Strahlende Zukunft

Rheinsberger Abende Überm Stechlin glüht es. Es brennt nicht wirklich. Es strahlt auch nicht unsichtbar. Das hat es nie, wie uns später die alten Ingenieure versichern ...

Überm Stechlin glüht es. Es brennt nicht wirklich. Es strahlt auch nicht unsichtbar. Das hat es nie, wie uns später die alten Ingenieure versichern werden, die noch immer stolz sind auf ihre Technik. Nein, an diesem Vormittag lodert der herbstliche Wald in den weiten Himmel. Der See liegt spiegelglatt, kein Boot, noch nicht einmal ein Habicht, von dem Fontane erzählt. Neuglobsow ist schon in frühe Winterruhe gefallen. Vom Bootssteg aus kann man Richtung Westen einen Schornstein erkennen. Harmlos sieht der aus. Demnächst soll er wieder Farbe tragen, hören wir. Wegen der Flugzeuge.

Wir tasten uns durch den Wald am Zaun entlang voran. Dieser Zaun, keine zwei Meter hoch und mit einfachem Stacheldraht bewehrt, irritiert mich. Alte Erinnerungen steigen auf. Als ich jeden Morgen kurz vor acht hinter einem gigantischen Verhau verschwand, Natodraht-gesichert, mitten in der bewaldeten Pampa auch da. Mit mir tausend andere Kernkraftwerker, die sich jenseits des antiimperialistischen Walls um eine strahlende Zukunft bemühten. Hier in Rheinsberg, erzählt die Stadtschreiberin, habe man das Gelände anfangs sogar nur durch einen Holzzaun geschützt. Erst als sich Tiere darunter durchgruben und sich auf dem Kraftwerkgelände breitmachten, bemühte man sich um stabilere Abgrenzung. Angst vor terroristischen Anschlägen? Vor Sabotage? Industriespionage? Woher denn! Doch nicht im ersten Arbeiter- und Bauernstaat. Dort gehörte die Technik dem Volk.

Auf brandenburgischen Sand haben sie das Kernkraftwerk Rheinsberg gesetzt, das erste überhaupt in der deutsch-deutschen Geschichte. Es ist auch das Erste, das wieder abgebaut wird, Rückbau und Stilllegung nennt sich das, was seit 1990 dort passiert. Wir wollen uns ansehen, was vom "Kontrakt 903" übriggeblieben ist, dem beispiellosen Techniktransfer zwischen dem großen Bruder Sowjetunion und der kleinen DDR. Das war 1958. Die Rheinsberger Stadtschreiberin hat seine Spur aufgenommen. Wir folgen ihr.

Für die ausschließlich "friedliche Nutzung der Kernenergie" bürgen schon die Tauben im Eingangstor. Dahinter ein Pulk Kollegen, die aussehen, als hätten sie früher mal zum ständigen Blockiererpersonal (West) gehört. Zwischen ihnen ältere Herren, die wehmütigen Auges übers Gelände irren. Die Besichtigung führt uns am "Sozialbau" vorbei ins Kraftwerkgebäude. Lindgrün und rostrot, original sechziger Jahre, geht es durch lange, knastähnliche Gänge. Mit 70 Megawatt, erzählt uns unser Führer, war Rheinsberg ein vergleichsweise kleines Kraftwerk.

Wir stehen in der entkernten Halle, die vor fünfzehn Jahren noch "heiß" fuhr und Saft in den bereits siechen Staat pumpte. Verdampferanlage, Kühlkreislauf, Dampferzeuger, Turbine, Generator, Abklingbecken... die Begriffe fliegen an uns vorbei. Gelegentlich macht jemand durch Laienkenntnis auf sich aufmerksam. Ich erinnere mich an Flusserwärmung, Grundwasserabsenkung. Warum es eigentlich keine Kühltürme gäbe, fragt jemand. Die Seen! Der Stechlin! Auf ein Grad Erwärmung habe man es damals gebracht, wird ein Kraftwerker berichten. Wer je im Stechlin gebadet hat, wird das zu schätzen wissen.

Das Kontrollzentrum. Klobige schwarze Hebel und Knöpfe. Vorsintflutliche Kontrolllampen, Messgeräte. Keine Computer. Das Ganze erinnert an einen Science-Fiction-Film aus den fünfziger Jahren. Ist ja auch nicht so falsch. Energie aus Kernspaltung war selbst für technikbegeisterte Ostler gespenstisch. Im hinterwäldlerischen Rheinsberg war man vom "Kontrakt 903" ohnehin wenig begeistert. Man fürchtete um die Sommerfrischler.

Wir kommen am sogenannten Zwischenlager für feste und flüssige radioaktive Betriebsabfälle vorbei. Dort wird auch der "Aushub" gelagert, bevor er "reingemessen" wird und unbedenklich wieder verwendet werden kann. Überall liegen Steinbrocken herum. Über 17 Tausend Tonnen Abbau bis Ende 2001, registriert eine Werbebroschüre. Überreste einer strahlenden Zukunft. Das Unwohlsein steht den Besuchern ins Gesicht geschrieben.

Im museal wirkenden "Sozialbau" stellt die Stadtschreiberin ihr Buch vor. Es handelt vom einst erfolgversprechenden sozialen Laborversuch (DDR) und von der Technikeuphorie seiner Probanden. Die Stadtschreiberin gibt sich lakonisch. Die Kraftwerker sehen ihr Aufbauwerk nicht gewürdigt. Strahlenunfälle, widerspricht der Leiter unbeholfen, habe es in Rheinsberg nie gegeben. Die Kraftwerker, sagt auch die Stadtschreiberin, waren eine Familie. Den Russen, sagen die Ingenieure, sind wir zu gründlich gewesen. Während in Moskau noch geplant wurde, wurde in Rheinsberg schon gebaut, liest die Stadtschreiberin vor. Geklaut, sagen die Kraftwerker, haben alle.

Nach der Lesung wird Wasser gereicht. Im Werk herrscht Alkoholverbot. Mit den Russen, wiederholen die Kraftwerker, sei es manchmal schwierig gewesen. Aber abends habe man sich immer wieder verbrüdert. Was auch immer das heißen mag.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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