»Nicht schon wieder!«, stöhnt es neben mir. Vom Himmel fällt Blau, und um die Linden schwebt schon ein leiser Frühlingshauch. Das Wetter gibt also keinen Anlass zum Meckern. »Die ganzen Wochen nur Kriegsdemos, und letzten Sonntag bin ich im Marathon stecken geblieben«, erklärt der Wildfremde, mit dem ich einen Bücherstand vor der Humboldt-Uni durchforste. Bevor ich mich noch mit meinem verbessernden »Halbmarathon!« hätte einmischen können, kommt von der Schlossbrücke her ein leises, dann anschwellendes Surren: »Inline-Skater auf Tempo 30!«, skandiert die Demo-Vorhut, unterlegt vom Schwirren der Rollschuhe. Ein paar hundert Skater im Frühjahrsrausch sausen Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor und
nd fordern Gleichberechtigung mit anderen nichtmotorisierten Zweiradfahrern.Ich überlege, ob ich den Frustheini darauf aufmerksam machen soll, dass Skaten umweltfreundlicher ist als Autofahren und Bush dann hätte keinen Krieg führen müssen, weshalb dann wiederum alle Demos dagegen gar nicht stattgefunden hätten und man also störungsfreier durch den Verkehr gekommen wäre ... aber noch während ich diesem sich zunehmend in unlogischen Schleifen verwirrenden Gedanken folge, hat sich der Mensch absentiert, und die Skater sind die Allee hinab gerauscht.Eigentlich ein schönes Bild: Die ganze Stadt auf Rollschuhen. Den Älteren unter uns könnte man Stützräder anschnallen und die ganz Alten werden in Begleitwägelchen mitgenommen. Man könnte auch die alte Reiterstaffel der Berliner Polizei für den wendigen Stadteinsatz auf diesem schnellen Gerät ausbilden - Kuriere auf Inline-Skatern gehören ja mittlerweile schon zum Straßenbild. Dagegen spricht natürlich die hohe Verletzungsgefahr; an sonnigen Wochenenden füllen komplizierte Knochenbrüche die Notaufnahmen. Wahrscheinlich wird Skaten irgendwann zu jenen Risikosportarten zählen, die irgendwann selbst versichert werden müssen. Dennoch: Die Parole »freie Fahrt für freie Bürger« verliert auf Rollschuhen ihren Schrecken.So eingesponnen flanieren meine Gedanken mit mir die Linden hinab. Nach der langen Eiszeit bricht aus den Bürgersteigen brodelnder Cafébetrieb. Die Strecke zwischen Wilhelm- und Glinkastraße ist ganz gesperrt, und der unlautere Ableger des Einstein hat mit seinen Tischen gleich die Mittelinsel der Straße okkupiert. Unbeeindruckt vom stinkenden Verkehrsgedräu rundum hocken dort die Touries und schlürfen modischen Macchiato. Fliegende Händler aller Art bieten wohlfeilen Kram. Ein Fotograf bannt das tableau vivant für die Nachwelt.Es gibt aber auch verschwiegenere Ecken, die unter zarter Sonneneinwirkung wieder zu ökonomischer Blüte erwachen. So entdecken betriebsame Gastronomen immer wieder die Brachen an den S-Bahn-Linien als lukrativen Ansiedlungsort für ihr Gewerbe. In Friedenau beispielsweise findet man an einem Sommersonntagvormittag kein müdes Plätzchen in dem einschlägig bekannten Café. Und was sich neuerdings unter der Monumentenbrücke angesiedelt hat, lockt durchaus zu einem Osterspaziergang in die an sich ziemlich trostlose Gegend hinterm Gleisdreieck. Hier wirbt man weder badisch noch schwäbisch, sondern fränkisch (was ja ohnehin nur Wahlberliner zuordnen können). Und mit bequemem Gestühl, aus dem der Blick über die Gleisanlagen schweift und sich im ewigen Widerspruch von Bleibenwollen und Transit einzurichten vermag.Es ist ohnehin eigenartig, nach welchen Launen Berliner Kneipen florieren. Als ich kürzlich mit einem Bekannten unter den S-Bahn-Brücken in der Friedrichstraße ein Lokal suchte, stellte sich heraus, dass sich darin ein Trödelladen breit gemacht hat. Urgesteine der alten Westberliner Szenelandschaft sind ebenso verschwunden wie viele der Nachwende-Gründungen im Osten. Beides ist meist den allgegenwärtigen preiswerten Indern gewichen oder blassen Gastronomie-Ketten.Was den Café-Betrieb anbelangt, scheint sich der aktuelle Trend allerdings zu verlagern und das hyper-coole Outfit der neunziger Jahre weniger gefragt zu sein; der Erfolg der an allen Ecken prosperierenden Starbuck-Niederlassungen jedenfalls dürfte weniger auf den eher mittelmäßigen Kaffee zurückzuführen sein als auf den dort gepflegten behäbigen Kuschel-Look. Kein hastiger Start-up vom Barhocker mehr, lieber wartet man - was auch immer und wenn auch nur das Frühjahr - im Ohrensessel ab.Am unteren Ende der Linden treffe ich übrigens noch einmal auf meinen autofahrenden Bücherfreund. Das Auto hat er offenbar stehenlassen, er tummelt sich an einem provisorischen Stand, wo ein pfiffiger Jungunternehmer gebrauchte Rollschuhe verhökert. Ich grüße mit dem Victory-Zeichen und wünsche unfallfreie Fahrt.