Vertrauensbildende Maßnahme?

Stammzellengesetz Nach monatelangem Gezerre verabschiedete der Bundestag ein inkonsistentes Gesetz, das die Forschung mit embryonalen Stammzellen regelt. Der Umgang mit fetalem Gewebe bleibt weiterhin im rechtsfreien Raum

Genervtheit. Erschöpfungserscheinungen. Regelrechter Überdruss. In den letzten Wochen hatte man bei KollegInnen und gelegentlich auch bei den politisch Verantwortlichen den Eindruck, das Thema und das Gezerre um einen mehrheitsfähigen Antrag über zu haben. Selbst bei den Protagonisten aus der Wissenschaft scheint sich der Furor gelegt zu haben. Alle gemeinsam hoffen: Ende dieser quälenden Debatte, die - allen parlamentarischen Ausgleich brüskierend - keine wirklichen Kompromisse zeitigt, weil Schlichtungen in solchen Fragen nur inkonsequent sein können.
Bei Begriffen wie "Stammzellen" und "Stammzellenimport" mag manche, die es bewusst miterlebt hat, ähnlicher Überdruss befallen haben, wie vor über zehn Jahren das unendliche Hin und Her um den Paragraph 218. Im Unterschied zu diesem hochgelobten Kompromiss wird das "Stammzellengesetz" allerdings eher negative Publizität erlangen. Nicht weil, wie manche im Vorfeld warnten, es schon bei seiner Verabschiedung Makulatur ist, von der galoppierenden wissenschaftlichen Entwicklung überholt. Auch nicht, weil es, wie gelegentlich behauptet, ein patientenfeindliches Gesetz ist, das wirkungsvolle Therapien vorenthalte. Und - das sei in Richtung der Importgegner kritisch angemerkt - wahrscheinlich auch nicht deshalb, weil es nun Tür und Tor für den Embryonenverbrauch öffnet. Durch diesen Spalt zieht es nämlich schon länger heftig.
Negativ wird sich das "Stammzellengesetz" in die Annalen des deutschen Parlamentarismus einschreiben, weil es zutiefst widersprüchlich und verfassungsrechtlich inkonsistent ist und als "vertrauensbildende Maßnahme" enttäuscht. Embryonenschutz ja, aber Import von ES-Zellen, wenn "hochrangige wissenschaftliche Ziele" verfolgt werden. Doch: was ist ein "hochrangiges wissenschaftliches Ziel" und wer bewertet es unter der Maßgabe, dass es, so das Gesetz, eben nicht nur um Grundlagenforschung, sondern auch "um die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver und therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen" handelt?
Übernehmen soll diese Aufgabe eine neu einzurichtende begutachtende Kontrollbehörde am Paul-Ehrlich-Institut bzw. Robert-Koch-Institut, die bereits in dem vor der Bundestagsdebatte am 30. Januar entwickelten Entwurf des Bundesforschungsministeriums vorgesehen war (vgl. Freitag 25. Januar). Nichts aber war dort über die Zusammensetzung der neunköpfigen Ethik-Kommission zu lesen, die nun mehrheitlich von Medizinern und Biologen besetzt werden soll und deren Votum bei Entscheidungen nur zu "berücksichtigen", also nicht bindend ist. Siegesgewiss äußerte sich am vergangenen Samstag der Stammzellenforscher Oliver Brüstle, der ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass seine Forschungsgruppe im Herbst mit den DFG-Geldern rechnen kann.
Unglaubwürdig ist das Gesetz auch im Hinblick auf die Stichtagsregelung. Warum wurde nicht, wie noch in der Bundestagsdebatte ganz selbstverständlich, der vom amerikanischen Präsidenten George Bush vorgeschlagene 1. August angesetzt und die Frist nun stattdessen auf den 1. Januar 2002 ausgedehnt? Hat sich hier die Forschungslobby durchgesetzt, die nach der parlamentarischen Debatte Angang Februar ein lautes Gezeter über diese Stichtagsregelung anhob?
Dass Forscher, die sich im Ausland nach deutschem Recht an verbrauchender Embryonenforschung beteiligen oder diese fördern, nun bestraft werden (können), ist lediglich dem Umstand zu verdanken, dass dem "vermittelnden" Fischer-Böhmer-Renesse-Antrag kurz vor Toresschluss die Mehrheit zu schwinden drohte und Importgegner auf diese Weise durch die Tür gezogen werden sollten. Bulmahns Parlamentarischer Staatssekretär, Wolf-Michael Catenhusen, hatte sich vehement gegen diese Verschärfung ausgesprochen, mit praktischen Grund: Zum einen sieht er die eben freigegebenen EU-Gelder für die Stammzellenforschung an Deutschland vorbei rinnen. Völlig unklar ist darüber hinaus, wer kontrollieren will, was deutsche Forscher im Ausland treiben und was passiert, wenn Stammzellforscher hierzulande das Handtuch werfen und ins Ausland übersiedeln (einmal ganz davon abgesehen, dass es sich ohnehin nur um eine Handvoll Leute handelt, die sich jederzeit umorientieren könnten - mit und ohne Gesetz).
Es gibt noch eine weitere rechtliche Inkonsistenz, über die niemand gerne redet, weil sie auf ein unabsehbares eigentumsrechtliches Problem verweist: Das Gesetz sieht nämlich vor, dass für die "Spende" von Ei- oder Samenzellen kein Entgelt gezahlt werden kann. Das soll, ähnlich wie bei der Organspende, die Kommerzialisierung von Gewebe und Zellen verhindern. Doch mit welchem Recht ist es dann möglich, dass Forscher die Gewebeprodukte patentieren lassen und aus den Patenten Gewinn erzielen? Wird hier nicht die "Erzeugerin" von menschlichen Eiern, der "Produzent" von Samen über den Tisch gezogen, enteignet? In diesem Zusammenhang ist auch die Regelung umstritten, dass nicht die Eltern, sondern irgendeine Person mit der Freigabe des embryonalen "Materials" einverstanden sein muss.
Diese rechtlichen Inkonsistenzen und Halbheiten, so könnte man meinen, haben viel gemeinsam mit dem 218-Kompromiss; und tatsächlich gab es im Laufe der Stammzellen-Debatte einmal den Vorschlag, die damals gefundene Formel "rechtswidrig, aber nicht strafbar" für die betroffenen Forscher anzuwenden. Man kann heute mit einigem Recht über die Probleme des damaligen 218-Kompromisses nachdenken, etwa wenn man sich die gängige Praxis der Spätabtreibungen (im Rahmen der medizinischen Indikation) und ihre eugenischen Motive betrachtet.
Doch was beim Schwangerschaftsabbruch tatsächlich ein Wertekonflikt zwischen dem Recht des Embryo und der Selbstbestimmung der schwangeren Frau ist und deshalb nur im jeweils einzelnen Fall abgewogen werden kann, stellt sich bei der Stammzellenforschung nicht in dieser Weise, weil die Einschränkung der Forschungsfreiheit in diesem Fall keine so weitreichenden persönlich-existenziellen Konsequenzen hat wie die Austragung eines Kindes für die Frau. Und weil der Fetus nicht, wie im Falle der embryonalen Stammzellen, Dritten nutzbar gemacht wird. So sollte es jedenfalls sein.
Doch gerade in diesem Zusammenhang gäbe es für den Gesetzgeber noch eine bezeichnende Lücke zwischen dem Paragraph 218 und dem Embryonenschutzgesetz zu schließen. Es scheint nämlich völlig aus dem Bewusstsein der Politik gerückt zu sein, dass "embryonales Material" nicht nur bei der IVF-Befruchtung "anfällt", sondern auch beim Schwangerschaftsabbruch, und die Nutzung dieser Zellen bislang durch kein Gesetz verboten wird. Das Embryonenschutzgesetz schützt nämlich den Embryo nur bis zum Zeitpunkt der Einnistung in die Gebärmutter; der Paragraph 218 wiederum regelt nur das Verhältnis zwischen schwangerer Frau und Embryo und nicht den Zugriff Dritter auf den abgetriebenen Fötus. Und im Transplantationsgesetz wird der Embryo bzw. Fetus überhaupt nicht berücksichtigt.
Auf den skandalösen Verbrauch von Feten in der Forschung hat die Hamburger Wissenschaftlerin Ingrid Schneider schon vor zehn Jahren aufmerksam gemacht. Während das Stammzellengesetz nun immerhin verbietet, genetisch "defekte" Embryonen zu nutzen, die künftig bei der künstlichen Befruchtung etwa im Rahmen von Präimplantationsdiagnostik (PID) - so diese erlaubt würde - ausgesondert werden, existiert das Fetalgewebe weiterhin im rechtsfreien Raum. Embryonen, embryonale Stammzellen, demnächst PID - allem Überdruss zum Trotz werden uns diese Themen bei jeder einzelnen Entscheidung weiter begleiten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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