Die meisten Deutschen, so eine Allensbach-Umfrage Ende November, erwarten vom europaweit einzigartigen deutschen Gesundheitssystem wenig Gutes: Die Mehrheit hält den neuen Gesundheitsfonds für "nicht tragfähig" und geht davon aus, dass es in Deutschland künftig eine Zwei-Klassen-Medizin geben wird. Man kann eine Befragung, die von der Bundesärztekammer unterstützt wurde, für Interesse geleitet halten und monieren, dass die Hälfte der Befragten noch nicht einmal wusste, was sich hinter dem Fonds verbirgt und ein Viertel noch nie von ihm gehört hat. Als Zeichen des Vertrauensverlustes in das System ist das Meinungsbild dennoch ernst zu nehmen, zumal sich die Werte im Vergleich zu ähnlichen Umfragen in der Vergangenheit dramatisch verschlechtert haben.
Windige Kalkulation
In scharfem Kontrast zu dieser Skepsis steht der Zweckoptimismus der Regierungsparteien und allen voran der Bundesgesundheitsministerin in Sachen Gesundheitsfonds. Keine noch so bedenkliche Botschaft in den letzten Wochen hat Ulla Schmidt von ihrem Reformwerk - das sie, wie man sich erinnert, so eigentlich nicht wollte - abrücken lassen. Schon im November gingen Experten davon aus, dass der Gesundheitsfonds mit einer Finanzierungslücke starten könnte und forderten gegenüber den vom Kabinett festgelegten 15,5 Prozent (davon nur 14,6 Prozent paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert) einen höheren Kassenbeitrag.
Die globale Finanzkrise, die momentan die Wirtschaft erreicht, wird, wie der Schätzerkreis im Dezember vorrechnete, demnächst auch auf die Finanzierung des Gesundheitssystems durchschlagen und weniger Beiträge in den großen Topf spülen als erwartet. Knapp eine halbe Milliarde - bei einem Volumen von 167,6 Milliarden Euro - werden voraussichtlich fehlen. Wobei mögliche Mehrausgaben der Krankenhäuser, die schon jetzt beklagen, dass das Hilfspaket von 3,5 Milliarden Euro zu knapp bemessen sei, gar nicht einberechnet sind.
Sicher ist, dass die meisten Versicherten ab 1. Januar mehr werden berappen müssen; nur diejenigen, die bisher in sehr teuren Kassen waren, werden leicht entlastet. Zumindest den Arbeitnehmern wird diese bittere Neujahrspille versüßt durch die gleichzeitige Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozent. Davon haben jedoch die 20 Millionen Rentner und diejenigen, die als Selbstständige gesetzlich versichert sind, keinen Cent, auf sie schlägt jede Beitragserhöhung voll durch. Die Sozialverbände fordern deshalb neue Härtefallregelungen für Bezieher kleiner Renten, zumal dann, wenn Krankenkassen in Liquiditätsprobleme geraten und den Zusatzbeitrag von mindestens acht Euro im Monat erheben müssen.
Dieser Zusatzbeitrag ist das Menetekel im System und wird von allen Seiten gefürchtet. Kommen die Krankenkassen mit den ihnen vom Fonds zugewiesenen Mitteln aus Beiträgen und Bundeszuschuss nämlich nicht aus, können sie noch einmal in die Tasche ihrer Mitglieder greifen. Wer als erster dazu gezwungen ist, gerät in einen Existenz bedrohlichen Konkurrenznachteil, denn dann können die Versicherten von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen und die Kasse wechseln. Momentan macht ein Wechsel nur Sinn, wenn damit eine bessere Versorgung verbunden ist. Deshalb werben die Krankenkassen nicht mehr wie bisher mit günstigen Beiträgen, sondern nur noch qualitätsorientiert oder mit interessanten Wahltarifen. Mit letzteren wird versucht, die Versicherten möglichst lange an sich zu binden, denn nimmt man einen Wahltarif in Anspruch, ist ein Kassenwechsel erst wieder nach drei Jahren möglich.
Die absehbare Finanzierungslücke wird Kassen und Politik spätestens Mitte 2009 unter Zugzwang bringen. Die Kassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, Zusatzbeiträge verhindern und dennoch ihr Qualitätsangebot halten. Hier werden sich laute Fusionen und stilles Sterben einstellen, betroffen sind insbesondere die Betriebskrankenkassen, die sich schon jetzt auf Zusammenschlüsse einstellen. Beim Bundesverfassungsgericht ist außerdem eine Klage der Privaten Krankenversicherer anhängig. Weil nun auch die PKV "schlechte Risiken" zu einem Basistarif versichern und Wechselwilligen die angesparten Alterungsrückstellungen mitgeben muss, sieht sie sich zu "einem systemwidrigen Zwang zur Solidarität" genötigt.
Darauf kommts auch nicht mehr an
Angesichts dieser finanziellen und juristischen Unwägbarkeiten müssen die Noch-Regierungsparteien im Wahljahr Flagge zeigen und den Eindruck verwischen, sie seien Totengräber des Systems. Da mit den durch die Finanzkrise ausgelösten Bürgschaften und Verbindlichkeiten das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes ohnehin obsolet geworden ist, kommt es auf "Peanuts" ohnehin nicht mehr an.
So verwundert es nicht, dass Wirtschaftsminister Glos (CSU) auf die vier Milliarden Euro, die der Bund dem Fonds zuschießt, noch einmal zehn Milliarden satteln will, um Unternehmen und Versicherte zu entlasten und damit einen Konjunkturbeitrag zu leisten. Während Peer Steinbrück als Finanzminister den Vorschlag sofort damit konterte, dies sei "kein Regierungshandeln", haben ihn die Gesundheitsministerin und SPD-Vize-Fraktionschefin Elke Ferner abgenickt, wobei Ferner lieber den nur von den Versicherten aufgebrachten Sonderbeitrag von 0,9 Prozent gesenkt sähe. Delikat ist Glos´ Vorstoß auch deshalb, weil es gerade sein Parteifreund Edmund Stoiber war, der bei der Planung des Gesundheitsfonds einen höheren Bundeszuschuss verhindert hatte.
Bei seiner Taufe war der Gesundheitsfonds einmal so etwas wie der Himmelsschlüssel zu den gesundheitspolitischen Utopien von SPD und Union, Bürgerversicherung und Kopfpauschale. Nun, da der Fonds startet, überschatten ihn bereits drohende Finanzlücken, und der Tag könnte nicht weit sein, dass doch noch andere Einkünfte wie Zinsen oder Mieterträge in die Berechnungsgrundlage einbezogen werden. Die schlichte Not, die dann triebe, wäre aber nicht im Sinne der Erfinder gewesen.
Und die Kopfpauschale in Form eines einheitlichen Prämienmodells ist im Unionslager ohnehin "kein Thema mehr", wie Gesundheitsexperte Willy Zylajew erklärt. An einem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer vorbei ist sie nicht zu machen, und der hat sie schon immer verteufelt. So bleibt Angela Merkel nur, das Wahljahr ohne gesundheitspolitische Gliederbrüche zu überstehen und auf die Liberalen zu warten. Und die, weiß man, hätten das ganze Solidarsystem ohnehin am liebsten schon gestern abgeschafft.
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