Von Berlin nach Reinbek

BRD Auferstanden aus dem Rotations-Roman: David Oels seziert die Geschichte des Rowohlt-Verlags vor und nach 1945
Ausgabe 05/2014

Ich habe sie geliebt. Sie waren bunt und stabil, in unserer noch nicht von Lego und Playmobil monopolisierten Kinderwelt konnte man damit Türme bauen, Häuser und Brücken. War man müde, versenkte man sich in die Einbände, manche eher karg, andere exotisch, und es war ein haptisches Erlebnis, an den farblich abgestimmten Leinenrücken entlangzustreichen, die das billige, schnell nachdunkelnde Zeitungspapier vergessen ließen. Mit Rowohlts Rotations-Romanen meiner Mutter, den rororos, begann lange vor den ersten Leseversuchen meine Initiation in die Welt der Bücher.

Taschenbücher, das schien damals etwas völlig Neues. Ein kulturelles Versprechen an diejenigen, die sich Kultur normalerweise nicht leisten konnten. Billigbücher mit Anspruch für ein Publikum, das niemals 40 Kilogramm Brot hätte in ein Buch investieren können. So viel kostete umgerechnet nämlich C. W. Cerams Götter, Gräber und Gelehrte 1950 in der Erstausgabe. Auch das ein scheinbarer Neubeginn, ein Bestseller-Mythos, der wie andere den Rowohlt-Verlag der Nachkriegszeit begründete. In diesem Fall: die Geburt des Sachbuches aus dem Geist kühler Unmittelbarkeit.

Der in Mainz lehrende Literatur- und Buchwissenschaftler David Oels ist diesem Mythos mit großer Fahndungslust nachgegangen. Er trifft auf ein Gebilde, das Kulturverlag und prosperierendes Wirtschaftsunternehmen, NS-Verfolgung und Wiederaufstieg amalgamiert. Dabei konzentriert er sich auf die Zeit vom Ende der Weimarer Republik, als der 1910 gegründete Verlag erstmals an einem Konkurs vorbeischrammte, bis in die fünfziger Jahre.

Irritiert von den Selbstdarstellungen und den Selbstauskünften des Verlegers, in der die Tätigkeit des Unternehmens in der Nazi-Zeit ebenso ausgespart bleibt wie die Karriere Ernst Rowohlts als Leiter der Propagandastelle des Sonderstabs F, fragt Oels nach den „krummen Wegen“, auf denen der Verleger von A nach B, von einer Diktatur in einer freien Gesellschaft landete. Die Faszination dieser durch die Quellenlage erschwerten Spurensuche besteht nicht nur in der Rekonstruktion einer schillerenden Verlegerfigur, die dem Geschäft den Stempel aufdrückte, sondern auch im Nachweis einer spezifischen „Rowohlt-Culture“, die intellektuelle Ambition und Zerstreuungsinteresse zu vereinen verstand, ohne sich von den verdunkelten Traditionslinien, denen sie entsprang, beirren zu lassen.

Zunehmend Militaria

Rowohlt war schon in den zwanziger Jahren eine verlegerische Ausnahmeerscheinung mit einer Nase für Neues und einem engen Verhältnis zu seinen Autoren. Doch als Seiteneinsteiger wurde er von der Bücherkrise der endzwanziger Jahre besonders hart getroffen. Hätte ihm Leopold Ullstein nicht mit Finanzspritzen unter die Arme gegriffen, wäre die Rowohlt-Legende wohl frühzeitig beendet gewesen. Die Verbindung mit einem Zeitungs- und Zeitschriftenverlag hatte für den Verleger in Form von Vorabdrucken und Gefälligkeitsbesprechungen nützliche Synergieeffekte.

Mit der „Arisierung“ des Ullstein-Verlags 1933/34 beginnt für das Unternehmen ein wechselvolles Menuett, das von Berlin über Stuttgart und schließlich, nach dem Krieg, nach Hamburg führt. Als Teil des nationalsozialistischen Eher-Verlags und bis zur vorläufigen Schließung des Deutschen Verlags bzw. der DVA 1943 operierte Rowohlt zunächst zweigleisig: Mitte der dreißiger Jahre verlegt er in Deutschland zunehmend Militaria, den für die Nazis „suspekten“ Teil seines Programms vertreibt er in Mährisch-Ostrau. Er bindet seinen Erfolgsautor Hans Fallada weiterhin an den Verlag, lässt seine Bücher nun aber von dem Nationalbolschewisten Ernst von Salomon lektorieren und sich von Hans Zehrer, Herausgeber der rechtskonservativen Tat, beraten. Das ist kein Zufall, denn schon Ende der zwanziger Jahre pochten beide politischen Herzseiten Ernst Rowohlts heftig.

Dass er mit seinem Eintritt in die NSDAP, der später als „taktisches Manöver“ verharmlost wird, dem Berufsverbot 1937 dann doch nicht entgehen kann, gehört zu den Irrationalitäten des NS-Regimes, das die Tarnung eines jüdischen Schriftstellers wichtiger nahm als die in vorauseilendem Gehorsam betriebene Devotion des Verlegers. Rowohlt wackelt, wird der Hausautor Wilhelm Speyer an Walter Benjamin schreiben, er sei „der Deutsche unserer Tage: treuherzig und tückisch, charakterlos und ideal gesinnt.“ Für den Verlag hatte Rowohlts Rausschmiss zunächst keine Folgen: Falladas Bücher erscheinen trotz „Unerwünschtheit“ weiterhin, und der Verlag versorgt das Publikum in den Kriegsjahren mit „unpolitischer“ Unterhaltungs- und Ratgeberliteratur, die bei genauerer Sichtung – etwa im Falle des neuen Genres der Tatsachenromane, Vorläufer des späteren Sachbuchs – keineswegs so unpolitisch waren, wie die Verlagsgeschichte vorgibt.

Keineswegs unehrenhaft

Rowohlt selbst verließ Deutschland im November 1938 via Brasilien, das Geschäft übernahm sein Sohn Heinrich Maria Ledig-Rowohlt. Dass Ernst Rowohlt aber schon im Winter 1940 wieder nach Deutschland zurückkehrte und sich freiwillig zur Wehrmacht meldete, um „dabei zu sein“, hat Thomas Mann 1947 zu einem boshaften Kommentar veranlasst: „Dann hat er (Rowohlt) sich schnell noch ein paar Länder erobert, sich schließlich den Engländern zur Verfügung gestellt und baut nun also die Kultur wieder auf.“

Belegt ist, dass Ernst Rowohlt als Propagandaoffizier im arabischen Raum eingesetzt war; 1942 wurde er in den Kaukasus verlegt, wobei auch Oels seine genaue Rolle dort nicht ermitteln kann, Rowohlts fortwährendes Schweigen über seine konkrete Tätigkeit im Sonderkommando F aber als Indiz nimmt, dass er vom Treiben der berüchtigten Einsatztruppe D gewusst haben muss. Fest steht, dass Rowohlt 1943 keineswegs unehrenhaft entlassen wurde und nach Berlin zurückkehrte.

Vor dem Hintergrund der Papierknappheit war die Idee des Rotationsromans eine materielle Notwendigkeit, wenn auch keineswegs eine so „bahnbrechende“, wie Rowohlt glauben machen wollte. Die den Alliierten als „Umerziehung“ schmackhaft gemachte Reihe folgte nämlich der Tradition der Feldpostbuchreihen, und eine Äußerung des Verlegers erinnerte auch an das militärische Herkommen: „Die Stalinorgel“, verkündete er, sei „ein Waisenkind gegen unsere Schussbereitschaft.“

Anspruchsvolle Billigbücher

Das „Verbrauchsbuch“ erlebte, anfangs sogar noch über die Zonengrenzen hinaus vertrieben, einen ungeahnten Aufstieg. Ihre Leserschaft erreichten die Billigbücher, so Oels, aber nur, indem sie mit dem Anspruch des „guten Buches“ daherkamen, also preiswerten Anspruch in sich vereinten. Das galt insbesondere für die später in Gang gesetzte gemäßigt konservative rde-Reihe (rowohlts deutsche enzyklopädie), die wissenschaftliche Popularisierung anstrebte, die Marke Rowohlt mitbegründete und erst von der nachfolgenden „Suhrkamp-Kultur“ in den Schatten verwiesen wurde.

Einher ging damit ein ästhetisches Programm, das an der neusachlichen Reportageliteratur anzuknüpfen schien, seine „Wirklichkeitsnähe“ aber eher aus dem nach 1933 etablierten Tatsachenroman bezog: Nennen kann man hier Radium von Rudolf Brunngraber oder Anilin, das Husarenstück über die Badische Anilin- und Sodafabrik von Karl Aloys Schenzinger. Die darin betriebene „Verniedlichung der Wissenschaft“, die eine „höhere Mädchenschulvorsteherin“ beglücken würde, hatte schon Kurt Tucholsky zu heftiger Polemik veranlasst.

Insofern ist Oels’ mikroskopische Rekonstruktion des „gemachten Erfolgs“ von Götter, Gräber und Gelehrte – von der verdeckten Autorschaft bis hin zur „archäologischen Landnahme“ im Krieg – mehr als nur eine exemplarische Studie über den Aufstieg des Sachbuches. In dem von Rowohlt-Lektor Kurt Marek aus ökonomischem Kalkül verfassten Longseller wurde der emotionale Haushalt des Nachkriegslesers zu seinem Ausdruck gebracht: Seelische Materialprüfung an der „dritten Sache“. Gefestigt wurde der Rowohlt-Mythos schließlich mit Ernst von Salomons Fragebogen, der im Rahmen der Aufarbeitungsliteratur eine Sonderstellung einnimmt, weil er, im Kostüm authentischer Selbstbefragung daherkommend, erstmals die Chuzpe hatte, die Deutschen als Opfergemeinschaft zu stilisieren (siehe Kasten).

Rowohlts dritter Weg

Ernst Rowohlt selbst versuchte nach dem Krieg den von den Nationalrevolutionären geschneisten „dritten Weg“ auf seine Weise weiterzugehen, indem er sich gesamtdeutsch und DDR-freundlich gerierte und sich damit gegen links kritikfest machte. Dass Oels Rowohlts berühmten Slogan „Mein Verlag hat tausend Augen und kein Gesicht“ abschließend auf der Folie von Helmut Lethens „Radar-Typ“, also des Typus des außengeleiteten Konsumbürgers, interpretiert, wirkt etwas bemüht und ist seinerseits wohl eine Reminiszenz an die literaturwissenschaftlichen Moden. Ernst Rowohlt starb 1960 in Hamburg. Im gleichen Jahr verlegte der Verlag seinen Sitz aus der Hansestadt nach Reinbek.

Von den Bausteinen meiner Kindheit habe ich übrigens nur wenige retten können. Das Papier ist mittlerweile ins Dunkelbraune changierend, viele Seitenecken sind abgebrochen und die Leinenrücken verblasst, und erinnern mich so an eine Zeit, als das „gute Buch“ noch einen Wert hatte und nur fünfzig Pfennige kostete.

Ernst von Salomons rororo-Bestseller „Fragebogen“


1951 Es war ein Coup. Ein „einzigartiger kühner literarischer Einfall“, jubelte der Klappentext. Und der wohl frechste „Persilschein“, den sich einer, der zwar wohl nie Parteimitglied gewesen war, aber sehr wohl an den Zeitzündern des Nationalsozialismus gedreht hat, in der Nachkriegszeit ausstellen konnte. „Statt zu schweigen und den Kopf zu senken“, wie die New York Times anlässlich der englischsprachigen Ausgabe monierte, hob Ernst von Salomon (1902 – 1972) trotzig das Haupt, entschlossen, sich mittels des Fragebogens der alliierten Militärbehörden nicht nur selbst zu entlasten, sondern gleichzeitig das deutsche Volk zu entschulden.

Die 131 „bürokratischen“ Fragen dienten Ernst von Salomon als Stichworte für seine ausufernde Selbstvergewisserung. Dabei schlüpft der ehemalige Mitbeteiligte am Mord an Walther Rathenau allerdings schnell aus der Rolle des Angeklagten in die des Anklägers, indem er die unmittelbare Nachkriegszeit – und besonders die amerikanischen Lager, in denen von Salomon bis 1946 interniert war – zum Gegenstand macht. Die „kulturlosen“ Amerikaner mit ihrem gleichmacherischen Politikmodell und ihrer angeblichen Brutalität erscheinen in diesem überkodierten Entnazifizierungsunternehmen als die eigentlichen Verbrecher, die internierten Deutschen – auch Nazi-Schergen und Judenmörder – dagegen als Helden. Zynisch in der Haltung und schnoddrig im Ton traf von Salomon mit seinem 1951 erschienenen Fragebogen den Nerv der geduckten Nation und wirkte wie ein Dammbruch, dem ein gewaltiger literarischer Selbst-rechtfertigungsstrom folgen sollte.

Der Fragebogen verkaufte sich prächtig. Im Unterschied zu vielen anderen Zeitgenossen dichtete sich der ehemalige Freikorpskämpfer allerdings keine Widerstands- oder Verfolgungsgeschichte an, im Gegenteil verhehlte er nicht, auch im Weltkrieg „gut gelebt“ zu haben. uba

Rowohlts Rotationsroutine. Markterfolge und Modernisierung eines Buchverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre David Oels Klartext-Verlag 2013, 439 S., 29,95 €



AUSGABE

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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