Freiwilligkeit ist besser als eine allgemeine Dienstpflicht

Bundeswehr Laut einer aktuellen Umfrage sind 47 Prozent der Deutschen für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Der Gedanke, dass Männer und Frauen verpflichtend ihrem Land dienen, war schon in den 1990er-Jahren populär – das macht ihn nicht besser
Ausgabe 10/2022
Bundeswehrsoldaten beim Training in Afghanistan
Bundeswehrsoldaten beim Training in Afghanistan

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Der Spiegel irrt: Es war nicht Ex-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die die „zutiefst bürgerliche“ Idee 2018 in die Welt setzte. Seit 1990 ist das Thema „allgemeine Dienstpflicht“ ein Dauerbrenner und wurde in den unterschiedlichsten Begründungszusammenhängen aufgerufen. Ihr prominentester Befürworter war Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der den Vorschlag 1993 auf einer Kommandeurstagung der Bundeswehr ins Spiel brachte.

Ein Jahr später schaffte sie es fast ins Grundsatzprogramm der Union. Zuvor war das „Pflichtjahr“ für Mädchen nicht nur von CDU-Politikern als Gleichstellungschance gepriesen worden, als „Ausweg aus dem Pflegenotstand“ und als „Mobilmacher der Zivilgesellschaft“. Mit dem Ende der Wehrpflicht für Männer 2011 ging die Debatte in eine neue Runde.

Die Wiederauflage der allgemeinen Dienstpflicht im Rahmen eines kriegerischen Szenarios ist – wenn man von den beiden Weltkriegen einmal absieht – allerdings neu. Sind es die Bilder von den verteidigungsbereiten Ukrainern, die zu den Waffen greifen, oder die Rede von der „blanken“ Bundeswehr, welche den Dienstgedanken plötzlich populär machen? Ist es die alarmistische Dauersuada von der „Zeitenwende“, die die Wehrhaftigkeit der Deutschen herausfordert? Oder muss die „Identifikation mit unserem Gesellschaftsmodell“ durch den Willen zum Dienst unterstrichen werden? Auf jeden Fall sprechen sich nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine laut Insa-Umfrage 47 Prozent der Deutschen für die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht aus.

Die meisten Militärspezialisten erteilen der Idee jedoch eine Absage, weil sie die Probleme der Bundeswehr nicht löse. Vielleicht geht es ja auch darum, den horrenden Betrag von 100 Milliarden Euro, mit dem die Bundeswehr aufgerüstet werden soll, auf breiter Basis zu legitimieren. Denn es wird Diskussionen über die Verteilung der Mittel geben (etwa mit Blick auf den Pflegebereich), und junge Menschen im Pflegeeinsatz gäben dem brachialen Aufrüstungsszenario eine zivile Note.

Dabei ist es mit der Dienstpflicht nicht anders als mit der Impfpflicht: Freiwilligkeit ist dem Zwang meist überlegen. Dass in den vergangenen Jahren immer mehr von Pflicht die Rede ist, sollte uns derweil nachdenklich stimmen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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