Verstopfungen der Stadt, rülpst eruptisch und führt ihre Flatulenzen lautmalerisch ab. Kein Einheimischer und schon gar kein Fremder weiß diesen Lautwinden Sinn zu geben. Aber immer deuten sie auf eine Darmverschlingung hin. Auch dieses Mal werde ich nicht enttäuscht: Die S-Bahn-Aufsicht hat ein unbekanntes Objekt in den Gleisgedärmen geortet, das die geregelte Abführung Richtung Westen verhindert. Hilflos hängen die Wartenden in einer Darmschleife.
Ich kann nicht warten. Ich muss weiter zum Reichstag. Zu einer öffentlichen Angelegenheit zu spät zu kommen, hieße, den anfälligen Verdauungsapparat zusätzlich zu strapazieren. Es schneit und ist bitterkalt, zu kalt für einen Fußmarsch. Also winke ich ein Taxi. Durchs Brandenburger Tor, klärt mich der mitteilsame Fahrer auf, dürfe er nicht mehr fahren und fädelt sich in den Linksabbieger-Wurm in die Behrensstraße. "Die Willemstraße is jesperrt von wejen de Terroristen", hält er mich auf dem Laufenden. Ecke Behrens-/Wilhemstraße steht ein halbes Dutzend Grüne im Schneetreiben. Ob die wohl die Bombe erkennen würden, die die unschuldig an der geschützten englischen Botschaft vorbei spazierende Selbstmordattentäterin in ihrem Rucksack trägt?
Während ich über Nutz und Unfug staatlicher Sicherheitsmaßnahmen sinniere, plaudert mein Chauffeur über alte Zeiten, als es noch die Amis gab und ihre Dollars, die von Berlin bis nach Sankt Pauli reichten. "Die fuhr ick am Wochenende zur Reeperbahn, dann Warten un wida zurück, det warn rejelles Jeschäft." Ganz "rejell" ist auch die Summe, die er mir für den knappen Kilometer abnimmt, als er mich vor dem Haus des Volkes endlich ausspuckt.
Im Schneegestöber wirkt der Reichstag ein bisschen wie vor zehn Jahren, als die Christo-Company begann, ihn vor den Augen der Stadt zu verschleiern. Heute würde die spektakuläre Aktion ja vielleicht unter das Kopftuch-Verbot fallen, was allerdings unterstellen würde, dass der Reichstag eine Dame ist. Statt der langen Touristenschlangen, die sich normalerweise um das Gebäude winden, haben sich an diesem Morgen nur ein paar Unverdrossene zum Besuchereingang West verirrt. Ich versuche es ostwärts und stehe vor verschlossenen Toren. Spreeseitig bedeutet man mir, ganz falsch zu liegen, und schickt mich nach Süden. Schneenass frage ich mich, warum ich mir ein Taxi geleistet habe.
Das Initiationsritual ist heute vergleichsweise problemlos. Als ich das letzte Mal im Paul-Löbe-Haus vis-à-vis vorstellig wurde, beförderte mich der diensthabende Cerberus umstandslos wieder vor die Türe, weil mir irgendein wichtiger Stempel fehlte. Die Einlasskontrolle ist der Flughafenprozedur nachempfunden, nur dass die fünf Ordnungskräfte meine winzige Nagelschere, mit der ich den Bundeskanzler gleich zu erstechen beabsichtige, übersehen.
Schäfchenbrav folgen wir einer weiteren Aufsichtsdame, die uns aus den düsteren Niederungen (Dienstboten aller Art) in die lichten Höhen der Sitzungssäle geleitet. Über dem dritten Obergeschoss wölbt sich die berühmte Kuppel, in der die Besucherfliegen kleben. Links vorbei am Marie-Juchacz-Saal (SPD, aber wer weiß eigentlich noch, dass das einmal eine streitbare Frauenrechtlerin war?) schließlich der Sitzungssaal der CDU, wo die Anhörung stattfinden soll.
Verglichen mit dem knallig-feministischen (oder eher katholischen?) Lila im Plenarsaal wirkt das CDU-Bleu langweilig. Einzig ein riesiges stilisiertes Holzkreuz schmückt den sinnenfeindlichen Raum. Diese verfassungsrechtlich höchst bedenkliche, demonstrative Zurschaustellung eines religiösen Symbols bewahrt mich in den folgenden pausenlosen Sitzungsstunden immerhin vor lähmender Agonie: Die unregelmäßigen Schenkel sind eine Herausforderung, die die an diesem Ort übliche banale Parteiarithmetik blamiert.
Die letzte halbe Stunde der Anhörung schenke ich mir. Berlinbräsig habe ich mir den Besuch der Glaskuppel bislang verkniffen, doch dieser ruhige Tag ist eine günstige Gelegenheit. Neben mir blickt eine ausländische Schulklasse gerade in den Plenarsaal hinunter und wird darin unterwiesen, wie elegant hier zu Lande Politik in Technik zu übersetzen ist: Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse ändern, erklärt der Lehrkörper, lässt sich das Fraktionsgestühl einfach nach links oder rechts verschieben. So einfach ist das in Deutschland!
Ich nehme die Höhenspirale in den Kuppelbau. Rechts lastet Kanzlertektonik, links schwebt die Spielzeug-Quadriga über dem Brandenburger Tor. Dazwischen das stockende und gärende Verdauungssystem der Stadt.
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