Es waren so schöne Bilder. Und sie gingen um die ganze Welt: Arabische Frauen, unverschleiert oder mit Kopftuch, die seit Januar 2011 Seite an Seite auf dem Tahrir-Platz stehen und demonstrieren. Zuerst gegen Mubarak, dann gegen den Militärrat. Die ihren Job oder ihr Hausfrauendasein hinter sich gelassen haben, nicht um einer abstrakten Revolution willen, sondern um für ihre Rechte zu kämpfen. Die Blogs in die Welt schicken, in denen sie die Hälfte des islamischen Himmels fordern. Und die darauf bestehen, dass ohne Frauen keine Demokratie zu machen ist.
Auf die westliche Frauenöffentlichkeit wirkten diese Bilder elektrisierend. Ausgerechnet aus den angeblich so rückständigen arabischen Ländern sollte ein neuer Frauenaufbruch kommen? Ausgerechnet die „Kopftuch-Frauen“ sollten die feministische Fackel übernommen haben und es dem Patriarchat endlich zeigen?
Nicht nur die etablierten Medien rückten diese „Sensation“ aus unterschiedlichen Motiven in die Sichtbarkeitszone. Auch Feministinnen, die an der Agonie der Bewegung in der westlichen Welt leiden, fühlten sich aufgerufen, den Initialfunken aufzunehmen. Der arabisch-feministische Frühling lieferte die Vorlage für Deutungen, Prophezeiungen, Projektionen.
Auch die amerikanische Publizistin Naomi Wolf, bekannt geworden durch ihre böse Abrechnung mit dem Mythos Schönheit, hat sich kürzlich im britischen Guardian zu Wort gemeldet und die nicht unbescheidene Frage gestellt: Wie können „wir“, also die westlichen Frauen, uns dieser Bewegung anschließen, von ihr profitieren?
Wolf, überzeugte Feministin, ist gleichzeitig auch eine scharfe Kritikerin dessen, was im Westen unter Feminismus firmiert. Und so hebt sie mit einer Klage an: Die „zweite Welle“ des Feminismus sei an ihren Endpunkt geraten und zu einer verlotterten, mittelschichtsbezogenen Lifestyle-Bewegung verkommen. In der einige wenige Frauen zwar aufgeholt hätten und auf dem Rücken mies entlohnter weiblicher Arbeitskräfte („low-wage childcare and domestic work“) Karriere machten; andererseits Männer in der Regel noch immer mehr Geld nach Hause brächten und sich kaum an der Hausarbeit beteiligten. Junge Frauen dagegen kriegten das Grauen beim „F-word“, und die, die sich noch für Feminismus interessierten, seien theoretisch unbedarft. Obwohl diese Frauen im Westen „alles erreicht hätten“, zitiert Wolf den Soziologen Marcus Buckingham, seien sie „weniger zufrieden“, weil die Freiheit der Wahl offenbar doch nicht glücklicher mache.
Selbstbestimmung über alles
Schuld daran – und damit zitiert Naomi Wolf ihr 1993 erschienenes Buch Fire with Fire (Die Stärke der Frauen) – seien die problematischen Ursprünge des Feminismus. Zum einen das „Angel in the House“-Konzept – in der deutschen Tradition in etwa vergleichbar mit dem Mütterlichkeits-Konzept des konservativ-bürgerlichen Teils der ersten Frauenbewegung –, das mit seiner Neigung zur bevormundenden Fürsorglichkeit und der Beschwörung weiblicher Differenz den späteren „Opfer-Feminismus“ hervorgebracht habe. Weiterhin der Existenzialismus Beauvoirscher Prägung, dessen zynischer Individualismus Frauen aus ihren Herkunftsbanden gesprengt und in die Vereinzelung getrieben habe.
Diese „beiden historischen Unfälle“ der Frauenbewegung seien, so Wolf, dafür verantwortlich, dass alle anderen Möglichkeiten beiseite gedrängt und „Selbstbestimmung“ als die „Freiheit der Wahl“ als einzige Kategorie der Emanzipation übrig geblieben sei. Diese Vorstellung umfassender Wahlmöglichkeiten wiederum sei aber anschlussfähig an den neoliberalen Kapitalismus, der den Feminismus in sich aufsauge.
Abgesehen von der ziemlich verengten historischen Deutung, die nicht nur die Tradition der sozialistischen Frauenbewegung in Europa völlig ausblendet, sondern auch die verschiedenen Spielarten der autonomen Frauenbewegung der siebziger Jahre, ist Naomi Wolf in ihrem Befund recht zu geben: Wir erleben im Hinblick auf den Feminismus – etwas zeitverzögert – das Schicksal aller sozialen Bewegungen der letzten 50 Jahre: Politisch ist er vereinnahmt und als Schmierstoff in den Kreislauf des neuen Marktes eingespeist worden.
Das äußert sich nicht nur in den Aufrufen an die jüngeren Frauen, sich als „Humanressource“ zur Verfügung zu stellen, sondern auch darin, dass die Politik Erfolg versprechendes Personal inzwischen „nur“ noch unter den Frauen findet oder vorausschauende Konzerne sich schon lange auf das „Diversity-Management“ verlegt haben.
Alles, was (noch!) da ist, muss und soll genutzt – früher hätte man geschrieben: ausgebeutet – werden. Nach dem Vorbild akademischer „Leuchttürme“ avancieren die neuen „Top Girls“, wie die britische Kommunikationswissenschaftlerin Angela McRobbie schreibt, zu „Exzellenz-Subjekten“, deren Besonderheit darin besteht, „gleicher“, besser, anpassungsfähiger zu werden. Dieser „affirmative Feminismus“, wie McRobbie ihn nennt, erklärt den „alten“ Feminismus für tot. Dafür gibt es nun so genannte „femocrats“, also bestallte Agentinnen des Gender-Mainstreaming, und die „Top-Girls“.
Naomi Wolf fordert nun in ihrem Essay How we can connect with feminism’s golbal future dazu auf, den feministischen Lifestyle hinter sich zu lassen und wieder an die Ursprünge der Frauenbewegung anzuknüpfen. Die einzige wahre intellektuelle Erbschaft des westlichen Feminismus, schreibt sie, seien die Aufklärung und die unteilbaren Menschenrechte. Damit hätte der Feminismus seinen Anfang genommen, und darum wäre es auch den Frauen auf dem Tahrir-Platz gegangen. Freiheit für alle, so Wolfs einfache Botschaft, impliziere auch Freiheit für die Mehrheit des Volkes, also die der Frauen.
Menschenrechtsfeminismus
Dieser „Menschenrechts-Feminismus“ würde die Frauen, die in Afrika für ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpfen oder für ein Ende der Genitalverstümmelung, einen, sie könnte die Frauen in Bosnien, die ihre Vergewaltiger vor Gericht bringen, mit den barhäuptigen oder Kopftuch tragenden Frauen in den muslimischen Ländern verbinden. Und zudem erlaube dieser Menschenrechts-Feminismus Koalitionen zu bilden: mit Behinderten, indigenen Völkern, die um ihre Rechte kämpfen oder Frauen, denen es wie in China verboten ist, Gewerkschaften zu gründen. Erst auf dieser Basis würde der Feminismus überall in der Welt wieder attraktiv – und wirkmächtig – werden.
Irgendwie erinnert dieser Menschenrechts-Feminismus ein wenig an den Furor der frühen siebziger Jahre: Da waren Frauen auch beseelt vom gleichen Ziel. Und es war ein langer und schmerzhafter Weg zur Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Lage oder einer bestimmten Ethnie, dass eine sexuelle Orientierung oder eine Behinderung den „Unterdrückungsfaktor“ Geschlecht verändern und die Identität als Frau in den Hintergrund rücken konnte. Frauen können wie alle politischen Akteure unterschiedliche Interessen haben und gelegentlich sind sie mit den männlichen ganz unvereinbar. Daran ändert auch der Rückgriff auf die grundlegenden Menschenrechte nichts. Wenn die Frauen auf dem Tahrir-Platz zum Beispiel für mehr politischen Einfluss oder mehr persönliche Freiheit einstehen, kann das auch auf Kosten ihrer „verbündeten“ Männer gehen. Wir kennen mittlerweile die Berichte von den Pöbeleien gegen die Demonstrantinnen und die gar nicht mehr schönen, sondern traurigen Bilder, als sie niedergeknüppelt wurden. Die marokkanische Soziologin hat schon nach dem Ende des ersten Golfkriegs 1992 darauf hingewiesen, dass der Fundamentalismus und die Geburt des Feminismus in Ägypten eng miteinander verknüpft sind. Und es sollte auch nicht vergessen werden, dass dieser Krieg einmal im Namen der Demokratie, angeblich um die unterdrückten Frauen Kuweits zu befreien, begann.
Es wäre naiv zu glauben, mittels der Menschenrechte der großen Verschwisterung aller zum Durchbruch zu verhelfen. Was nützt die Meinungsfreiheit, die freie Gestaltung des eigenen Lebens, wenn die Mittel dafür monopolisiert bleiben? Es ist das Verdienst des egalitären Feminismus, dass er Männer dazu zwingen will, Ressourcen abzugeben, zu teilen, aber um den Preis, dass Frauen sich an die männlichen Normen anpassen. Für die andere Fraktion, die darauf besteht, Unterschiede anzuerkennen, ist das ganz unannehmbar.
Die feministische Philosophin Nancy Frazer hat immer wieder darauf insistiert, diese beiden Positionen zu versöhnen. Sie ist jedoch auch davon überzeugt, dass sich „kulturelle Unterschiede erst auf Grundlage sozialer Gleichheit ausbilden können“. Ihre Kollegin Martha Nussbaum glaubt hingegen, dass in bestimmten Situationen die „Metrik der Gleichheit“ von der „Metrik der Fähigkeiten“ abgelöst werden müsse, die sensibel gegenüber besonderen Bedürfnissen und kulturellen Unterschieden ist.
Das Rad der Geschichte kann in der arabischen Welt nicht mehr zurückgedreht werden, denn die Frauen, um Fatema Mernissi noch einmal zu zitieren, seien dort längst davongeflogen: „Sie vollbringen bleich und feierlich die große Pilgerfahrt, von der die Großmütter so oft geträumt haben.“ Die Herausforderung für „die großen euro-amerikanischen Völker“, die das Lied „von Universalismus und der Liebe zur Demokratie“ singen, bestehe jedoch darin, ob sie die Demokratiebewegung auch noch stützen, wenn damit Nachteile für sie verbunden sind. Daran wird sich letztlich auch ein Menschenrechts-Feminismus messen lassen müssen.
Naomi Wolf, geboren 1962, ist eine amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin. Ihr Buch Der Mythos Schönheit (1991) wurde von der New York Times zu einem der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt. Wolf bloggt regelmäßig in der Huffington Post. Demnächst erscheint von ihr eine Kulturgeschichte der Vagina
Kommentare 21
Ich bin begeistert. Selten, dass es so ausgegorene feministische Texte in "normalen" Zeitungen zu lesen gibt.
Was die "Nachteile für die großen euro-amerikanischen Völker" sein könnten, kann ich mir nicht recht vorstellen.
Auch in den arabischen Staaten wird es bei der Emanzipierung so laufen, dass die alltäglichen (kapitalistischen) Zwänge so wirken, dass die Geschäfte mit Hilfe der Entwicklungen eher besser laufen.
Wie schon der Text sagt, bedeutet Frauenemanzipation Wegnahme von Beschränkungen. Haben die Frauen mehr Möglichkeiten, werden die von der Wirtschaft natürlich auch genutzt.
Mehr Wertschöpfung, mehr Import, mehr Export für Deutschland.
Dass bei uns die Krabbenpreise steigen, weil die billigen Krabben-Schälerinnen in Nordafrika wegen der Emanzipation ganz aufhören, glaube ich nicht. Auch bei uns gibt's immer mehr Menschen, die für einen Job alles tun, noch viel mehr wird das in Nordafrika über Jahrzehnte der Fall sein. Eher fischen wir die Krabben unter die Vermehrungsgrenze.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Es ist noch immer so, wie es eine berühmte Zeitgenossin vor rund vier Jahrzehnten beschrieben hat:
„Es scheint so, als hätte eine ungerechte Welt Schwierigkeiten damit, ihre Ungerechtigkeiten gerecht zu verteilen“ Angesichts der nicht wegzuleugnenden kulturellen, sozialen und religiösen Unterschiede – vergessen wir unsere Eitelkeiten nicht - bleibt das große Ziel eines globalen Menschenrechts-Feminismus auch für heutige Zeitgenossinnen in weiter Ferne.
Vielen Dank auch von mir für diesen Artikel. Gerne gelesen.
Interessanter Beitrag zur Denkwelt der ehemaligen Mitinitiatorin des sog. third wave feminism.
Allerdings fokussiert die Autorin den Blick auf Wolfs Thesen zum feministischen Potential des arabischen Frühlings im Kontext der Ausrichtung auf eine ebenso inspirierte global-feministische Menschenrechtsbewegung, welche sich letztlich auf ihre linken Wurzeln besinnt.
Der Balken im Auge von Frau Baureithel besteht aber nicht nur darin, daß sie damit auf eine geschlechtsbezogene Abgrenzungsstrategie rekurriert, die eine Reanimation linker Inhalte beschwört - übersehen wird auch, daß der bereits globalisierte Feminismus auch eine rechts-demagogische/populistische Ausprägung entwickelt hat, die kräftig im gender-mainstreaming u.a. frauenbezogenen Themen - und Handlungsfeldern mitmischt - was die polit. Neubestimmung des Feminismus schwieriger macht als es im Artikel dargestellt wird.
Dem ggü bezieht eine N. Wolf deutlicher Stellung und nennt das Problem beim Namen:
" In fact, feminism is philosophically as much in harmony with conservative, and especially libertarian, values – and in some ways even more so.
The core of feminism is individual choice and freedom, and it is these strains that are being sounded now more by the Tea Party movement than by the left. But, apart from these sound bites, there is a powerful constituency of right-wing women in Britain and Western Europe, as well as in America, who do not see their values reflected in collectivist social-policy prescriptions or gender quotas. They prefer what they see as the rugged individualism of free-market forces, a level capitalist playing field, and a weak state that does not impinge on their personal choices.
Many of these women are socially conservative, strongly supportive of the armed forces, and religious – and yet they crave equality as strongly as any leftist vegetarian in Birkenstocks. It is blindness to this perfectly legitimate approach to feminism that keeps tripping up commentators who wish to dismiss women like Margaret Thatcher, or Muslim women, or now right-wing US women leaders, as somehow not being the “real thing.”
But these women are real feminists – even if they do not share policy preferences with the already recognized “sisterhood,” and even if they themselves would reject the feminist label."
www.project-syndicate.org/commentary/america-s-reactionary-feminists
Interessant wäre es, wenn zu diesen Thesen über reaktionären Feminsmus (in D EU) mal ein Beitrag im dF erscheinen würde.
Nur mal so als Vorschlag.
I.
Gute Idee.
Mein Beitrag würdigt durchaus Wolfs Kritik am angepassten gender-mainstreaming-Feminismus. Und ich würde auch missverstanden, wenn Sie glauben, ich redete kruder Interessenspolitik das Wort. Ich bin aber auch nicht so aufklärungsgläubig, dass ich meine, Interessen seien durch eine Umarmungspolitik aus der Welt zu schaffen. Ganz davon abgesehen, dass es ein "dunkle" Seite der Aufklärung - gerade im Hinblick auf Frauenrechte. Es war bekanntlich das Bürgertum, das die Frau versuchte ins Haus zu sperren...
Es ist gut im Gespräch zu bleiben. Das meinte ich mit gute Idee. Nur so können Irrtümer beseitigt werden.
Hallo Frau Baureithel,
gut, ich habe etwas überzogen mit dem "Balken im Auge" - ihre Kritik an Wolf finde ich ja durchaus interessant und durchaus fundiert, aber aus dem Abschnitt:
"die nicht nur die Tradition der sozialistischen Frauenbewegung in Europa völlig ausblendet, sondern auch die verschiedenen Spielarten der autonomen Frauenbewegung der siebziger Jahre, ist Naomi Wolf in ihrem Befund recht zu geben: Wir erleben im Hinblick auf den Feminismus – etwas zeitverzögert – das Schicksal aller sozialen Bewegungen der letzten 50 Jahre: Politisch ist er vereinnahmt und als Schmierstoff in den Kreislauf des neuen Marktes eingespeist worden."
Das zentriert die Debatte auf eine feministische "Tradition", die es m.A.n. nur noch in den Köpfen von feminist. Denkzirkeln und Theoretikerinnen gibt.
Mir ist keine relevante sozialistische oder links-autonome Organisation von Frauen bekannt, die in den neoliberalen Markt seit den 1990ern hätte "eingespeist" werden können, denn dazu hätten diese personal und praktisch existieren und einen mehr als nur marginalen Einfluß haben müssen.
Exemplarisch feststellbar ist von meiner Seite allerdings, daß sich einerseits via weibl. Bildungsexpansion aufstrebende Frauen aus dem kleinbürgerlichen Milieu seit den 70ern massenhaft mit feministischen Inhalten Theorien beschäftigt und diese auf formale Gleichstellung/berechtigung verkürzt und damit den Begriff Feminismus für sich "gelabelt" haben.
Dies wurde auf der anderen Seite zum Einfallstor für reaktionären Feminismus, der soziale, kulturelle, ethnische und sozioökonomische Unterschiede zwischen Frauen leugnet bzw. populistisch nivelliert, um im "Wir-Frauen"-Modus eine voluntaristische Kampagnenpolitik zu betreiben, die am Ende auf die Bildung einer neuen und durchaus einflussreicheren weiblichen Elite, als Komplizinnen und Profiteure des bürgerlichen Patriarchats, in Wirtschaft und Gesellschaft hinausläuft.
In Kurzform: zum "Bürgertum, das die Frau versuchte ins Haus zu sperren (und die ergänzende Prostitution instutionalisierte) gehört eben auch die >Frau an seiner Seite, welche eben nicht nur an seinem Einkommen, sondern auch an seinem Einfluss partizipiert und unter dem Deckmäntelchen des Labels Feminismus kollaboriert.
Das gelingt umso leichter je weniger das Thema soziale Gerechtigkeit ist und wird von der Nähe des feministischen Freiheit, Gleichheit und Schwesterlichkeits-Duktus zur bürgerlichen Ideologie begünstigt.
Ich schätze N. Wolf - als Mann - deswegen, weil sie den Finger in diese historische und zugleich brandaktuelle Wunde legt und nachweist, daß Frauen eben nicht nur Opfer, sondern auch Akteure/Profiteure patriarchaler Herrschaft im Kapitalismus sein können, auch und gerade auf Kosten von Frauen niederer Herkunft/Abstammung/Status etc. - also recht eigennützige und darin markt/mediengängig auftretende Agentinnen einer durch diesen Typus modernisierten männl. Herrschaft (nach Bourdieu), dessen Kampf nicht der Befreiung, sondern allein der erweiterten Partizipation an den Fleischtöpfen gilt.
Ich stelle fest, daß diese weibl. Eliten die Gewinnerinnen der Verbürgerlichung der Frauenbewegung sind und den Begriff Feminismus modernisiert und für sich instrumentalisiert haben.
Demgegenüber befürworte ich eine Wiederkunft der kritischen Theorie, die diese Prozesse im Sinne einer selbstorganisierten "Selbstaufklärung" aufhellt und klärt, wem da das auch für Männer durchaus verheißungsvolle Feld der Selbstbefreiung von Frauen überlassen wurde. Dies scheint mir die notwendige, allerdings auch einzig verbleibende, Voraussetzung zur Wiederangeignung des Begriffs Feminismus als eines kritischen und kämpferisch-solidarischen, dessen Theorie sich nur in dialektischer Verschränkung mit umwälzender Praxis entwickelt.
Dazu müssen zuvorderst die doch sehr leicht zu identifizierenden reaktionären Strömungen, die unter der Flagge des Feminismus fahren, energisch und konsequent attackiert werden, meine ich - und sehe mich damit unversehens in solidarischem Kontext mit einer N. Wolf.
Auch mit Ihnen?
I.
Sie übertreiben. Letzten Endes führen die Irrwege des Feminismus im Westen in die totale "gleichberechtigte" Verwertung der weiblichen Arbeitskraft und Einbindung in das Militärische, als ironische Vollstreckung des Kapitalismus und der emanzipatorischen Verheissung, und im Orient in der "konservativen" Frauenrolle des Islam, die keine historische ist. In der Moderne sind Frauenideale stark typisiert. Das "natürliche" bodenständige Mädchen gehört da auch immer dazu.
Übrigens, nehmt irgendein Bild eurer URUR-Großmutter bei der Feldarbeit, alle mit Kopftuch. Schaut Euch die historischen Trachten an, mit Hauben. Die Verhüllung hat bei uns mindestens so viel Tradition wie im Islam. Auch die Frage ob Frauen Schleier in der Kirche tragen sollen. Wir sind schuld, dass wir die Verschleierung zum Identitätsmerkmal der islamischen Welt gemacht haben. Auch die saudischen Gelder.
Ich habe es nicht genau gelesen.
Um es kurz zu machen:
ich glaube schon, daß die biologischen Unterschiede sich auch tendenziell in Verhaltensmuster auswirken können.
Das zieht aber die gleiche Anforderung nach sich, die sich bei Gleichheit ergäbe: jedem Menschen soll unabhängig vom Geschlecht die Möglichkeit der Selbstfindung und Selbstverwirklichung gegeben werden.
Sicher zieht es manche Frauen in "Männerberufe", und das ist auch gut so.
Um seine Rolle zu finden, braucht es vor allem Selbstbewußtsein und Zuversicht, dann können eventuelle Rollenbilder, die immer wieder auftauchen, neutralisiert werden. Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach sichtiger, als korrekte Bilder in den Fußgängerampeln: die mußten vor Jahren auch Frauen symbolisieren, wegen der Ausgewogenheit.
Von diesem Ideal sind wir auch hier noch entfernt, und in den sogenannten Entwicklungsländern noch viel weiter.
Allerdings ergibt sich bei genügend Fortschritten daß allgemeine, nicht geschlechtsspezifische Fragen der Sinnsuche und optimalen Lebensgestaltung auftauchen.
"...Feminismus sei .. zu einer verlotterten, mittelschichtsbezogenen Lifestyle-Bewegung verkommen."
Das Anliegen der Gleichstellung ist also weit genug erreicht, daß solche Probleme genannt werden.
Das bedeutet allerdings noch lange nicht, daß die Gleichstellung schon erreicht ist: der Einkommensunterschied bei gleicher Arbeit ist immer noch beträchtlich.
Die zunehmende Arbeitsbelastung und finanzielle Unsicherheit ist aber kein feministisches, sondern ein Gesamtgesellschaftliches Problem.
ich denke: für die Definition der Autorin; von der dritten Welle des Feminismus, wird die einzig, bestehende, Möglichkeit das Internet sein.
Das ist ein Missverständnis, das sich erst erhellt, wenn man Noami Wolfs Text vor Augen hat (der von der Redaktion leider nicht verlinkt wurde): Sie handelt nämlich auf mindestens der Hälfte des Platzes die "Sünden" der historischen Frauenbewegung im viktorianischen England, in Frankreich (also Existenzialismus) ect. ab. Darauf bezieht sich mein Einwand, dass sie die sozialistische Tradition, die es ja auch in England gegeben hat, völlig ausblendet, wie ich überhaupt finde, dass sie unhistorisch argumentiert.
In den siebziger Jahren lag die Situation für die einzelnen Länder komplizierter: Im angelsächsischen Raum ist der Liberalismus in der femistischen Theorie stärker ausgeprägt als etwa in Deutschland, wo ein Großteil der frauenbewegten Frauen ja (enttäuscht) von der Studentenbewegung kam und aus der Linken kam. Wenn sie frühe Texte aus dieser Zeit lesen, weden Sie sehen, dass sich die Frauen damals noch stark mit der sozialitischen Theorie auseinandersetzten, bzw. genau der blinde Fleck darin der Antrieb war, sich mit der "Frauenfrage" auseinanderzusetzen.
Was würde Luhmann sagen? Wahrscheinlich etwas wie "Macht assimiliert oder speit aus. Was sie assimiliert, wird dabei geändert und in den Dienst der Systemstabilität gestellt. Was ausgespien wurde, existiert im Sinne des Systems nicht mehr." Nichts Neues, was da am Beispiel des Feminismus durchexerziert wurde und wird.
Mißverständnisse sind zum Klären da.
ich unterschreibe:
"wie ich überhaupt finde, dass sie unhistorisch argumentiert"
posten sie hier oder schicken sie mir den link, auf den Sie sich in Ihrer Kritik beziehen.
Und bitte: explizieren Sie den blinden Fleck.
Das könnte erhellend - aber auch sehr spannend - werden.
Ich denke, ich bin mit einigen der Texte und nicht wenigen Ihrer Gedankengänge vertraut. Es interessiert mich.
Wenn Ihnen der kritische Dialog mit einem Mann nicht unangenehm, bitte ich um respektvoll-abtastende Fortsetzung.
Zu vertiefen wäre aus meiner Sicht bspw. Liberalismus und Feminismus, um mal andere Spektren von blinden Flecken als Themenfeld aufzumachen.
Ihnen noch einen schönen Abend
gewünscht vom
Ideefix.
Lieber ideefix,
also, die Quelle ist kein Problem:
www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2012/mar/14/connect-feminism-global-future?INTCMP=SRCH
"unhistorisch" bezieht sich darauf, dass Wolf relativ willkürlich zwei Wurzeln des (liberalen) Feminismus ausmacht, die zumindest national borniert sind, aber ich fürchte auch, theoretisch.
Und der "blinde Fleck" in Bezug auf Frauen in der linken-marxistischen Theorie ist so oft beschrieben worden, dass ich nicht wüsste, wie die Wegweiser durch die Tunnelgänge der einschlägigen Publikationen zu setzen wären.
Ansonsten habe ich keinerlei Berührungsängste.
Nee, Luhmann würde auf "männer, frauen und george spencer brown" verweisen...
Hallo Frau Baureithel,
dem gelinkten Text von N.Wolf entnehme ich nicht wirklich etwas Neues - außer einer sehr "amerikanischen", sprich simplifizierenden, Ausdrucksweise - ...
Die Stoßrichtung finde ich in Teilen gar nicht schlecht, im Gesamtzusammenhang von dem was sie sonst noch schreibt.
Sie kritisiert a.m.S. nicht zuletzt ein im Zuge des 2-wave des - noch nicht globalisierten - Feminismus entstandenes "Establishment", daß sich in Gestalt des auch hierzulande meinungsführenden middle-class-feminism von seinen Wurzeln (die für mich seinerzeit wesentlich im internationalistischen Ansatz fortgeschrieben und begründet wurden) entfernt habe.
Wolf scheint mir für ein Ablegen der eurozentrischen wie der us-bezogenen Brille zu plädieren und dazu aufzurufen, von den aufbegehrenden Muslima zu lernen und back-to-the-roots zu finden.
Das ist hübsch humanistisch und zugleich auch ein naiv gedacht, aber dennoch ein kritisierbarer Ansatz.
Sie stellt dabei ja die inhärente und überfällige Frage, was am Feminismus heutiger Tage noch links sei - wobei links eher diffus als menschenrechtsorientiert und humanistisch ausgerichtet "definiert" wird, woraus sich wenigstens eine Abgrenzung zu den right-wing-women, die auch feminist. Formeln und Parolen für sich zu labeln suchen, ergibt.
Ich meine, es ist i.d.Z. durchaus nachdenkenswert mal die sozioökonomischen Hierarchien, die Gruppen - und Elitebildungen und die bildungsstatusunabhängigen Segregationen und die privat-politischen Selbstverortungen unter Frauen mikro - wie makrosoziologisch zu reflektieren.
Konkreter:
In Industriestaaten wie D sind feministisches Gedankengut und Gleichberechtigungs/stellungsansprüche inzwischen, d.h. im sog. 3-wave, in die Lebensentwürfe vieler junger Frauen eingesunken - ja sind elementarer Bestandteil der Lebensausrichtung - und der Auffassungen geworden.
Allein das was in den Köpfen vorhanden, scheitert an der Umsetzung, weil diese als individuelle Lebensbewältigungsstrategie gefasst wird und somit schon bei der Berufs - und Partnerwahl mit Realitäten konfrontiert wird, die sich nicht wegdenken - noch diskutieren lassen.
DAS meinte ich mit blinden Flecken.
DA wird das sog. private nämlich erst politisch - aber nach meiner Beobachtung werden die "stummen Zwänge" denen Frauen sich an den Übergangspunkten ihrer Lebensabschnitte ausgesetzt sehen nicht politisiert.
Es wird bspw. über unzureichende Kinderbetreuung als Aufstiegs - und Gleichberechtigungshemmnis diskutiert - aber nicht darüber, daß die Domestizierung der Männer in der Berufswelt deren Teilhabe am häuslich-familiären Erziehungsprozess blockiert.
Es wird auch ausgeblendet, daß im Zeitalter der aufstiegs/bildungs - und karriereorientierten Spätgebärenden die Tendenz dahin geht, sich billige - native-english-speaker-nannys aus den Ex-Kolonien ins Haus zu holen, die dann von den polnischen Altenpflegerinnen für die gebrechlich werdenden Eltern/Schwiegereltern abgelöst werden - sofern Frau sich das leisten kann...
Diese weibl. Existenzformen, aus denen sich lokale und soziale Meinungsführerschaften nicht nur auf Elternabenden generieren, greift N.Wolf nach meinem Verständnis zu Recht an.
Ich kenne auch einige Frauen dieses modern-erfolgreichen Typus, der sich als "emanzipiert" versteht, da vom Gatteneinkommen unabhängig und durch das medial gepushte standing entsprechend selbstbewusst.
Was aber ist die Praxis dieser Frauen und Mütter, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit als emanzipiert gelten, mal ganz konkret und materialistisch betrachtet?
Sie gehen mit denen an sie gestellten Erwartungen und familiären Verpflichtungen so um, daß sie diese einerseits an paternalistisch definierte Institutionen (KiTa/Schule) delegieren und sich auf der anderen Seite von der Familienarbeit durch Einbindung von Oma oder Nannys entlasten.
Kurzform:
bürgerliche Emanzipation von Frauen / Müttern funktioniert durch soziales und familiäres Outsourcing.
Dieses Konzept ist durchaus häufig die Basis weibl. Karrieren (siehe bspw. die Schwarzer, deren Mutter zu ihrer Hausangestellten mutierte) mit und ohne Kinder.
Mit dem blinden Fleck war daher meinerseits die wenig kritisierte, weil unter der Flagge des Feminsmus fahrende, Modernisierung der Bewältigungsstrategien der weiblichen Mittel/Oberschichtsfrau und deren Selbstverständnis als Gewinnerin und einflussreicher Teil der neuen weiblichen Eliten, die sich vornehmlich den weiblichen Teil der Bevölkerung als Wahl - und Fußvolk zu halten suchen.
Leider sind diese mit ihren unter der F-Flagge verbreiteten Allgemeinplätzen (deren Substanz konservativ) nicht wenig erfolgreich.
Emanzipation ist dagegen konkret und solidarisch, oder sie ist gar nichts.
Auch für einen Mann übrigens.
Grüße vom Ideefix.
P.S.
von einer punktuellen Wiedereröffnung der vulgärmarxistischen Haupt/Nebenwiderspruchsdebatte halte ich - da sehe ich mich wohl in Übereinstimmung mit Ihnen -
überhaupt nichts.
Ich sehe aber andere Perspektiven.
"Diese weibl. Existenzformen, aus denen sich lokale und soziale Meinungsführerschaften nicht nur auf Elternabenden generieren, greift N.Wolf nach meinem Verständnis zu Recht an."
Gegen diese Kritik hatte ich auch gar nichts einzuwenden gehabt - sie ist allerdings auch ncht sonderlich neu. Sie haben Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass auch Kinderbetreuung ect. nur eine (wenn auch nicht zur Verfügung gestellte) Anpassungsleistung an den Kapitalverwertungsprozess wäre.
Mir geht es aber darum, dass Wolf erstens die Frage, auf welcher Grundlage dieser sog. Menschenrechts-Feminismus funktionieren soll, gar nicht stellt, das heißt die, wenn man es altmodisch ausdrückt, die "Machtfrage" bleibt bei ihr außen vor. Und zweitens bin ich überhaupt skeptisch, ob sich die von ihr formulierten human Rights global für alle Frauen gleich stellen, geschweige denn, dass die Allianzen mit den Männern dauerhaft ist. Wie Sie so schön schreiben: Emanzipation ist konkret und solidarisch, oder sie ist gar nichts.
Schönen Tag!
PS: Welche Perspektiven?
eine luzide Boshaftigkeit, die leider so gut wie nie als solche kommuniziert wird^^
Boshaft? Eigentlich nicht. Gelegentlich versuche ich ja nur, Vergessenes unter die Leute zu bringen...
nicht von Ihnen boshaft :-) von Luhmann^^