Das berühmteste Mischwesen der Weltliteratur stammt aus der Feder eines Briten. Wenn der einfältige Zettel auftritt und die verzauberte Titania angesichts seines Eselkopfes in Liebestaumel verfällt, bringt das auch 400 Jahre nach der Entstehung des Sommernachtstraums die Zuschauer zum Lachen.
Das Lachen vergehen kann einem allerdings angesichts einer Winternachtsphantasie, die britische Forscher vergangene Woche bierernst auf die Wissenschaftsbühne brachten. Britische Stammzellforscher haben beantragt, menschliches Erbgut in die Eizellen von Kühen zu übertragen, um daraus ein Mischwesen aus Mensch und Kuh herzustellen, das allerdings, so wird versichert, zu 99,9 Prozent menschlich wäre. Das dabei entstehende Gewebe soll auf die Funktionsweise von Stammzellen erforscht werden - und in ferner Zukunft vielleicht der Therapie von Parkinson oder Alzheimer dienen.
Ethische Bedenken sehen die beteiligten Wissenschaftler nicht, im Gegenteil. Der in der Kuh entstehende Embryo sei weder in der Kuh noch im Bauch einer Frau überlebensfähig, also keine klassische Chimäre im Sinne Zettels. Dagegen habe das Verfahren den Vorteil, dass man künftig auf schwer beschaffbare weibliche Eier verzichten und damit ein anderes ethisches Problem umgehen könne.
Mit ihrem Antrag sind die Briten der europäischen Stammzellforschung wieder einmal um eine Nasenlänge voraus. Nicht einmal das strenge deutsche Embryonenschutzgesetz von 1990, das die Bildung von Mischwesen (§7 Chimären- und Hybridbildung) grundsätzlich verbietet, ist auf diesen Fall vorbereitet, weil es sich bei dem Wesen, das da in der Kuh erzeugt werden soll, um keinen überlebensfähigen Embryo handelt.
Unproblematisch ist allerdings auch das Ausweichen auf das Tier nicht. Zwar ließe sich darüber streiten, ob es sich bei dem entstandenen Gewebe um einen "Embryo" handele, so deutsche Forscher, und in der Tat würden weibliche Eier dadurch überflüssig; doch das Gewebe sei bei diesem Verfahren verunreinigt, das heißt mit tierischen Eiweißen vermischt. Bei Experimenten am Menschen muss deshalb mit Abstoßungsreaktionen gerechnet werden. Außerdem gelten "unreine" Stammzellen als hoch krebsverdächtig. Bemerkenswerterweise verweist ausgerechnet ein deutscher Forscher, Eckhard Wolf, auf die Vorteile, die dagegen die Umprogrammierung somatischer (adulter) Körperzellen hat, durch die die Forschung an Embryonen überflüssig werde.
Das scheint bei den Agenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) noch immer nicht angekommen zu sein. Fast auf den Tag genau mit den britischen Kollegen hat die wichtigste Forschungslobby in Berlin wieder einmal laut an Politikertüren geklopft, um die Wünsche der Stammzellforscher in Erinnerung zu bringen. Diese, so DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker, gerieten im internationalen Vergleich durch die restriktiven Auflagen des Stammzellimportgesetzes immer weiter in Rückstand. Während sich andere europäische Forscher aus über 400 bestehenden Stammzelllinien frei bedienen könnten, blieben die deutschen auf jene 22 angewiesen, die bereits vor dem Stichtag, dem 1. Januar 2002, angelegt waren.
Unterstützung erhält Winnacker, wie kaum anders zu erwarten, aus der FDP. Ulrike Flach kündigte eine Unterschriftensammlung an, mit der sie die strikte Stichtagsregelung zu Fall bringen will. Aber auch die Fraktionsvizevorsitzende der Union, Katharina Reiche, hält das Gesetz für forschungsfeindlich. Forschungsministerin Schavan (CDU), die innerhalb der EU nicht verhindern konnte, dass embryonale Stammzellforschung weiterhin gefördert wird, will sich zwar nicht auf eine neue Diskussion über das Stammzellimportgesetz einlassen, erklärte jedoch "Gesprächsbereitschaft" im Hinblick auf die Strafandrohung gegenüber jenen Forschern, die in internationalen Kooperationen Stammzellen nutzen, die in Deutschland verboten sind. Eine ähnliche Formel wie beim §218 - "rechtswidrig, aber straffrei" - war schon bei der Vorbereitung des Importgesetzes diskutiert, dann aber doch verworfen worden. Möglich, dass diese Regelung nun auf die betroffenen Forscher angewendet oder aber der Geltungsbereich des Gesetzes auf das Inland beschränkt wird.
Völlig vergessen scheint, dass vor Jahresfrist der weltweit prominenteste Forscher auf diesem Gebiet, der Koreaner Hwang, strauchelte und schließlich vom Wissenschaftsolymp fiel, nachdem publik geworden war, dass er Klonexperimente hemmungslos gefälscht und die ganze Welt zum Narren gehalten hatte. Doch statt Zurückhaltung zu üben, scheint die Ausschaltung des Konkurrenten die westliche Forschungsgemeinde nun eher beflügelt zu haben.
Dabei ist das Konzept der regenerativen Medizin - also mittels Zellprogrammierung und -transplantation Krankheiten zu heilen - nicht etabliert und weit von jeder klinischen Anwendung entfernt. Gisela Badura-Lotter, Expertin auf dem Gebiet der Stammzellforschung und Ethikerin im französischen Brest, sieht zwar künftige Möglichkeiten im Bereich eher "mechanischer" Verletzungen (zum Beispiel Querschnittslähmungen), große Volkskrankheiten wie Parkinson oder Alzheimer werden in absehbarer Zeit durch Zelltherapie kaum heilbar sein. Für maßlos übertrieben hält sie das Argument, der Wissenschaftsstandort Deutschland sei gefährdet, nur weil eine Handvoll Stammzellforscher beschränkt Material zur Verfügung haben.
Die Briten ihrerseits beobachten die ethischen "Verrenkungen" in Deutschland schon lange mit Kopfschütteln. Ihr ungebrochener Utilitarismus folgt dem, was nützt - auch wenn es nur Karrieren sind. Und ihren Wissenschaftsgöttern würden sie womöglich noch folgen, wenn die wie bei Shakespeare einen Eselkopf auf den Schultern trügen.
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