Wenig Forschung für die Armen

Gesundheit Im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten blockiert Deutschland bislang die Einrichtung eines internationalen Fonds
Ausgabe 21/2016
Indien ist besonders betroffen von den vernachlässigten Krankheiten. Im Bild: ein Dengue-Patient
Indien ist besonders betroffen von den vernachlässigten Krankheiten. Im Bild: ein Dengue-Patient

Foto: Sanjay Kanojia/AFP/Getty Images

Der Ebola-Schock steckt noch tief in den Knochen. Mehr als 11.000 Menschen sind der Epidemie in Westafrika zum Opfer gefallen, weil nicht frühzeitig nach einem wirksamen Impfstoff geforscht wurde. Erst als die Krankheit in die Industrieländer einzusickern drohte, wurde unter Hochdruck und mit öffentlichen Mitteln ein Serum entwickelt. Inzwischen ist der südamerikanische Kontinent, insbesondere Brasilien, mit Zika konfrontiert, wieder so eine vernachlässigte Armutskrankheit, aus der die Pharmaindustrie, würde sie sich darum kümmern, wenig Profit ziehen kann.

Unter dem Eindruck von Ebola forderte die Organisation Ärzte ohne Grenzen vor einem Jahr einen weltweiten Fonds zur Erforschung von sogenannten vernachlässigten Krankheiten und neue Antibiotika gegen multiresistente Bakterien. Der Bedarf ist enorm: Die Ärmsten der Armen sind nicht nur von Schlafkrankheit oder der Infektionskrankheit Chagas bedroht. Auch Tuberkulose breitet sich nach Jahren der Entspannung wieder aus, im Jahr 2014 starben laut Weltgesundheitsorganisation 1,5 Millionen Menschen an der Krankheit. Indien ist besonders betroffen, aber auch in Europa werden mittlerweile steigende Fallzahlen registriert.

Vertagter Fonds

Ein Grund dafür sind die nur schwer behandelbaren Patienten mit Antibiotikaresistenzen. Außerdem sind viele Antibiotika inzwischen veraltet, es gibt dringenden Forschungsbedarf. Doch die Pharmaindustrie hat ein Problem. Deutlich wurde das, als der CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe während eines parlamentarischen Abends des Verbands forschender Arzneimittelhersteller via Twitter mitteilte: „Wir sagen: Erfindet etwas Neues. Und dann sagen wir: Aber verkauft es möglichst wenig.“ Für profitorientierte Unternehmen ist das ein Paradox, für die betroffenen Menschen jedoch überlebensnotwendig: Antibiotika sollten nur selten eingesetzt werden, ansonsten steigt das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln und die Medikamente im Ernstfall nicht mehr durchschlagend wirken.

Grundsätzlich sehen das Problem auch die Regierungschefs der G7-Länder, die während der deutschen Ratspräsidentschaft im Juni 2015 vereinbarten, sich stärker im Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten und multiresistente Krankheitserreger zu engagieren. „Wir verpflichten uns zum Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten“, heißt es in der Abschlusserklärung von Elmau. Die Industriestaaten erklären sich dazu bereit, „die Forschungsaktivitäten im Bereich der vernachlässigten Tropenkrankheiten zu unterstützen“ und wollen auch „in die Prävention und Bekämpfung der vernachlässigten Tropenkrankheiten investieren“.

Es sind schöne Worte, denen jedoch keine Taten folgten. Bis heute. Ein Treffen der Weltgesundheitsorganisation Anfang Mai hat in dieser Hinsicht wieder einmal keine Fortschritte gebracht. Das dort verhandelte Projekt, einen entsprechenden Forschungsfonds (das Research-and-Development-Agreement) einzurichten, wurde vertagt. Vorgesehen war, dass jeder Mitgliedsstaat verpflichtend einen bestimmten Prozentsatz seines Bruttoinlandsprodukts einzahlt, damit ohne Rücksicht auf ökonomische Interessen an seltenen oder vernachlässigten Krankheiten geforscht werden kann.

Es gehe nämlich nicht darum, einzelne Lücken in der Forschung zu stopfen, erklärt Philipp Frisch von der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. Vielmehr müssten jetzt „nachhaltige und kohärente Lösungen gefunden werden, die die langfristige Finanzierung von Forschungsvorhaben“ sicherstellten.

Nora Lennartz hofft weiterhin auf den Forschungsfonds. Sie ist Medizinstudentin und engagiert sich im Zusammenschluss Universities Allied for Essential Medicines, kurz UAEM. „Mit dem Fonds gibt es die Möglichkeit, die Bedürfnisse der Menschen weltweit in den Fokus der Medikamentenentwicklung zu rücken“, sagt sie. Dass Deutschland bei den Verhandlungen Anfang Mai eher blockiert habe – anders als beispielsweise Frankreich, die Niederlanden oder die Schweiz – , bezeichnet sie als einen „Skandal“. Die Bundesregierung habe beim G7-Gipfel große Versprechungen gemacht und sich nun „ihrer Verantwortung entzogen“.

Die Hoffnung hat sie aber nicht aufgegeben. In dieser Woche tagt in Genf die World Health Assembly, das oberste Beschlussgremium der Weltgesundheitsorganisation. Dort könnte das Versprechen an die Kranken dieser Welt doch noch eingelöst werden. Damit sich Epidemien wie Ebola in Zukunft nicht in der Art wiederholen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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