Taktik der Verhandlungsdeppen

Gesundheitsreform Der vermeintliche, unionsinterne Widerstand gegen Röslers Projekt wird den Versicherten nicht nützen

Würde DGB-Chef Michael Sommer dem glauben, was die Gazetten in den vergangenen Tagen über den unionsinternen Streit um die Gesundheitsreform von Philipp Rösler (FDP), die man eher eine Deformation nennen sollte, kolportieren – er könnte sich beruhigt zurücklehnen und anderen das Handwerk überlassen. Unionspolitiker, wird genüsslich geschrieben, „rütteln am“, „schießen gegen“ oder „zerpflücken den Gesundheitskompromiss“, der ein bisschen schnell und, wie gemunkelt wird, unterm Druck der Kanzlerin zustande kam. Man kennt das von früheren Reformen, die über Nacht heiß zusammengestrickt wurden: Sie waren stets von begrenzter Haltbarkeit.

Nun sollten sich die Versicherten, denen die Hauptlast auferlegt wird, nicht darauf verlassen, dass das taktische Geplänkel irgendwelche relevanten Konsequenzen für sie hat. Vorab der CSU um Horst Seehofer und Markus Söder geht es darum, den Eindruck zu verwischen, sie sei über den Tisch gezogen worden. Deshalb poltert sie, es sei politisch „nicht zu vermitteln“, dass alle Kostensteigerungen künftig auf die Versicherten abgewälzt werden (Söder) und das Ganze keine langfristige Perspektive habe (Seehofer). Nicht so schön, in Bayern als Verhandlungsdepp vorgeführt zu werden.

In Baden-Württemberg wird im März 2011 gewählt, deshalb hängt sich der bislang völlig profillose Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) halblang aus dem Fenster und mosert, Rösler habe den „großen Wurf“ verpasst. Allerdings musste er zu dieser Intervention erst von der Landes-SPD getreten werden, deren Fraktionschef Claus Schmiedel Mappus aufgefordert hatte, „zu zeigen, dass er seine eigenen Aussagen ernst nimmt und gegen die Belastung der Mittelschicht vorgehen“ will.

Sorge um Arbeitsplätze

Der in Sachsen herrschende Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sorgt sich dagegen um die Arbeitsplätze im Osten und findet bei der Mittelstandsvereinigung der Union und den Industrie- und Handelskammern Unterstützung, weil auch die Arbeitgeber bald 0,3 Prozent mehr an Beiträgen berappen müssen. Dabei sind die mit dem eingefrorenen Beitragssatz von 7,3 Prozent bestens bedient. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) würdigt dies, er ist von den höheren Energiesteuern im Rahmen des Sparpakets weit mehr beunruhigt als von den Kassenbeiträgen.

Gegen die Einfrierung der Kassenbeiträge preschte zuerst Christian Bäumler, Vize-Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels der CDU, vor. Sein unvergesslicher Satz, dass „die Union sich hier als aufgeblasene FDP“ aufstelle, kam nicht so gut an, es soll im baden-württembergischen Landesvorstand zwischen Mappus und Bäumler „richtig laut“ geworden sein. Das Paket sei abgeschlossen, dekretierte Mappus, „da gibt‘s keine Korrekturen – schon gar nicht auf Vorschlag der CDU Baden-Württemberg“. Ein echter „Basta“-Mann, dieser Mappus.

Ein "heißer Herbst"?

Die Krankenkassen, die froh sind, einigermaßen stabil über das Jahr 2011 zu kommen, äußern Kritik höchstens in Detailfragen. Die AOK wünscht sich genauere Regeln für den Zusatzbeitrag, um Ausfälle zu vermeiden. Die Vorsitzende der Barmer Ersatzkasse, Birgit Fischer, warnt vor dem künftigen „ruinösen Preiswettbewerb“ zwischen den Kassen. Und der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, will verhindern, dass sein Amt zum „Ersatzfinanzamt“ verkommt, indem es die verschiedenen Renteneinkommen aufspüren und zusammenführen muss. Klassische Interessenpolitik.

Von dieser Seite also ist wenig zu erwarten. Ob sich die Union gleich wieder auf ein Scharmützel mit der Kanzlerin und der FDP einlassen wird, ist fraglich. Jetzt kommt erst mal die Sommerpause, und wer weiß, was die Hitze aus den Köpfen brennt. Dem DGB wird die Arbeit wohl nicht abgenommen, und dem Sommer könnte ein heißer Herbst folgen: „Diesen Systemwechsel“, so Sommer, „werden wir nicht ohne Widerstand hinnehmen.“ In den Betrieben „überall im Land“ werde es Aktionswochen geben.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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