Es ist ein beliebtes Komödienthema. Der Rollentausch mit dem Hausmann als Protagonisten, der überfordert zwischen plärrendem Baby und schmutzigen Windeln hockt und irgendwann die verzweifelte Erkenntnis von sich gibt, dass es sich bei dem, was seine Partnerin da täglich stemmt, um Arbeit handelt. Je nach Genre wirkt der Hausmann dann wie ein armes Würstchen oder er spielt den Helden, denn er war doch mutig, den Job aufzugeben, um Tätigkeiten zu verrichten, die nicht bezahlt und gesellschaftlich nicht sehr anerkannt werden.
Kein Geld, keine Anerkennung. Obwohl „das bisschen Haushalt“ so viel beinhaltet: Nicht nur den aussichtslosen Kampf gegen Schmutz und Unordnung oder das Kochen, sondern auch die Erziehung von Kindern, die Herstellung einer häuslichen Atmosphäre, die es dem „Hauptverdiener“ erlaubt, unbehelligt seiner Berufsarbeit nachzugehen; gar nicht zu reden von der Pflege alternder Eltern oder der lebenslangen Fürsorge für ein behindertes Kind.
„Arbeit aus Liebe, Liebe als Arbeit“ hat die Historikerin Barbara Duden diesen Doppelcharakter häuslicher Pflege- und Sorgearbeit vor 40 Jahren genannt, in einer Zeit, als die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in den Fokus kritischer Frauen rückte. Dass es mit der Sorgearbeit etwas Besonderes auf sich hat, das sich den Effizienzprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft entzieht und die behauptete Autonomie des Homo oeconomicus Lügen straft, erkannte schon der Ökonom Adam Smith: „Alle Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft bedürfen des gegenseitigen Beistands“, deklarierte er 1759 die Tatsache, dass Menschen prinzipiell abhängig sind und einer „berührenden“ Fürsorge bedürfen. Zudem liege es offenbar in der menschlichen Natur, am Schicksal anderer teilzunehmen und aus dieser Zuwendung eine „Glückseligkeit“ zu ziehen, „obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht, als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein“.
Die Sorge um und für andere, die Haus- und Beziehungsarbeit ebenso umfasst wie Erziehung und Pflege, wird im wissenschaftlichen Diskurs seit einigen Jahrzehnten in dem schmucklosen Begriff „Care“ zusammengefasst. Denn was seit Menschengedenken im Schatten der bürgerlich-beruflichen Selbstverwirklichung stand, ist plötzlich zu einem Problem geworden. Die einstige „Nur“-Hausfrau oder „Zuverdienerin“, die nach Feierabend die zweite Schicht zu Hause antrat, ist für viele Frauen kein attraktives Modell mehr. Es drängt sie ebenfalls nach beruflicher Anerkennung und sie werden auf dem Arbeitsmarkt in einem solchen Ausmaß benötigt, dass die für Männer und den Staat so bequeme Arbeitsteilung nicht mehr funktioniert. Kitas waren nach zähem Ringen die Antwort auf den Haushaltsnotstand. Doch da sind immer noch die Alten, die in eine Versorgungslücke fallen, wenn Töchter, oder andere weibliche Familienangehörige nicht mehr in der Lage sind, sie zu pflegen.
Keine Zeit für Rundum-Pflege
Erna S. ist so ein Fall. Bis vor kurzem noch wurde die bettlägerige alte Dame von ihrer Schwiegertochter Sabine versorgt, die gleichzeitig ihre beiden Kinder betreute. Die sind nun selbstständiger und Sabine will zurück in ihren Beruf als Krankenschwester: Vollzeit im Schichtdienst. Für Rundum-Pflege bleibt keine Zeit mehr. Weil Schwiegermutter Erna sich weigert, in ein Heim zu gehen und Rente und Pflegegeld dafür nicht reichen, beschließt die Familie, eine Pflegerin aus Polen einzustellen. Die ist billiger als eine deutsche Kraft, aber doch wieder so teuer, dass ein guter Teil von Sabines Einkommen dafür draufgeht. Eine Grenznutzenrechnung mit vielen Entscheidungsaspekten.
Als Krankenschwester erledigt Sabine viele der Arbeiten, die sie auch für ihre Schwiegermutter tun würde – nur unbezahlt. Das Jahresvolumen unbezahlter Arbeit in Deutschland betrug nach der letzten, 2001 und 2002 erhobenen Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes 96 Milliarden Stunden, wobei Frauen mit einem Wochenanteil von 31 Stunden im Vergleich zu Männern (19,5 Stunden) den Löwenanteil verrichteten. Insgesamt liegt der Anteil der unbezahlten Arbeit sogar über dem der Erwerbsarbeit, der jährlich 56 Milliarden Stunden ausmacht. Bei vorsichtiger Bewertung betrug die Wertschöpfung im privaten Haushalt 820 Milliarden Euro, das sind fast 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch soweit es sich um unbezahlte Arbeit handelt, taucht sie nirgends auf. Es ist der Wert, den überwiegend Frauen schaffen, um den „Normalarbeiter“ und seine Kinder funktionstüchtig zu machen.
Als Krankenschwester wird Sabine bezahlt, wenn auch im Vergleich zu ihrem Mann, der Facharbeiter in der Metallbranche ist, schlecht. Denn sie hat einen sogenannten hausarbeitsnahen Frauenberuf, der traditionell schlecht entlohnt wird; früher waren Krankenschwestern Ordensfrauen, die für „Gotteslohn“ arbeiteten. So verdient sie zwar immer noch mehr als ihre polnische Pflegerin, die Familie profitiert vom Wohlstandsgefälle innerhalb der EU. Doch während sich Sabines Arbeitsleistung im Unterschied zu früher, als sie Hausfrau war, nun in der gesellschaftlichen Gesamtrechnung niederschlägt, bleibt die Tätigkeit der Polin, die offiziell als Minijobberin beschäftigt ist und einen Teil ihres Gehalts schwarz ausbezahlt bekommt, ökonomisch weitgehend unsichtbar.
Sabines Wiedereinstieg in den Beruf bringt etwas gemeinhin gern Ausgeblendetes zum Vorschein: Ein gesellschaftliches Problem – die Betreuung von Kindern und die Pflege von Alten – erscheint nur als privates, das es ausschließlich unter Frauen zu regeln gilt. Sabines Mann taucht in den Überlegungen nicht auf. Vielleicht hätte ja auch er seine Arbeitszeit verkürzen und einen Teil der Pflege seiner Mutter übernehmen können, wenn es hierfür einen finanziellen Ausgleich und keine beruflichen Nachteile gegeben hätte oder wenn er einfach in Pflegeurlaub hätte gehen können.
Aber daran hat der Staat kein Interesse. Er will im globalen Wettbewerb seine Sozialstaatsquote möglichst niedrig halten; auch die Wirtschaft möchte Sabines Mann lieber im Job behalten und keine höheren Lohnnebenkosten zahlen; die aber wären für den Pflegeurlaub fällig. Wahrscheinlich hat Sabines Mann nicht besonders nachdrücklich darum gekämpft, seine Mutter zu betreuen. Also muss eine der nach Verdi-Schätzungen bis zu 300.000 osteuropäischen Arbeitsmigrantinnen ran, die mehr oder minder prekär in deutschen Haushalten arbeiten und damit ihre zurückgebliebenen Familien unterstützen. Den Preis zahlen deren eigene Kinder, die sogenannten Euro-Waisen. Sarkastisch kommentiert die US-Soziologin Arlie Russell Hochschild diese Situation: Genau genommen ermöglichten eingewanderte Nannys nicht den reichen Frauen die Partizipation am Arbeitsmarkt, sondern den reichen Männern die Vermeidung der zweiten Schicht zu Hause.
Am Ende der globalen Sorgekette stehen die 100 Millionen weltweit wandernden Migrantinnen, die sich als Hausangestellte verdingen, meist schlecht bezahlt und gewerkschaftlich kaum organisiert. Sie vagabundieren auf einem „grauen Markt“, auf dem, wie Helma Lutz in ihrem Buch Vom Weltmarkt in den Privathaushalt nachzeichnet, das „Cooking, Cleaning, Caring“ nur deshalb bezahlt werden kann, weil große Regionen der Welt völlig verarmt sind. Auch das ist kein Problem, das Frauen unter sich zu lösen hätten, das sie aber in scheinbar reiche Arbeitgeberinnen und arme Arbeitnehmerinnen spaltet.
Verschlafenes Deutschland
Tatsächlich aber ist diese Tätigkeit im Haushalt und in haushaltsnahen Arbeitsbereichen eine ganz besondere. Sie hat mit der von Smith beschriebenen Anteilnahme zu tun, mit Zuwendung und einer nicht-monetären Anerkennung: der grundlegenden Anerkennung menschlicher Abhängigkeit. „Reziprozität“ nennt dies die Soziologin Christel Eckart und begründet damit das „Ethos fürsorglicher Praxis“. Wenn nun pflegerische Tätigkeiten in die Sphäre der Ökonomie ausgelagert werden, auf den Markt also, dann verschwindet dabei mitnichten jene Reziprozität. Die Sorge um und für andere braucht Zeit. Sie lässt sich nicht in Effizienz- und Produktivitätskennziffern pressen, sie ist nicht uferlos rationalisierbar.
„Wer Schweine erzieht, ist ein produktives, wer Kinder erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft“, hat Friedrich List dieses Verständnis von Arbeit bereits im 19. Jahrhundert kritisiert. Die Care-Debatte von heute aber ist in Deutschland sehr spät angekommen. Warum? Weil der Fordismus das Rad dreht, sagt Madörin. Dagegen meint die Soziologin Eva Senghaas-Knobloch, dass sich hierzulande aufgrund der Arbeitsteilung der Geschlechter eine spezifische Auffassung von Subsidiarität entwickelt hat: Der Staat springt erst ein, wenn seitens der Familie nichts mehr geht.
Diese Sache geht alle an
Es kann nicht darum gehen, Frauen Ehrenkränze zu winden, weil sie es sind, die die mit der Aura der Liebe verbrämte Care-Arbeit leisten. In gewisser Hinsicht ist es positiv, dass sich im weiblichen Zeitbudget keine Ressourcen mehr finden lassen, um ihnen all die unbezahlte, oft repetitive Arbeit alleine aufzubürden. Denn dadurch tritt sie aus dem Schatten und macht sie zu einem Problem, das alle angeht. Auch Männer.
Die DDR (und eine Zeitlang die BRD) kannte den auf den Nationalsozialismus zurückgehenden Hausarbeitstag. Er stand jedoch nur lohnabhängigen Frauen zu und trug somit kaum zur Geschlechtergerechtigkeit bei. Doch immerhin hat er in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften im Bewusstsein gehalten, dass hinter jedem „Leistungsträger“ jemand steht, der ihm den Dreck wegputzt.
Heute kursieren andere, geschlechtergerechtere Arbeitszeitmodelle, die „kleine Familienvollzeit“ etwa. Paare, die ihre Arbeitszeit jeweils auf 32 Stunden reduzieren, würden nach diesem Modell eine Lohnersatzleistung erhalten. Ein erster, viel zu zaghafter Schritt ist die gerade beschlossene zehntägige Familienpflegezeit – nur Lohnabhängige in Betrieben mit über 25 Beschäftigten können sie beanspruchen. Es würde nicht schaden, wenn etwas von jenem Ethos fürsorglicher Praxis auch in die Erwerbssphäre einwanderte.
Berichtigung
Im Artikel Super im Minimarkt (Freitag Nr. 48) ist uns ein Fehler unterlaufen. Wir bezifferten den Umsatz 2013 der Biomarktkette Denn’s mit gut 600 Millionen Euro. Tatsächlich betrug der Umsatz der Dennree-Gruppe, deren Tochter Denn’s ist, 615 Millionen Euro
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.