Wenn die Pfründe schrumpfen

Gesundheitspolitik Verteilungskampf der Mediziner: Die neue Honorarordnung ist nicht nur ein unüberschaubares Regelwerk, sie lässt auch die Einheit in der Ärzteschaft bröckeln

Der Norden gegen den Süden, Stadt gegen Land, Hausärzte gegen Fachärzte – und alle vereint gegen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt: So unübersichtlich war die Gemengelage in der niedergelassenen Ärzteschaft, die vergangene Woche wieder einmal ihre Praxen schloss und auf die Straße ging, schon lange nicht mehr. Dabei schien doch alles in bester Ordnung, hatte das Ministerium der darbenden Zunft vor Jahresfrist noch eine neue Honorarordnung und drei zusätzliche Milliarden Euro zugeschustert. Zehn Prozent mehr erwarteten die Ärzte – und sind empört über die ersten Bescheide der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), weil viele Praxen nun feststellen müssen, dass sie teilweise demnächst sogar weniger Mittel zugeteilt bekommen.

Leicht zu verstehen ist das von Ulla Schmidt und den Standesvertretungen ausgehandelte Regelwerk tatsächlich nicht, denn der Übergang vom Punktesystem auf Euro und Cent, mit denen Ärzte vorausschauend kalkulieren können, hat seine Tücken. Das Budget, mit dem ein Arzt nun ein Quartal überstehen muss, hängt davon ab, wie viel Patienten bei ihm auflaufen, wie alt sie sind und wie schwer ihre Krankheiten. Das soll für eine gerechtere Verteilung der Mittel sorgen. Außerdem werden die einzelnen Leistungen bundesweit gleich vergütet: Eine Röntgenaufnahme in Niedersachsen kostet nun genau so viel wie eine in München. Bislang war in den südlichen Ländern der ärztliche Honorarkatalog opulenter ausgestattet, gerade Fachärzte standen besonders gut da.

Weil die Gesundheitspolitik aber das Hausarztprinzip stärken will und die ­AOKen wie in Baden-Württemberg beispielsweise dazu übergegangen sind, mit den Hausärzten flächendeckend Einzelverträge zu schließen, die für beide Seiten Vorteile bringen, ist das restliche zu verteilende Geld für die Facharztpraxen knapper geworden. Die spezialisierten Ärzte, die von der Apparatemedizin bislang eher profitierten, haben Angst, ihre technische Ausstattung nicht mehr finanzieren zu können. Das so genannte Regelleistungsvolumen, also das Praxisbudget, und Fallpauschalen setzen enge Abrechnungsgrenzen. Deshalb sind Fachärzte dazu übergangen, von den Patienten Vorkasse zu fordern – rechtswidrig, wie Ministerin Schmidt betont.

Die fetten Jahre sind vorbei

Dass die Zuwendungsbescheide im ersten Quartal 2009 in einigen Regionen so niedrig ausgefallen sind, hat allerdings zunächst gar nichts mit dem neuen Abrechnungssystem zu tun, sondern liegt daran, dass es im Vergleichszeitraum 2008 weniger Arbeitstage gab. Von den drei zusätzlichen Milliarden wurde außerdem rund die Hälfte schon im letzten Jahr an die Ärzte weiter geschoben, weitere 800 Millionen fließen in die ostdeutschen Länder, um die dortigen Einkünfte endlich dem Westniveau anzugleichen. Die fetten Jahre für Ärzte in Ballungsräumen mit guter Sozialstruktur sind endgültig vorbei. Da geht der Ärzteschaft die Solidarität mit schlechter gestellten Kollegen doch zu weit.

Eine politische Dimension bekommt der Verteilungskonflikt, seitdem sich ausgerechnet der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf die ärztlichen Standesvertretungen – die Kassenärztlichen Vereinigungen – eingeschossen haben und im Chor deren Abschaffung fordern. Die KVen wachen nicht nur über die Abrechnungen der Ärzte und verteilen die Mittel, sie stellen auch die Gesundheitsversorgung außerhalb des Krankenhauses sicher. Das verschaffte ihnen in der Vergangenheit eine starke Position. Gleichzeitig müssen sie aber auch um die Einheit der Ärzteschaft bemüht sein, die bröckelt, seitdem die Pfründe schrumpfen. Das nötigte den Standesvertretern gegenüber einer starken Gesundheitsministerin Zugeständnisse ab, die den einfachen Mitgliedern zu weit gingen: Vier von fünf befragten Ärzten, so eine Studie von 2006, waren mit der Interessenvertretung der KV im Gesetzgebungsverfahren unzufrieden.

In Baden-Württemberg hat der „Honorarschock“ deshalb Initiativen gestärkt, die aus dem ärztlichen Zwangsverband ausscheren wollen. Tatsächlich verdienen die KVen als ungemein konservativ-ständische und bornierte Veranstaltung keinen Bestandsschutz. Es könnte aber sein, dass ihre Abschaffung es Politik und Kassen einfacher macht, die Lobby der Ärzteschaft aufzurollen. Ob zum Vor- oder zum Nachteil der Patienten, bleibt abzuwarten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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