Subbotnik im Süden

Solidarität Einst war für Linke aus West und Ost Nicaragua ein Land der Hoffnung, das unbedingt unterstützt werden musste
Ausgabe 30/2018
Friedensdemo in Bonn, 1985
Friedensdemo in Bonn, 1985

Foto: Sommer/Imago

„Für mich“, heißt es im Brief eines Freundes aus dem Jahr 1980, „erfüllt sich mit Nicaragua auch eine Utopie. Und es gibt mir die Hoffnung, dass sich irgendwann auch hier noch einmal etwas bewegt.“ Knapper war kaum zu formulieren, was mit dem revolutionären Nicaragua einmal verbunden wurde. Inmitten der Agonie, die sich in der Bundesrepublik nach dem NATO-Doppelbeschluss verbreitet hatte, und die sich mit der von Helmut Kohl 1982 ausgerufenen „geistig-moralischen Wende“ noch verstärkte, wurde das kleine zentralamerikanische Land zum Sehnsuchtsort, auf den wir alle unsere politischen Wünsche und Erwartungen beziehen konnten.

Nach dem schwierigen Weg Vietnams, nach den manchmal nur schwer zu verteidigenden Aktionen der Palästinenser, dem Sturz Allendes in Chile und den nie enden wollenden Kämpfen in Afrika – also nach all den zerschlagenen oder desillusionierten Hoffnungen, die sich mit den Befreiungsbewegungen an der Peripherie verbanden – schienen die „Nicas“ endlich einzulösen, wozu man in den Metropolen selbst nicht imstande war. Sie hatten nicht nur ein diktatorisches Regime gestürzt, sondern hielten auch trotzig dem – um im damaligen Jargon zu bleiben – „mörderischen US-Imperialismus“ stand, der unter der Reagan-Administration die Konterrevolution forcierte. Nicaragua war bedroht. Und wir eilten zu Hilfe!

300 Solidaritätskomitees allein in der Bundesrepublik waren die Antwort auf den Sieg der Sandinisten und die drohende US-Invasion. Ihre Mitglieder kamen von überall her, aus den Gewerkschaften, den Schulen und Unis, den Kirchen, natürlich auch aus der Linken. Aus einem Treffen der ersten Gruppen ging das Wuppertaler „Informationsbüro Nicaragua“ hervor, das die nächsten Jahrzehnte den Beistand koordinierte. Im Unterschied zu allen bisherigen Solidaritätskampagnen setzte mit Nicaragua eine bis dahin nicht dagewesene Reisebewegung ein. Zunächst waren es nur abenteuerlustige Politfreaks, „Internationalisten“, dann ganze „Brigaden“, die den Atlantik überquerten, um Wochen oder Monate Aufbauarbeit zu leisten. Wenn man zwischen 1980 und 1990 – bis zur Wahlniederlage der Sandinisten – schon nicht selbst zur Kaffeeernte nach Nicaragua fuhr, dort Teil eines Bautrupps wurde oder zumindest einmal das unterstützte Projekt besichtigte, kannte man zumindest zwei, drei oder noch mehr Leute, die dort waren und darüber berichteten. Revolution wurde plötzlich erfahrbar, Nicaragua war überall präsent, und die Soli-Tentakeln reichten bis ins letzte ostfriesische oder bayrische Dorf. Dass sich die Arbeit oft auf Nahziele richtete – eine Kampagne zur Alphabetisierung, ein Gesundheitsprojekt, die Einbringung der Ernte –, änderte nichts daran, dass die sandinistische Revolution als Politikmodell wahrgenommen wurde.

Heute noch berührt

Dabei hatte die reale Unterstützungstätigkeit im Land, darauf macht Christian Helm in einem demnächst erscheinenden Sammelband aufmerksam (Internationale Solidarität, Globales Engagement in der Bundesrepublik und der DDR, Campus) weit weniger Bedeutung als die propagandistische Wirkung der „menschlichen Schutzschilde“ aus aller Welt, die an den von den Contras bedrohten Grenzen ihren Subbotnik verrichteten. Dass sich die Brigadisten ganz konkreter Gefahr aussetzten, zeigte der Überfall 1986 in Jacinto Vaca, bei dem acht deutsche Helfer verschleppt wurden.

Doch sie war zu schön, diese Revolution, als dass sie hätte verraten werden dürfen, selbst wenn die reale Erfahrung vor Ort dem eigenen Idealbild nicht immer standhielt. Nicaragua brachte die längste und breiteste politische Solidaritätsbewegung (gut 15.000 Brigadisten reisten dorthin) in der Bundesrepublik hervor, und die meisten Aktiven von damals dürften auch heute noch von Nachrichten aus diesem Land berührt sein.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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