Unter allen Wipfeln ist Ruh, dachte man nach den letzten großen bioethischen Debatten im Bundestag. Das war 2002, als das Parlament mit einem eher fragwürdigen Kompromiss die Einfuhr embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken zwar erlaubte, die Produktion hierzulande jedoch verbot. 2004 war es dann eine auf sehr schwerwiegende genetische Krankheiten eingeschränkte Auswahl von Embryonen im Reagenzglas, die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID). Hier wie dort wurde das schwere Los von Patienten oder Eltern mit einer entsprechenden Erbanlage aufgerufen, um zu legitimieren, was man in der Bioethik slippery slope nennt, die abschüssige Bahn einer Forschungspraxis, die sich am technisch Möglichen orientiert.
Doch das, was ein SPD-Abgeordneter vergangene Woche am Rande einer schlecht besuchten Bundespressekonferenz „Befriedung“ nannte, ist trügerisch. Denn aus der Forschungslandschaft weht mehr als nur ein Hauch. Anlass der Pressekonferenz war die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu Eingriffen an der menschlichen Keimbahn, also den Keimzellen und dem Erbgut, das auf die nächsten Generationen übergeht. Reagierten internationale Wissenschaftler zuletzt noch verstört auf die Nachricht aus China, wonach es erstmals gelungen sei, genveränderte, vor HIV geschützte Zwillinge zur Welt zu bringen, gehört der mittels der Genschere CRISPR modellierte Mensch inzwischen offenbar schon zur diskursiven Normalität. Gemessen an der damaligen Empörung darf man das Ethikrat-Votum durchaus als Paradigmenwechsel bezeichnen.
Die menschliche Keimbahn, ließ der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl wissen, sei nicht sakrosankt, also im Unterschied etwa zum Embryo nicht Würde-Träger. Die überwiegende Mehrheit des Rats sieht also keine prinzipiellen Hinderungsgründe, in sie einzugreifen. Man darf – aber soll man es? Nicht derzeit, denn Sicherheit und Wirksamkeit von Keimbahninterventionen seien nicht erfüllt, insbesondere bei der klinischen Anwendung. Darüber gab es Konsens. Deshalb fordert das Gremium ein internationales Moratorium.
Aber was ist, wenn man es begrüßt, monogene Erkrankungen wie Mukoviszidose durch derartige Eingriffe zu verhindern, im immerhin nur theoretischen Fall, dass beide Elternteile Träger der Krankheit sind? Denn andernfalls könnten sie auf die PID zurückgreifen. Dann muss man die Technologie weiterentwickeln, die Grundlagenforschung fördern – und eben an embryonalen Stammzellen forschen. Das befürwortet die Mehrheit des Ethikrats, auch wenn nur eine Minderheit dafür ist, Embryonen extra zu diesem Zweck herzustellen.
Man kann in diesen Fragen unterschiedliche Auffassungen haben. Doch zur wissenschaftlichen Seriosität gehört, einen Haltungswechsel zu begründen und deutlich zu machen, warum es denn – sicher schwerwiegende – Einzelfälle legitimieren, einen ethischen Konsens aufzugeben, der etwa im Embryonenschutzgesetz verankert ist. Genau dieses steht zur Disposition. Seit Jahren macht die Wissenschaftsakademie Leopoldina dagegen Front und fordert ein liberales forschungsfreundliches Fortpflanzungsmedizingesetz, forciert von Reproduktionsmedizinern, aber auch vom Juristen und Ex-Ethikrat Jochen Taupitz. Worum es geht, ist in einem Welt-Interview zu lesen: Würde ein entsprechendes Gesetz nicht alsbald auf den Weg gebracht, sagte er 2017, gerate die „deutsche Fortpflanzungsmedizin weiter ins Abseits“. Das ist ein klassisches Standortargument. Aber ein ethisches?
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.