Wenn Rürup piekst

Kommentar Operation misslungen, Patient lebt

Die Kommission kreißte und gebar nach sieben Monaten - eine lebensunfähige »Reform«. Denn kaum wurde deren Ankunft mit viel Vorabgepauke angezeigt, standen schon die Totengräber bereit, das blutlose, ausgezehrte Werk zu beerdigen. Eintrittsgeld an der Praxispforte? Niemals, sagt Laurenz Meyer und schaufelt Sand ins tiefe Grab der Rürup-Kommission. Frei verkäufliche Arzneien künftig selbst bezahlen? Gesundheitspolitisch unverantwortlich, setzt der bündnisgrüne Koalitionspartner hinterher. Eine neue Versicherung fürs Krankengeld? Wie soll man Versicherten verkaufen, dass ausgerechnet diese eindeutige Krankenleistung aus dem Katalog genommen werden soll, monieren ärztliche Standesvertreter. Die Gebiss-Sanierung durch zusätzliche Zuzahlungen abzusichern, will wiederum die Gesundheitsministerin den Patienten nicht zumuten. Dafür sollen die Reise zum Arzt und der Brillendurchblick nun selbst berappt werden.

Nein, »Biss« hat das, was Bernd Rürup und Konsorten da in den Streit um die Gesundheitsreform warf, beileibe nicht. Ein bisschen Pieksen tut nicht so weh, mag sich, nachdem eine generelle Systemreform nicht mehr zur Diskussion stand, der Eine oder Andere gedacht haben, und da mal 15 (Praxisgebühr), dort mal vier (Aspirin) und alle paar Jahre mal 1000 Euro (Zähne!) mögen zwar die sozial Schwächeren und insbesondere Familien beuteln, aber sie gehen weder ans Eingemachte der Pharmaindustrie (lächerliche zwei Milliarden Euro sollte die Freigabe der Generika-Preise bringen), noch an die stillschweigenden teuren Koalitionen innerhalb der mächtigen Lobbyistengruppen. Keine Qualitätssteigerung, keine gerechte Verteilung der Gesundheitskosten auf das Gesamteinkommen der Bevölkerung, keine strukturellen Veränderungen im Gesamtsystem. Damit konnte sich Karl Lauterbach nicht durchsetzen; so wenig wie sein Kontrahent Bernd Rürup, der mit der Kopfgeldpauschale das ganze Modell aushebeln wollte.

Obwohl es der Kanzler war, der Ulla Schmidt die ungeliebte Runde ans Bein gebunden hatte, ist er über deren nun landauf landab kolportierte Blamage vielleicht gar nicht so traurig. Denn die Schwäche der Kommission, auch wenn das gelegentlich anders erscheinen mag, ist keineswegs die Stärke der Gesundheitsministerin. Ulla Schmidt sitzt wahrlich auf einem Schleudersitz, der nicht nur vom Kostendruck der Gesetzlichen Krankenversicherung angetrieben wird, sondern auch vom Unwillen ihres Ministerkollegen Clement, der den Arbeitgebern am liebsten den ganzen Sozialbeitrag erlassen würde. Ob Schmidt im Machtpoker um das Gesundheitssystem auf der Strecke bleibt, wird auch vom Schicksal ihrer Kommission abhängen. Noch lebt der Patient, auch wenn die Operation gründlich misslungen ist. Man darf gespannt sein, wie lange noch.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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