Vermessen

Linksbündig Alexander von Humboldt als Pop-Idol

Kein Jubiläum, das pflichtschuldigst abzufeiern wäre und kein Gedenktag, der zu Devotion verpflichtete; da ist nichts als eine - zugegeben - originelle Marktidee und eine Figur, die schillernd genug ist, die Poplandschaft zu bereichern: der Weltreisender, Naturforscher und Kosmopolit Alexander von Humboldt. Dessen vor zweihundert Jahren unternommenes gigantomanisches Lebenswerk soll nun von einem instinktsicheren Verleger (Franz Greno) und einem mimentisch verzückten Herausgeber (HM Enzensberger) einer Schülergeneration gereicht werden, der gerade wieder bestätigt wurde, dass sie im weltweiten Wettbewerb nicht genügt.

Die Euphorie für das Projekt, das Feuilletons begeistert und politische Redakteure Brandkommentare wider die Erschlaffung und Lähmung diktieren lässt, ist bemerkenswert. Der umtriebige, neugierige, unabhängige und dabei irgendwie romantische Wissenschaftsunternehmer Alexander von Humboldt, der bestallte Ämter ausschlug, um in exotische Welten vorzudringen, die höchsten Berge bestieg, sich auf dem Orinoco von Moskitos plagen und von zahmen Wilden wieder aufpäppeln ließ, ist der Stoff, aus dem Kultfilme, nicht jedoch staubtrockene Folianten gemacht werden.

Wunderschön ausgestattet und teuer mögen der Kosmos, die Ansichten der Natur und die bis dahin nie ins Deutsche übersetzten Ansichten der Kordilleren auf den Coffee-Tables ähnliche Distinktionsbedürfnisse befriedigen, wie es einst Pariser und Berliner Salondamen chic fanden, den Weltreisenden als Gast zu laden. Doch all die Aufregung um einen Mann, dessen Standbild vor der Berliner Humboldt-Universität (samt dem seines Bruders Wilhelm) eigentlich abgeräumt wer werden müsste, nachdem brachialer Reformzauber beider Bildungsvermächtnis so gründlich aus den Universitäten ausgetrieben hat?

Wenn es stimmt, dass nachgereichte Würdigung ein Gradmesser für Vergessensleistung und Erinnerungskultur das Bewusstsein sediert, dann ginge es den Humboldts eben nicht anders als all den Größen, die mit "Gedächtnisjahren" malträtiert werden. Mit Alexander von Humboldt scheint es aber noch eine andere Bewandtnis zu haben. Der gefeierte Naturforscher, der die Welt beschreibend erfasste, ohne ihre "kosmische Harmonie" sichtbar zu stören und der Natur "mit Respekt" begegnete, ist unverdächtig genug, um als unternehmerischer Wissenspionier aufs Podest gehoben zu werden und der von Sinnfragen und ethischen Dilemmata bedrängten Wissenschaft zu sekundieren. Politisch liberal, von expansivem Wissensdrang beseelt und dabei ein Kommunikationstalent würde er heute wahrscheinlich eloquenter Sprecher jener Wissenschaftsfraktion sein, die ihre Forschungsfreiheit geschützt sehen will.

"Netzwerker der Forschung" und "Vermesser des Kosmos", so und ähnlich lauten die Huldigungen. Humboldts Vorstellung, das Weltganze, wir würden heute sagen "interdisziplinär" zu erfassen, ist unbestreitbar faszinierend. Die Erfassung meinte bei ihm allerdings nicht vorab kognitive Durchdringung als vielmehr die reale buchhalterische Vermessung. Das gilt für die auf ihn zurückgehende Entdeckung der Isotherme ebenso wie für Pflanzen, Tiere und Menschenrassen, deren Anblick, im Wissensatlas mit naturalistischem Charme vorgeführt, nur uns Heutige beklemmen mögen. Kind seiner Zeit, durchdrang Humboldt die Erde nach innen: sei es als Geologe im Bergbau, sei es als Reisender in die Weiten Mittel- und Südamerikas. Seine Vermessung der Welt und seine Suche nach dem kosmologischen Aufbau und Zusammenhalt hat - auch wenn er im Unterschied zu seinem Wissenschaftskollegen Bacon die Natur nicht "auf die Folter spannte" - schon gewisse Ähnlichkeiten mit der heutigen Genkartierung, die dem "Bauplan des Lebens" auf die Spur kommen will und dabei das Körperinnere kolonisiert. Dabei hat sich Humboldts Einsicht, dass alles mit allem zusammenhängt und monokausale Erklärungen in die Sackgasse führen, mittlerweile ja auch bei den Gen-Entzifferern durchgesetzt. Nur: Humboldt war der bessere Vermittler.

Ob seine aufwändigen Karten, Zeichnungen und Erzählungen, die demnächst die Schulbibliotheken füllen sollen, viel frequentiert werden, sei dennoch dahingestellt. Das ist auch egal. Hier gibt es endlich einmal wieder einen großen Deutschen zu besichtigen, einen adretten und vorzeigbaren, nicht so mit Blut besudelten wie Adolf Hitler (der ja auch gar kein Deutscher war). Ein Gutmensch, soll er gewesen sein. Ob er es mit dem nicht absehbaren Verfallsdatum des Bösen aufnehmen kann, ist allerdings fraglich.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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