Unter Modernisierungsdruck

Gleichstellung Der Streit um die Homo-Ehe zerreißt die Konservativen – weil darin zwei ihrer Ur-Werte aufeinanderprallen
Ausgabe 11/2013
Prototyp einer heteronormativen Ehe: der konservative Joker und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt mit seiner Ehefrau Tanja
Prototyp einer heteronormativen Ehe: der konservative Joker und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt mit seiner Ehefrau Tanja

Foto: Daniel Karmann / dpa

Parteien sind paradoxe Wesen oder, wenn man es weniger essenziell haben will, Systeme. Ihr Dasein rechtfertigt sich damit, Massen hinter sich zu versammeln – hinter Werten, Ideen und Zielen. Gleichzeitig müssen sie dem, was an Werten, Ideen und Zielen im Wahlvolk swingt, hinterherlaufen. Das nennt man dann gemeinhin Populismus. Um dem Volk zu seinem Ausdruck zu verhelfen, gibt es Wahlen, und wenn die Gewählten das Recht ignorieren, können die Wähler das Verfassungsgericht anrufen. Parteien haben es also schwer. Die Anhäufung von Wählerstimmen einerseits und die Selbstzerstreuung im Wählerwillen andererseits ist nur unter heftigen Spreizübungen einlösbar – zumal da auch noch ein „Marktwille“ mit Regie führt, was gewollt wird oder gewollt werden soll.

Der Streit um die Homo-Ehe ist eigentlich ein Streit um Pfründe – vom Adoptionsrecht bis zur Steuererleichterung. Er führt diese eigentlich unauflösbare Aufgabe aber geradezu klassisch vor. Die konservativen Bewahrer der Familie fühlen sich von einer Institution herausgefordert, die nicht nach weiblichem Töpfchen und männlichem Deckelchen organisiert ist und sich, zumindest biologisch, noch nicht fortpflanzt. Für sie steht nun an vorderster Front CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der glaubt, die „stille Mehrheit“ gegen die „schrille Minderheit“ verteidigen zu müssen. Der letzte standhafte Konservative sieht sich als Schutzwart eines Ehe-Modells, in dessen Rahmen – Gipfelpunkt des Wünschbaren! – Mama dank Betreuungsgeld zu Hause bleiben kann.

Unverheiratete Eltern bleiben immer noch ausgeschlossen

Auf der anderen Seite gibt es in der Union auch solche, die es nicht so dramatisch finden, wenn gleichgeschlechtliche Ehen wie die von allen übrigen begünstigt werden. Wichtig ist ihnen, dass Ehe und Familie als Subsidiarsysteme geschützt bleiben, um die Sozialkassen nicht zu belasten. Für sie bedeutet Konservativismus nicht wie für Dobrindt sich gegen den „gefährlichen Zeitgeist“ zu stemmen, sondern sich elastisch an Opportunitäten anzuschmiegen. Die bislang 27.000 eingetragenen Lebenspartnerschaften, die vom Steuerprivileg der Ehe profitieren würden, fallen für den Staat allerdings kaum ins Gewicht – zumal absehbar ist, dass das Verfassungsgericht ohnehin zu ihren Gunsten entscheiden und den Gesetzgeber verpflichten wird, die Steuerregeln anzugleichen.

Im Parlament könnte es also schon heute eine „schweigende Mehrheit“ geben, die die steuerrechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe befürwortet. Deshalb hat der Stuttgarter CDU-Chef Stefan Kaufmann, der auch im Bundestag sitzt, vorgeschlagen, die Abstimmung wie bei anderen Weltanschauungsentscheidungen freizugeben. Das wäre auch ein Geschenk an den Koalitionspartner FDP, der zwar dezidiert für die Gleichstellung eintritt, auf dem Bundesparteitag am Wochenende aber signalisiert hat, im Fall des Falles nicht gegen die Union zu stimmen.

Dagegen steht nun das Machtwort der Kanzlerin, die – zwischen konservativer Wählerakkumulation und Modernisierungsdruck zerrissen – auf dem Koalitionsbeschluss vom Dezember beharrt und das Privileg der Hetero-Ehe aufrechterhalten will. Sie hat drei ihrer Minister, den Haushälter Wolfgang Schäuble und die beiden sich gegenseitig beharkenden Ministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder, vorgeschickt, um den Strom des Unmuts abzulenken in ruhigere Seitenläufe. „Familiensplitting“ heißt nun das Zauberwort der Arbeits- und der Frauenministerin. Es ist von „Umbau“ die Rede, und alle, also auch unverheiratete Paare, sollen davon profitieren. Gleichzeitig versprechen sie, dass langjährig Verheiratete nicht schlechter gestellt würden als bisher.

Die Lösung der konservativen Quadratur des Kreises? Christian Lindner (FDP) spricht hämisch von einem Ablenkungsmanöver; SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hält das Familiensplitting schlicht für unbezahlbar. Ordnungspolitisch folgen Ehegatten- und Familiensplitting unterschiedlichen Logiken: Im ersten Fall bildet die Erwerbsgemeinschaft der Verheirateten die Grundlage der Besteuerung, im zweiten, wie etwa in Frankreich, ist es die Zahl der Kinder. Ein Erwerbsanreiz für Ehefrauen ist das Familiensplitting auf jeden Fall nicht, und eingetragene Lebenspartnerschaften profitieren nur davon, wenn Kinder im Haushalt leben.

Dagegen setzt die Opposition, mit unterschiedlicher Akzentuierung, auf die Individualbesteuerung. Im gerade vorgestellten SPD-Programm soll „ab einem Stichtag anstelle des Ehegattensplittings ein Partnerschaftstarif“ treten, der berücksichtigt, dass die Eheleute gegenseitig unterhaltspflichtig sind. Unverheiratete Paare, also Überlebensbündnisse, die nach deutschem Sozialrecht als Bedarfsgemeinschaft gelten und ebenfalls füreinander einstehen müssen, gehen nach Auskunft von Generalsekretärin Andrea Nahles bei diesem Modell leer aus. Auch das ist eine Paradoxie rechtlicher Modernisierung: Die Inklusion der einen, in diesem Fall der Homo-Ehen, geht mit nicht weiter verhandelten Ausschlüssen einher, derjenigen, die nicht heiraten wollen oder können.

Am Ende wird die Union, so oder so, wohl gar nicht darum herumkommen, die Homo-Ehe auf allen Ebenen gleichzustellen, jedenfalls solange die Ehe verfassungsrechtlich privilegiert ist. Ob überhaupt noch zu Recht ist in einer zunehmend bunten Gesellschaft, die alle möglichen Partnerschaftsformen erfindet, eine ganz andere Frage. Schließlich gibt es keinen Grund, warum eine Wohngemeinschaft, die gemeinsam für dort lebende Kinder sorgt, schlechter gestellt sein sollte als kinderlose Eheleute. Wenn sich andererseits der Trend zur Individualisierung – übrigens auch im Hinblick auf die Kinder – weiter durchsetzt, wird es ohnehin schwieriger werden, besondere „Keimzellen“ der Gesellschaft zu privilegieren.

Moment mal, so eine Debatte hatten wir schon mal

Davon einmal abgesehen, ähnelt die Debatte um die Homo-Ehe ein bisschen der Frauenquote. Wenn die Konservativen behaupten, die Homo-Ehe sei eben doch nicht so ganz vergleichbar mit einer normalen Ehe, dann erinnert das an Argumente, nach denen sich Frauen angeblich von Männern unterscheiden und es deshalb legitim sei, ihnen nicht dieselben Rechte, Chancen und Privilegien einzuräumen. „Andersartiges“ zu behaupten war schon immer gut, um das eigene Scherflein zu hüten.

Im Falle der Frauen kommt der Druck vom Markt, der nach ihnen verlangt. Qualifizierte Frauen, die zu Hause bleiben und Kinder betreuen, sind aus Verwertungsperspektive hochgradig kontraproduktiv, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt wissen lässt. Weitsichtigere Konservative, die ihre „schweigenden Mehrheiten“ nicht mit Lupenschärfe in bayerischen Marktflecken suchen, verstehen das und sind darin geübt, den mit dieser Einsicht verbundenen „Modernisierungsschmerz“ zu ertragen.

In gewisser Weise wäre vielleicht sogar ein Alexander Dobrindt bereit, das einzusehen. Deshalb so viel Lärm um die Homo-Ehe; nicht, weil sie seine Werte bedrohte – das tun Karrierefrauen, die keine Lust auf Ehe und Kinder haben, unter Umständen nachdrücklicher –, sondern weil es sich um etwas handelt, das für den Markt keine besondere Relevanz hat und Konservative nicht unter ökonomischen Wettbewerbs-, sondern „nur“ unter gesellschaftspolitischen Modernisierungszwang setzt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden