Es waren so schöne Bilder. Und sie gingen um die ganze Welt: Arabische Frauen, unverschleiert oder mit Kopftuch, die seit Januar 2011 Seite an Seite auf dem Tahrir-Platz stehen und demonstrieren. Zuerst gegen Mubarak, dann gegen den Militärrat. Die ihren Job oder ihr Hausfrauendasein hinter sich gelassen haben, nicht um einer abstrakten Revolution willen, sondern um für ihre Rechte zu kämpfen. Die Blogs in die Welt schicken, in denen sie die Hälfte des islamischen Himmels fordern. Und die darauf bestehen, dass ohne Frauen keine Demokratie zu machen ist.
Auf die westliche Frauenöffentlichkeit wirkten diese Bilder elektrisierend. Ausgerechnet aus den angeblich so rückständigen arabischen Ländern sollte ein neuer Frauenaufbruch kommen? Ausgerechnet die „Kopftuch-Frauen“ sollten die feministische Fackel übernommen haben und es dem Patriarchat endlich zeigen?
Nicht nur die etablierten Medien rückten diese „Sensation“ aus unterschiedlichen Motiven in die Sichtbarkeitszone. Auch Feministinnen, die an der Agonie der Bewegung in der westlichen Welt leiden, fühlten sich aufgerufen, den Initialfunken aufzunehmen. Der arabisch-feministische Frühling lieferte die Vorlage für Deutungen, Prophezeiungen, Projektionen.
Auch die amerikanische Publizistin Naomi Wolf, bekannt geworden durch ihre böse Abrechnung mit dem Mythos Schönheit, hat sich kürzlich im britischen Guardian zu Wort gemeldet und die nicht unbescheidene Frage gestellt: Wie können „wir“, also die westlichen Frauen, uns dieser Bewegung anschließen, von ihr profitieren?
Wolf, überzeugte Feministin, ist gleichzeitig auch eine scharfe Kritikerin dessen, was im Westen unter Feminismus firmiert. Und so hebt sie mit einer Klage an: Die „zweite Welle“ des Feminismus sei an ihren Endpunkt geraten und zu einer verlotterten, mittelschichtsbezogenen Lifestyle-Bewegung verkommen. In der einige wenige Frauen zwar aufgeholt hätten und auf dem Rücken mies entlohnter weiblicher Arbeitskräfte („low-wage childcare and domestic work“) Karriere machten; andererseits Männer in der Regel noch immer mehr Geld nach Hause brächten und sich kaum an der Hausarbeit beteiligten. Junge Frauen dagegen kriegten das Grauen beim „F-word“, und die, die sich noch für Feminismus interessierten, seien theoretisch unbedarft. Obwohl diese Frauen im Westen „alles erreicht hätten“, zitiert Wolf den Soziologen Marcus Buckingham, seien sie „weniger zufrieden“, weil die Freiheit der Wahl offenbar doch nicht glücklicher mache.
Selbstbestimmung über alles
Schuld daran – und damit zitiert Naomi Wolf ihr 1993 erschienenes Buch Fire with Fire (Die Stärke der Frauen) – seien die problematischen Ursprünge des Feminismus. Zum einen das „Angel in the House“-Konzept – in der deutschen Tradition in etwa vergleichbar mit dem Mütterlichkeits-Konzept des konservativ-bürgerlichen Teils der ersten Frauenbewegung –, das mit seiner Neigung zur bevormundenden Fürsorglichkeit und der Beschwörung weiblicher Differenz den späteren „Opfer-Feminismus“ hervorgebracht habe. Weiterhin der Existenzialismus Beauvoirscher Prägung, dessen zynischer Individualismus Frauen aus ihren Herkunftsbanden gesprengt und in die Vereinzelung getrieben habe.
Diese „beiden historischen Unfälle“ der Frauenbewegung seien, so Wolf, dafür verantwortlich, dass alle anderen Möglichkeiten beiseite gedrängt und „Selbstbestimmung“ als die „Freiheit der Wahl“ als einzige Kategorie der Emanzipation übrig geblieben sei. Diese Vorstellung umfassender Wahlmöglichkeiten wiederum sei aber anschlussfähig an den neoliberalen Kapitalismus, der den Feminismus in sich aufsauge.
Abgesehen von der ziemlich verengten historischen Deutung, die nicht nur die Tradition der sozialistischen Frauenbewegung in Europa völlig ausblendet, sondern auch die verschiedenen Spielarten der autonomen Frauenbewegung der siebziger Jahre, ist Naomi Wolf in ihrem Befund recht zu geben: Wir erleben im Hinblick auf den Feminismus – etwas zeitverzögert – das Schicksal aller sozialen Bewegungen der letzten 50 Jahre: Politisch ist er vereinnahmt und als Schmierstoff in den Kreislauf des neuen Marktes eingespeist worden.
Das äußert sich nicht nur in den Aufrufen an die jüngeren Frauen, sich als „Humanressource“ zur Verfügung zu stellen, sondern auch darin, dass die Politik Erfolg versprechendes Personal inzwischen „nur“ noch unter den Frauen findet oder vorausschauende Konzerne sich schon lange auf das „Diversity-Management“ verlegt haben.
Alles, was (noch!) da ist, muss und soll genutzt – früher hätte man geschrieben: ausgebeutet – werden. Nach dem Vorbild akademischer „Leuchttürme“ avancieren die neuen „Top Girls“, wie die britische Kommunikationswissenschaftlerin Angela McRobbie schreibt, zu „Exzellenz-Subjekten“, deren Besonderheit darin besteht, „gleicher“, besser, anpassungsfähiger zu werden. Dieser „affirmative Feminismus“, wie McRobbie ihn nennt, erklärt den „alten“ Feminismus für tot. Dafür gibt es nun so genannte „femocrats“, also bestallte Agentinnen des Gender-Mainstreaming, und die „Top-Girls“.
Naomi Wolf fordert nun in ihrem Essay How we can connect with feminism’s golbal future dazu auf, den feministischen Lifestyle hinter sich zu lassen und wieder an die Ursprünge der Frauenbewegung anzuknüpfen. Die einzige wahre intellektuelle Erbschaft des westlichen Feminismus, schreibt sie, seien die Aufklärung und die unteilbaren Menschenrechte. Damit hätte der Feminismus seinen Anfang genommen, und darum wäre es auch den Frauen auf dem Tahrir-Platz gegangen. Freiheit für alle, so Wolfs einfache Botschaft, impliziere auch Freiheit für die Mehrheit des Volkes, also die der Frauen.
Menschenrechtsfeminismus
Dieser „Menschenrechts-Feminismus“ würde die Frauen, die in Afrika für ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpfen oder für ein Ende der Genitalverstümmelung, einen, sie könnte die Frauen in Bosnien, die ihre Vergewaltiger vor Gericht bringen, mit den barhäuptigen oder Kopftuch tragenden Frauen in den muslimischen Ländern verbinden. Und zudem erlaube dieser Menschenrechts-Feminismus Koalitionen zu bilden: mit Behinderten, indigenen Völkern, die um ihre Rechte kämpfen oder Frauen, denen es wie in China verboten ist, Gewerkschaften zu gründen. Erst auf dieser Basis würde der Feminismus überall in der Welt wieder attraktiv – und wirkmächtig – werden.
Irgendwie erinnert dieser Menschenrechts-Feminismus ein wenig an den Furor der frühen siebziger Jahre: Da waren Frauen auch beseelt vom gleichen Ziel. Und es war ein langer und schmerzhafter Weg zur Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Lage oder einer bestimmten Ethnie, dass eine sexuelle Orientierung oder eine Behinderung den „Unterdrückungsfaktor“ Geschlecht verändern und die Identität als Frau in den Hintergrund rücken konnte. Frauen können wie alle politischen Akteure unterschiedliche Interessen haben und gelegentlich sind sie mit den männlichen ganz unvereinbar. Daran ändert auch der Rückgriff auf die grundlegenden Menschenrechte nichts. Wenn die Frauen auf dem Tahrir-Platz zum Beispiel für mehr politischen Einfluss oder mehr persönliche Freiheit einstehen, kann das auch auf Kosten ihrer „verbündeten“ Männer gehen. Wir kennen mittlerweile die Berichte von den Pöbeleien gegen die Demonstrantinnen und die gar nicht mehr schönen, sondern traurigen Bilder, als sie niedergeknüppelt wurden. Die marokkanische Soziologin hat schon nach dem Ende des ersten Golfkriegs 1992 darauf hingewiesen, dass der Fundamentalismus und die Geburt des Feminismus in Ägypten eng miteinander verknüpft sind. Und es sollte auch nicht vergessen werden, dass dieser Krieg einmal im Namen der Demokratie, angeblich um die unterdrückten Frauen Kuweits zu befreien, begann.
Es wäre naiv zu glauben, mittels der Menschenrechte der großen Verschwisterung aller zum Durchbruch zu verhelfen. Was nützt die Meinungsfreiheit, die freie Gestaltung des eigenen Lebens, wenn die Mittel dafür monopolisiert bleiben? Es ist das Verdienst des egalitären Feminismus, dass er Männer dazu zwingen will, Ressourcen abzugeben, zu teilen, aber um den Preis, dass Frauen sich an die männlichen Normen anpassen. Für die andere Fraktion, die darauf besteht, Unterschiede anzuerkennen, ist das ganz unannehmbar.
Die feministische Philosophin Nancy Frazer hat immer wieder darauf insistiert, diese beiden Positionen zu versöhnen. Sie ist jedoch auch davon überzeugt, dass sich „kulturelle Unterschiede erst auf Grundlage sozialer Gleichheit ausbilden können“. Ihre Kollegin Martha Nussbaum glaubt hingegen, dass in bestimmten Situationen die „Metrik der Gleichheit“ von der „Metrik der Fähigkeiten“ abgelöst werden müsse, die sensibel gegenüber besonderen Bedürfnissen und kulturellen Unterschieden ist.
Das Rad der Geschichte kann in der arabischen Welt nicht mehr zurückgedreht werden, denn die Frauen, um Fatema Mernissi noch einmal zu zitieren, seien dort längst davongeflogen: „Sie vollbringen bleich und feierlich die große Pilgerfahrt, von der die Großmütter so oft geträumt haben.“ Die Herausforderung für „die großen euro-amerikanischen Völker“, die das Lied „von Universalismus und der Liebe zur Demokratie“ singen, bestehe jedoch darin, ob sie die Demokratiebewegung auch noch stützen, wenn damit Nachteile für sie verbunden sind. Daran wird sich letztlich auch ein Menschenrechts-Feminismus messen lassen müssen.
Naomi Wolf, geboren 1962, ist eine amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin. Ihr Buch Der Mythos Schönheit (1991) wurde von der New York Times zu einem der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt. Wolf bloggt regelmäßig in der Huffington Post. Demnächst erscheint von ihr eine Kulturgeschichte der Vagina
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