Welche Rollenbilder ver­mitteln Schulbücher?

Frauensache In Lehrbüchern spielen Mädchen zwar auch mal Fußball, aber spätestens wenn es um Gefühle geht, hat alles seine heterosexuelle Ordnung. Ein Plädoyer für mehr Vielfalt

Bei dem Berliner Klinikkonzern Vivantes herrscht Trouble: Der Orthopädie-Chefin Karin Büttner-Janz flatterte vor Kurzem die fristlose Kündigung ins Haus. Der Grund sei, so behauptet die Ärztin, ihre "persönliche Beziehung", die sie zu einer leitenden Mitarbeiterin unterhalte. Die Geschäftsführung sehe dadurch das "Betriebsklima" verschlechtert. Nun tobt ein Streit um die wahren Gründe der Kündigung, der zum Arbeitsgericht führt.

Dass allein diese – etwas verklemmt als "persönliche Beziehung" umschriebene – lesbische Liebe zum Thema in einem Kündigungsverfahren wird, ist erstaunlich in einer Stadt, in der Homosexualität relativ offen gelebt wird.

Offenbar ist die Anerkennung sexueller Identitäten jenseits der Mann-Frau-Liebe noch immer nicht so selbstverständlich, wie man an­nehmen sollte – und das hat Gründe. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. In deutschen Schul­büchern ist zwar mittlerweile angekommen, dass es Männer und Frauen gibt, mit den gleichen Rechten und Ansprüchen. Aber gleichgeschlechtliche Liebe? Oder Menschen, die irgendwo "dazwischen" sind?

Heterosexueller Normalfall

Eine Studie, die die Genderforscherin Melanie Bittner vor Kurzem bei der Friedrich-Ebert-Stiftung vorstellte, zeigt, dass Heterosexualität noch immer als Normalfall in der Gesellschaft gilt.

In Englischbüchern zoffen sich Jungs und Mädels zwar gelegentlich über Hausarbeit – und Mädchen spielen auch mal Fußball; aber sie sind immer als ihr jeweiliges Geschlecht erkennbar, auch wenn es um Schmetterlinge im Bauch geht, hat alles seine heterosexuelle Ordnung. In den "richtigen" Familien gibt es Väter und Mütter und allenfalls geschiedene Alleinerziehende. Kinder mit zwei Müttern oder zwei Vätern finden sich in deutschen Schulbüchern jedoch nicht.

Im Fach Biologie, das gegen alle Einsichten noch immer allein zuständig für die Sexualerziehung ist, lernen Pubertierende, dass Jungen und Mädchen bei der Geburt zweifelsfrei zu unterscheiden sind, und dass ein "steifer Penis in die Scheide eindringt". Wie war das noch mit der Theorie vom männlich-dominanten Sex und dem Mythos vom vaginalen Orgasmus? Die normativen Darstellungsweisen, nicht nur in Lehrbüchern, schließen viele real vorhandene geschlechtliche und sexuelle Identitäten aus. Es muss also gehandelt – und für eine "diskriminierungsfreie Wissensvermittlung" gekämpft werden. Wie dringlich das ist, zeigt gerade der Streitfall bei Vivantes.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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