Tyrannenmord

SKANDAL AM HANNAH-ARENDT-INSTITUT Zur Disposition steht auch das Interpretationsmonopol der Historiker

Wissenschafter, so die landläufige Meinung, sind Menschen, die im Elfenbeinturm leben und von hehren Höhen herab die Welt beurteilen. Wenn der Forschende schließlich nach Monaten und Jahren vom Archivstaub angefressen wieder unter den Lebenden auftaucht, fügen sich die mühsam ausgehobenen Zitatbestände selten zum großen Theoriewurf. Wer also hierzulande als Historiker oder als Historikerin schnell reüssieren will, benötigt - wenn ihm nicht der historische "Erbfall" wie nach der Abwicklung der DDR-Forschung zupass kommt - viel Vitamin B oder den Skandal; und der ist nach Lage der Dinge noch immer am sichersten in der NS-Forschung zu landen.

Ob ein Privatdozent namens Lothar Fritze mit dem Skandal als Karrierebeschleunigungsvehikel geliebäugelt hat, muss dahingestellt bleiben. Sicher ist jedenfalls, dass seine an einer peripheren Universität wie Chemnitz gehaltene Antrittsvorlesung so wenig zur Kenntnis genommen worden wäre (und ist) wie sein geplanter Aufsatz in einer ebenfalls nicht sonderlich einflussreichen Fachzeitschrift - zumal Fritzes moralphilosphische Nörgelei nicht gerade um rhetorischen Glanz buhlt. Anläßlich eines symbolischen Datums, dem 100. Geburtstag des in Ost und West bislang kaum wahrgenommenen Hitler-Attentäters Georg Elser, in der politisch unverdächtigen Frankfurter Rundschau am 8. November prominent eingerückt, erfuhren die Fritze-Thesen allerdings eine Nobilitierung, die die Archivblässe der Collegia neidverzehrt vertiefen dürfte.

Der Stoff - der Tyrannenmord in historischer und moralischer Abwägung, also die Frage, ob das gelungene Attentat die Weltläufte tatsächlich verändert haben würde - hätte antike Dimension, würde er denn so verhandelt. Fritze dagegen polemisiert gegen die Hybris eines aus dem "einfachen Volke" stammenden Mannes, der aufgrund seiner beschränkten politischen "Beurteilungskompetenz" den Tod von unschuldigen Menschen in Kauf genommen hatte. Gerade wurde dem breiten Publikum am Beispiel Klemperer doch vorgeführt, wie selbst informierte Intellektuelle nicht glauben konnten, was sie sahen. Man musste, so darf man wohl Fritzes Kotau vor "den Männern des 20. Juli‚ und ihrer politischen" Weitsicht interpretieren, schon ein Mann sein und zumindest den Offiziersrang bekleiden, um den "Tyrannen" herauszufordern. Dass der Historiker Fritze auf diese Weise das Mitläufertum rehabilitiere, wurde in vielen Kommentaren gerügt.

Die Historiker-Kontroverse, die sich seit zwei Monaten auf den Koordinaten des Ost-West-Konflikts - "antifaschistische Volkspädagogik" versus "objektive" Wissenschaft - ebenso abarbeitet wie im traditionellen rechts-links-Schema, hat sich mittlerweile zu einer institutionellen Affäre ausgeweitet, denn zur Disposition steht das 1993 ursprünglich als "Kommunistenfresser" gegründete, mittlerweile jedoch renommierte Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden. Dort will, hört man, der sozialdemokratisch gesinnte Institutsleiter Klaus-Dietmar Henke seinen Stellvertreter, den eher neokonservativen Uwe Backes, den der CDU-Kultusminister Rößler in das Institut "gedrückt" hatte, loswerden, und der Fritze-Skandal bietet den willkommenen Anlaß zur Demission.

In der Henke-Waagschale liegt zum einen das symbolische Gewicht des prominenten US-Historikers Saul Friedländer, der sein Verbleib im Kuratorium des Instituts von Backes Entlassung abhängig macht und zum anderen das ökonomische der Dresdner Bank, die das Institut mit Aufträgen versorgt und finanziert. Rößler dagegen stärkte bislang Backes und Fritze den Rücken, während der sächsische Wissenschaftsminister Meyer zusammen mit dem Instituts-Kuratorium eine "nichtrechtliche Lösung" des Konflikts anstrebt. Die derweil tobende Leserbriefschlacht zwischen den Beteiligten trägt zur allgemeinen Verwirrung bei, jedoch fühlt sich Lothar Fritze mittlerweile zu Schadensbegrenzung gedrängt, indem er seine Thesen öffentlich relativiert.

Einen "Historikerstreit" in den vorangegangenen Vorlagen wird der kleine Dresdner Hausskandal kaum hervortreiben, dazu gibt das historische und das beteiligte wissenschaftliche Personal zu wenig her. Im Windschatten der Historiker-Affären treibt jedoch ein anderes Gespenst: Wer verfügt über die Definitionsmacht über die Geschichte, wer verleiht der Vergangenheit Sinn? Auf dem Prüfstand steht das Monopol der Geisteswissenschaften als Interpretationsagentur, die von der berechnenden Entzifferungsarbeit der hard-science-Fächer abgelöst zu werden droht.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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