Tollwütiges Risiko

Tödliche Organspende Der Mainzer Fall offenbart nur den Skandal des Transplantationsalltags

Organspende schenkt Leben: Das ist das Motto, mit dem die Stiftung Deutsche Organtransplantation (DSO) die Bevölkerung auffordert, Organe zu spenden; und es ist der Stoff, aus dem die tränentreibenden Geschichten gestrickt sind, die davon handeln, einem Patienten, vorzugsweise einem Kind, "ein zweites Leben zu schenken". Dass die Organspendebereitschaft der Deutschen trotz aller Appelle und Rührstücke seit Jahren stagniert und vergangenes Jahr sogar leicht zurückgegangen ist, hängt, wie eine im Januar veröffentlichte repräsentative Umfrage ergab, damit zusammen, dass die meisten Menschen den Tod immer noch mit dem Herz-Kreislauf-Stillstand verbinden und nicht, wie die Transplantationsmediziner, mit dem sogenannten Hirntod, der Organspende erst möglich macht. "Die Akzeptanz des Hirntodes als Kriterium des Todeszeitpunktes", schreiben die Autoren der Studie, "scheint ein wesentliches Hindernis der Organspende zu sein."

Der Tollwut-Fall, der seit einigen Tagen sensationsheischend durch die Presse geht, wird auch nicht dazu beitragen, das Ansehen der Transplantationsmedizin zu erhöhen. Einer mit Tollwut infizierten 26-jährigen Patientin wurden im vergangenen Dezember im Mainzer Klinikum eine Reihe von Organen (die übliche Multiorganentnahme) entnommen, ohne dass die Ärzte offenbar dem Krankheitsgrund der Patientin weiter nachgegangen sind. Diese war kurz zuvor in Indien auf Urlaub gewesen, wahrsheinlich von einem Hund gebissen worden und entwickelte nach ihrer Rückkehr nicht weiter diagnostizierte Symptome, die schließlich zum Tod führten. Die Organe wurden im eigenen Haus in Mainz, in Heidelberg, Marburg und Hannover transplantiert. Drei der sechs Empfänger haben sich dabei offenbar mit Tollwut infiziert, eine junge Frau starb am vergangenen Samstag an der Medizinischen Hochschule Hannover, ein 70-jähriger Mann am darauf folgenden Montag in Hannoversch Münden. Ein dritter Patient schwebt nach wie vor in Lebensgefahr.

Die Uniklinik Mainz, die die Organentnahme vorgenommen hat, verteidigt sich damit, dass bei der Spenderin nichts auf eine Tollwut hingewiesen habe; und erklärt richtig, dass Tollwut, weil sie in Deutschland sehr selten auftritt, nicht zum routinemäßigen Untersuchungskatalog für Organe und Gewebe gehört. Wohl aber gehört es zum "Empfängerschutz", dass Ärzte "eine sorgfältige Anamneseerhebung (Krankheitsgeschichte) ggf. unter Einbeziehung der vorbehandelnden Hausärzte" durchführen und sich nach "kurz zurückliegenden Reisen in Endemiegebiete und Beteiligungen an Impfprogrammen" (vgl. Intensivmedizin und Notfallmedizin, 4/2004) erkundigen. Ganz so selten, wie uns die deutschen Mediziner derzeit glauben machen wollen, ist das Problem Tollwut übrigens auch wieder nicht: Im Juli vergangenen Jahres meldete dpa einen ganz ähnlichen Fall aus den USA. Dort waren erstmals drei Organempfänger gestorben, die sich an einem Spenderorgan mit Tollwut infiziert hatten. Der Organspender selbst hatte sich an einer Fledermaus mit dem Virus angesteckt, der Mann war an der im Krankenhaus nicht erkannten Krankheit gestorben.

Aber abgesehen davon, ob nun eine Fehlleistung der Mainzer Uniklinik vorliegt, die strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, lenkt die unglückliche Tollwut-Geschichte davon ab, dass Organspende, bei aller Operationsroutine, ein außerordentlich risikoreiches Geschäft und dieser spektakuläre Fall keine Ausnahme, sondern Teil des Systems ist. Verpflanzbare Organe sind rar und hochbegehrt. Selbst wenn Organe auf legalem Wege in Umlauf kommen (und nicht über den schon üblichen Internethandel oder den internationalen Organhandel), sinkt ihre Qualität kontinuierlich. Seitdem die Altersbegrenzung aufgehoben ist, werden immer ältere, risikoträchtige Spendeorgane verpflanzt; auch bei bestimmten Risikogruppen schaut man nicht mehr so genau hin, und schon in früheren Jahren war im OP gelegentlich zu hören, dass das zu verpflanzende Organ "gar nicht gut" sei. Nicht immer haben Patienten Glück im Unglück wie jener Mindener Mann, dessen bereits vorbereitete Lungentransplantation wieder abgeblasen wurde, weil die Ärzte noch rechtzeitig feststellten, dass das Spenderorgan "nicht in Ordnung" war.

Hinzu kommt die alltägliche Klinikhektik, die im Transplantationsgeschäft ohnehin aufs äußerste strapaziert wird: Organentnahme und -verpflanzung passieren ein extrem enges Zeitfenster, weil die Organe in möglichst "frischem" Zustand eingesetzt werden müssen. Um "passende" Empfänger zu finden, sind dann auch oft noch weite Strecken zurückzulegen. In Zürich starb vergangenes Jahr eine Patientin, weil ein bei der Transplantation anwesendes Filmteam so viel Unruhe verbreitete, dass die Klinik die Blutgruppe der Empfängerin verwechselte.

Und dann gibt es auch noch das immanente Ansteckungsrisiko: Patienten mit einem neuen Organ müssen lebenslang Immunsuppressiva schlucken, um Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Deshalb sind sie anfällig für Infektionskrankheiten aller Art, weil sie, wie auch im Tollwut-Fall, keine körpereigenen Abwehrkräfte entwickeln können. Darüber hinaus sollte auch nicht vergessen werden, dass rund 20 Prozent aller Empfängerpatienten - auch unter normalen Umständen! - das erste Jahr nicht überleben.

Ob der Ausweg aus all diesen Dilemmata darin bestehen sollte, "pflichtsäumige" Kliniken bis hin zu Sanktionen unter Druck zu setzen, damit sie "verwendbare" Organe melden, wie einige Abgeordnete planen; oder das Transplantationsgesetz in der Weise geändert werden sollte, dass Lebendspenden erleichtert und möglicherweise sogar kommerzialisiert werden, wie derzeit öffentlich diskutiert wird? All dies wird nichts daran ändern, dass Transplantationen entweder ein "Geschäft" mit dem Tod (nämlich dem "Hirntoten") ist oder, im Falle der Lebendspende, immense medizinische, versicherungstechnische und psychologische Probleme nach sich ziehen. Und gegen das implizit immer vorhandene tödliche Risiko der Organverpflanzung richten gesetzliche Regelungen so wenig aus wie Appelle an die "richtige" Lebensführung.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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