Genfood In den USA und Kanada steht gentechnisch veränderter Weizen vor der kommerziellen Zulassung, US-Präsident Bush fordert die Öffnung der europäischen Märkte - und in Thüringen siegt der Bio-Weizen
Es ist schon ein bisschen verrückt: Da hängen sich derzeit die Europäer weit aus dem Fenster, um die Forschung an so genannten "überzähligen Embryonen" zu fördern. So will es jedenfalls ein Gutachten, das als Grundlage für einen Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Förderung der Stammzellforschung dient. Im vergangenen Jahr hatte sich die EU hierauf nicht einigen können, da die Gewinnung von ES-Zellen in mehreren Mitgliedstaaten - darunter der Bundesrepublik - verboten ist. Hierfür würde ihnen wahrscheinlich der Beifall des US-Präsidenten Bush sicher sein, der zumindest die staatliche Forschung an ES-Zellen in den Vereinigten Staaten stark eingeschränkt hat. Protest gegen das EU-Vorhaben meldeten nun auch Abgeordnete de
der Bundestagsparteien (mit Ausnahme der FDP) an.Misstrauische VerbraucherDieselbe EU-Kommission allerdings musste sich - ebenfalls vergangene Woche - von demselben US-Präsidenten vorhalten lassen, dass sie nicht nur die afrikanischen Länder an ihrer wirtschaftlichen Entwicklung behindere, sondern letztlich auch für die dort herrschenden Hungerkatastrophen verantwortlich sei. Hintergrund ist ein Streit, der sich am Rande des Gipfeltreffens um gentechnisch veränderte (gv) Lebensmittel entzündete. Während sich Präsident Bush für die Liberalisierung der europäischen Märkte einsetzte, blieb die europäische Delegation skeptisch: Die Märkte von Sizilien bis nach Skandinavien nämlich reagieren auf Genfood misstrauisch bis ablehnend, und gerade nach den Skandalen um verseuchtes Fleisch ist in der EU der Verbraucherschutz - aus ökonomischen Gründen und um die heimischen Produzenten zu begünstigen - relativ groß geschrieben.Also moralischer Druck: In Afrika stünden die Bauern bereit, gentechnisch verändertes Getreide herzustellen. So lange sich die Europäer allerdings gegen dessen Einfuhr abschotteten, bliebe der Anbauanreiz gering - und damit die Entwicklungsmöglichkeiten des ärmsten Kontinents. Was Bush - beziehungsweise sein Handelsbeauftragter Robert Zoellick - nicht erwähnten, ist, dass vor allem in den USA Großkonzerne wie Monsanto bereit stehen, ihr gentechnisch verändertes Saatgut zu exportieren. Und natürlich auch die Überschüsse an Gentech-Nahrungsmitteln per Hungerhilfe - die übrigens gar nicht in allen afrikanischen Staaten willkommen ist (vgl. Freitag 21. 2. 2003). Das hielt nun wieder EU-Handelskommissar Pascal Lamy den Amerikanern vor.In der Tat ist in Europa der Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel - und auch gegenüber der Freisetzung von gv-Saatgut - erheblich größer als in den USA. In der EU gilt das Prinzip: Bevor nicht geklärt ist, dass von einem neuen Produkt keine Gefahr ausgeht, bleibt es verboten. In den USA ist es eher umgekehrt: So lange sich keine Gefahr abzeichnet, bleibt es erlaubt. Dies gilt vor allem für Lebensmittel, aber auch für Saatgut.In Thüringen zurück auf LosEin Beispiel aus Thüringen zeigt, dass es für Konzerne, die gentechnisch verändertes Saatgut aussetzen wollen, nicht leicht ist, entsprechende Areale zu finden. Die in der Schweiz ansässige Saatgutfirma Syngenta hatte - bemerkenswerter Weise in Zusammenarbeit mit dem Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) - versucht, im thüringischen Friemar im Landkreis Gotha gv-Weizen anzubauen. Misstrauen erregte die Firma, als sie sich weigerte, die veränderte Gensequenz des Saatguts zu veröffentlichen. Dies, so die Begründung, fiele unter das Betriebsgeheimnis und führe zu Konkurrenznachteilen. Obwohl das derzeit in Deutschland geltende (allerdings auf Überarbeitung harrende) Gentechnikgesetz die "Beschreibung des gentechnisch veränderten Organismus" ausdrücklich fordert, wurde die Geheimniskrämerei vom RKI gedeckt.Die Offenlegung ist schon deshalb erforderlich, um eventuelle Einwendungen gegen die Freisetzung zu begründen. Da dies nicht möglich war, halfen sich die Gegner in Thüringen - darunter der Förderverein Thüringer Ökoherz, Greenpeace u.a. - gegen die vom RKI für dieses Jahr bereits genehmigte Freisetzung auf andere Weise: Sie säten auf der ausgewiesenen Fläche Bio-Weizen aus. Daraufhin verzichtete Syngenta auf den geplanten Anbau, weil die Fläche nun zu "verunreinigt" für Gentech-Saat sei. Greenpeace muss nun mit einer Schadensersatzklage rechnen.Syngenta ist unter den gv-Saatguthersteller ein Zwerg, verglichen etwa mit dem US-Konzern Monsanto, der 91 Prozent des gesamten Gentech-Saathgutes herstellt und vermarktet. Während sich in den Vereinigten Staaten der Anbau von gentechnisch verändertem Mais mehr und mehr durchsetzt, wird um biotechnologisch modifizierten Weizen derzeit eine heftige Auseinandersetzung zwischen industriellen Saatgutproduzenten und Farmern geführt. Dabei zeigt sich - ähnlich wie in Europa -, dass es vor allem die Reaktionen der Verbraucher sind, die die Gentech-Tolerenz der landwirtschaftlichen Produzenten bestimmen. Wenn diese sich nämlich zurückhaltend oder ablehnend verhalten, droht der Markt zusammenzubrechen.Patente auf Kekse und TeigDiese Erfahrung hatten die Farmer bereits mit Bt-Mais gemacht, und sie fürchten beim Weizen, der viel unmittelbarer in die menschliche Nahrung gelangt als Futtermais, noch Schlimmeres. Kürzlich hat Greenpeace enthüllt, dass Monsanto Patente auf Kekse und Teig aus bestimmten Weizensorten hält. Nicht nur die Angst vor Einkommensverlusten, sondern auch vor Klagen der Patentinhaber führt also dazu, dass sich in Kanada und in den USA, wo der von Monsanto produzierte Roundup-Ready-Weizen kurz vor seiner kommerziellen Zulassung steht, erheblicher Widerstand formiert. Während viele Umwelt- und Verbraucherorganisationen die ökologischen und gesundheitlichen Risiken des neuen Getreides anprangern, fragen die Vertretungen der Farmer nach den ökonomischen Folgen, sollte der Weizen nicht mehr abgenommen werden. In den USA fordern Umweltverbände und Farmer von der Regierung deshalb ein Moratorium; angemahnt wird außerdem eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Darüber hinaus regen die Verbände an, gentechnisch veränderten Weizen auf die Liste der schädlichen Unkräuter aufzunehmen, in der alle Pflanzen aufgeführt werden, die auf dem amerikanischen Kontinent natürlicher Weise nicht vorkommen.Die Vorteile von transgenem Weizen liegen vor allem in seiner Resistenz gegenüber Schädlingsbefall (Pilze, Insekten, Viren) und Herbiziden. Im Klartext: Es kann unbedenklich gespritzt werden, ohne dass die Pflanzen leiden. Schon gibt es Hinweise darauf, dass die Glyphosat-Belastung des Grundwassers zunimmt, das hat jedenfalls ein geologisches Forschungsinstitut in Dänemark und Island belegt. Bislang war man davon ausgegangen, dass Glyphosat im Boden abgebaut wird. Erwartungen richten sich auch auf die Ertragsseite der neuen Pflanze: Nicht nur werden ihr verbesserte Eigenschaften bescheinigt, man hofft auch auf eine Steigerung des Trockengewichts, indem der Stärke-Haushalt verändert wird. Über Umweltverträglichkeit und gesundheitliche Auswirkungen ist bislang wenig bekannt.Dass der Kampf um Genfood mittlerweile zu einem politisch tödlichen Risiko geworden ist, offenbart sich in Großbritannien. Dort ist im Juni der gentechnikkritische Umweltminister Michael Meacher aus dem Amt gejagt worden, nachdem er die Bayer-Tochter BioScience heftig attackiert hatte. In Großbritannien wird gerade entschieden, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel in den Handel kommen. Regierungs-Chef Tony Blair unterstützt dies unumschränkt. Wir empfehlen seinem Nachwuchs Butterkekse aus dem Hause Bayer.Die neue Ausgabe des Gen-ethischen Informationsdienstes (GID, Nr. 158, Juni/Juli 2003) enthält einen Schwerpunkt zu gentechnisch verändertem Weizen, dem sich ein Teil der hier verarbeiteten Informationen verdankt.
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