Understanding Einstein

Im Dienst der Innovationsoffensive Eine beeindruckende wissenschaftsgeschichtliche Ausstellung will eine Ikone entmystifizieren - und schafft dabei neue Mythen

Was haben Karl Marx und Albert Einstein gemeinsam? Sie haben die Welt vom Kopf auf die Füße gestellt. Der eine, indem er den Idealismus aus der Philosophie vertrieb, der andere, indem er das mechanische Weltbild zugunsten der Relativität von Zeit und Raum verabschiedete. Als Gradmesser ihrer "Nachhaltigkeit", wie das heute modisch genannt wird, blieben die unverwechselbaren Köpfe, die, trotz konjunktureller Krisen, ihre Valuta behaupten. Der Kopf steht für die Sache selbst, die dahinter verschwindet. Dies gilt offenbar um so mehr, wenn "die Sache" kompliziert und unfassbar ist.

Mobilisierung eines "Kulturfaktors"

Die Verknüpfung von Person und wissenschaftlicher Leistung birgt dort, wo die Person zur Ikone wird und sich vor die Leistung schiebt, Probleme. In politischen Zusammenhängen droht der Personenkult die Theorie still zu stellen, und in wissenschaftlichen wie im Fall Einstein wirkt die Verselbstständigung des Mythos kontraproduktiv. Das muss derzeit auch die Bundesregierung erleben, die Albert Einstein in ihre sogenannte Innovationsoffensive einzuspannen versucht. Doch welches Genie ist je akademischen Niederungen entsprungen? Ganz davon abgesehen, dass der Außenseiter und wissenschaftliche Einzelkämpfer in der heutigen, extrem arbeitsteiligen und spezialisierten Wissenschaftslandschaft noch weniger Platz fände als zu Einsteins Zeiten.

Also gilt es, den "Mythos Einstein" zu entmystifizieren und ihn erneut als "Kulturfaktor" zu mobilisieren. Als solchen sah ihn schon das Auswärtige Amt des Kaiserreichs und beauftragte deshalb seine Wissenschaftsfunktionäre, den Physiker von der Schweiz nach Deutschland zurück zu holen. Damals sollte Einstein das neu zu gründende Kaiser-Wilhelm-Institut für Theoretische Physik leiten. Heute ist es - sozusagen in der institutionellen Nachfolge - dem Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPGWG) aufgetragen, in einer groß angelegten, millionenschweren Ausstellung, die das "Herzstück" des Einstein-Jahres bilden soll, Einstein aus dem Olymp in die gemäßigteren Zonen der Kulturgeschichte zu rücken. Man darf, um MPGWG-Direktor Jürgen Renn zu zitieren, gespannt sein, was "ein geisteswissenschaftliches Institut der Öffentlichkeit in Sachen Einstein zu bieten hat".

Zunächst bleibt der "Mythos" in den Außenbereich der 1.800 qm-Ausstellungsfläche im Kronprinzenpalais unter den Berliner Linden verbannt und die "Visage" Einsteins, die jeder kennt, in eine Klang- und Video-Installation eingebettet. Wer "eindringen" will, muss mehr wissen wollen, als gemeinhin von dem jungenhaft wirkenden Provokateur bekannt ist und sich mit den wechselnden Weltbildern und Theorien der Zeit bewegen: Einstein, der mit Aristoteles und Newton darüber disputiert, warum sich der Apfel nach denselben Gesetzen bewegt wie der Mond; später Max Planck, der sich mit den Kollegen Boltzmann und Lorentz über die Probleme der modernen Physik auseinandersetzt; und im dritten Teil wieder Einstein, der mit den nachgeborenen Philosophen der Moderne und Postmoderne ringt. Dieses von Schauspielern nachgestellte, im eng an der Ausstellung orientierten Katalog noch einmal dokumentierte szenische Gestaltungsprinzip unterstreicht den diskursiven Charakter von Wissenschaft - und gerät gelegentlich in die Nähe der Doku-Soap, etwa wenn Einstein mit Freunden aus der Akademie Olympia beim Bier sitzt und dort (angeblich) den Stein der Weisen findet.

Kolonisierung der Natur

Eindrücklich werden im ersten Teil der Ausstellung nicht nur die veränderten Weltbilder inszeniert, sondern er macht auch auf den zunehmend experimentellen Charakter von Wissenschaft aufmerksam. Die Forscher dringen nun in die Mikro- und Makrowelten vor, neue Beobachtungsinstrumente erlauben den Vorstoß in den Weltraum und die Vermessung der Gestirne, und mit Hilfe experimenteller Systeme gelingt es, unveränderliche Elemente in neue Stoffe umzuwandeln und Energie daraus zu gewinnen. Die Kolonisierung der inneren und äußeren Natur scheint unaufhaltsam und von einem unvorstellbaren Optimismus begleitet. Dass sich mit den flottierenden Weltbildern auch der Beobachterstatus verrückt, lässt sich an einen schönen Modell des Ptolemäischen Kosmos von 1912 demonstrieren: Hier steht der Forscher noch außerhalb der Welt; wenn er sich per Computer-Knopfdruck mit Celestia durch den Weltraum "beamt", ist er involvierter Teil der Reise.

Um die Jahrhundertwende scheint die Physik dann an ihre Grenze gestoßen zu sein: Mechanik, Elektro- und Thermodynamik sind, folgt man den wissenschaftlichen Protagonisten, theoretisch ausgereizt. Die zweite Station, eröffnet mit einer "Schatzkammer" - ein lichtgeschützter Raum, in dem wertvolle Originale als Leihgabe der Hebräischen Universität Jerusalem präsentiert werden -, ist dem Lebensweg Albert Einsteins gewidmet. Sie zeigt ihn als Spross einer wissenschaftsfreundlichen jüdischen Industriellenfamilie, die zeitweise in Pavia lebt und italienische Städte mit Elektrizität versorgt. Doch obwohl die Wissenschaft bereits auf dem Weg ist, den sachlichen Experten hervorzubringen, mimt Einstein Zeit seines Lebens eher den bohemienhaften Wissenschaftstypus, den er in der Schweiz, wo ihm die Anstellung im Berner Patentamt viel Zeit und Muße zu privaten Forschungen erlaubt, ausgebildet hat. Trotz aller Abgrenzung und aller Polemik gegen die bestallten akademischen Mandarine seiner Zeit bleibt er - zumindest habituell - dieser Tradition verbunden. Die in der Ausstellung aufgeschichtete Bibliothek der von Einstein gegründeten und mit Freunden betriebenen "Akademie Olympia" zeugt von dieser alten Buchgelehrsamkeit.

Schubladen-Existenz und Lichtgestalt

Auffällig ist, dass der Lebensweg fast ausschließlich den "öffentlichen" Einstein fokussiert: den Forscher, den öffentlichen Diskutanten, den Politiker, den Reisenden - und nicht zuletzt, wenn auch eher am Rande, den Emigranten. Der "private Einstein" bleibt nicht nur metaphorisch "in der Schublade". Wer etwas über Einsteins anachronistisches Frauenbild (ebenfalls am Rande) erfahren will, über sein Verhältnis zu seinen Kindern und Freunden oder seine Hobbys, muss sich wieder in den Außenbereich der Ausstellung bemühen und die entsprechenden (roten) "E"-Kästen öffnen, wobei unklar bleibt, wofür das E steht: für Einstein und seine Formel oder für Einstein wie Einsamkeit. Was dort präsentiert wird, ist auch nicht besonders "sprechend" und schon gar nicht in Bezug gesetzt zur Person, als sei dieser "private Einstein" - für wen? - peinlich und als hätte seine private "Schubladen"-Existenz, seine zahlreichen Affären und sein nicht unbedingt familienfreundliches Verhalten die öffentliche Figur nicht tangiert.

Die ist Licht und führt ihn ins Licht, um das es ihm geht, die Lichtgeschwindigkeit. Im Zentrum der Ausstellung der "weiße Raum", Licht-Metapher und scheinbar aufgelöst, ohne Ecken und Kanten: Einsteins Raumzeit. Hier wird, überaus lebensnah und auch für den physikalisch nicht vorgebildeten Besucher verständlich am Beispiel der Berliner U-Bahn die 1905 auf den Weg gebrachte spezielle Relativitätstheorie exemplifiziert, die 1919 im empirischen Nachweis der allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt werden wird.

Diese Teile, in denen es um die didaktische Präsentation der Theorie, um den "Kern" der Wissenschaft geht, sind zweifellos die gelungensten der Ausstellung. Die Macher haben sich viel einfallen lassen, um die komplizierten wissenschaftlichen Zusammenhänge sinnfällig erfahrbar zu machen. Die damals konkurrierenden Atommodelle beispielsweise sind in einem Raum aufgereiht, der mit transparenten Plastikluftpolstern tapeziert ist, der Nachbau des Mount-Wilson-Observatoriums steht in einer stimmigen "Himmelskammer": Jedem Detail seinen eigensinnigen Ausdruck, jedem Raum seine Atmosphäre - und allenthalben die nicht mehr verzichtbaren "interaktiven" Computerspiele, als sei auf diese Weise das Gespräch mit Einstein und der Wissenschaft zu bewerkstelligen. Die ausgestellten Dokumente und Bilder fungieren eher als Beigabe, obwohl es gerade Einstein war, der auf der Lektüre von "charakteristischen Äußerungen" wichtiger Persönlichkeiten bestanden hatte, um deren Denkweise zu beurteilen.

Im Übergang von der zweiten zur dritten und letzten Station bleibt die Erkenntnis, dass Einstein zwar unvermindert auf der Suche dessen war, was die Natur im Innersten zusammenhält, er der Wissenschaft dabei jedoch nur einen "relativen" Dienst erwiesen hat in dem Sinne, dass sie immer mehr in spezialisierte Einzeldisziplinen und -diskurse zerfiel. Was bleibt also nach Einstein, der die Wissenschaft nie aus der politischen Verantwortung entlassen wollte?

Mythos Wissenschaft

Einsteins Engagement für den Frieden wird im letzten Ausstellungsteil durchaus nicht unterschlagen: Das Russell-Einstein-Manifest gegen den Einsatz von Nuklearwaffen, die Göttinger Erklärung und einiges mehr. Doch die Konsequenz, die die Ausstellungsmacher aus diesem Vermächtnis ziehen und in Szene setzen - ein großer Konferenztisch, an dem ein "Unsicherheitsrat" darüber sinniert, was die "größten Fragen und Herausforderungen" sind oder "was Wissenschaft kosten darf" - verfehlt den eminent "eingreifenden" Impetus des "politischen" Einsteins. Hier wird Wissenschaft als Gegenstand der Regulierung durch Experten vorgestellt, der Sachdiskurs höchstens einmal unterbrochen durch einen Publikums-Einwurf.

Das mag zwar dem Kanzler und seinen diversen "Räten" gefallen und die aktuell ins Leben gerufenen bioethischen "Bürgerkonferenzen" nachempfinden, in Einsteins Sinn von wissenschaftlicher Verantwortung ist das nicht. Zu dieser Vorstellung von "regulierter Transparenz" passt, dass der "verfolgte Einstein" in einem völlig abgetrennten, an die Todesduschen von Auschwitz erinnernden gekachelten Raum präsentiert wird. Dort werden zwar auch die CIA-Akten, die nicht nur Einstein, sondern auch die USA in die Verdachtszone rücken, ausgestellt. Doch die räumliche Inszenierung exterritorialisiert die Verfolgung Einsteins, als ob Wissenschaftler seines Kalibers nicht auch heute mit demokratisch verfassten Staaten in Clinch geraten könnten.

Sollte hierbei dennoch beim Besucher ein verstörender Effekt ausgelöst worden sein, wird er beim Eintritt in den Spiegeltempel, der den unendlichen Kosmos und die Grenzenlosigkeit der Forschung simuliert, wieder sediert. Im Dunkel des Wissenschafts-Alls orchestriert die moderne Physik und Astrophysik ihre Auferstehung. Mag der Mythos Einstein durch die Schau entzaubert worden sein - der Mythos Wissenschaft geht einmal mehr, trotz aller kritischen Verrenkung, neuen Weihen entgegen.

Albert Einstein. Ingenieur des Universums. Berlin Kronprinzenpalais Unter den Linden vom 16. 5. bis 30. 9. 2005. Der gleichnamige Katalog bei Wiley. Im Internet ab Ende Juni unter www.living-einstein.de. Weitere Infos und Begleitprogramm unter www.einsteinausstellung.de


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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