Wenige Wochen nach dem Fall der US-Amerikanerin Terri Chiavo, der durch Gerichtsbeschluss die Magensonde entfernt worden und so zu Tode gekommen war, hat das Oberste Gericht in London ein Urteil bestätigt, wonach Ärzte angewiesen werden, beim nächsten Atemstillstand der heute18 Monate alten Charlotte Wyatt keine lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen einzuleiten, um das Kind nicht, wie Richter Hedley formulierte, "während einer sinnlosen und aggressiven Weiterbehandlung sterben" zu lassen.
Damit unterlagen die Eltern von Charlotte, die gegen ein entsprechendes Urteil in Berufung gegangen waren, auch vor der höchsten richterlichen Instanz. Charlotte, die als "Frühchen" mit einem Geburtsgewicht von 450 Gramm auf die Welt gekommen war, sei, so die Meinung der Richter, unheilbar krank, auch wenn sich ihr Zustand, wie die Eltern sagen, in den letzten Monaten leicht gebessert habe.
Gleichzeitig tobt in Großbritannien derzeitig eine heftige Kontroverse um Spätabtreibungen, die von der Theologin Joanne Jepson ausgelöst wurde. Diese hatte die britischen Anklagebehörden gezwungen, gegen zwei Ärzte des Nationalen Gesundheitsdienstes wegen einer angeblich rechtswidrigen Spätabtreibung zu ermitteln. Es ging um den Fall einer schwangeren Frau, die in der 24. Woche abgetrieben hatte, weil ihr Kind mit eine Lippengaumenkieferspalte zur Welt gekommen wäre. Jepson, die bis ins Erwachsenenalter selbst unter dieser Behinderung gelitten hatte, argumentierte, dass nach britischem Recht ein später Schwangerschaftsabbruch (bis zur 24. Woche) nur dann statthaft sei, wenn das Kind "erhebliche physische oder psychische Abnormalitäten" aufweise, die den Tatbestand der Schwerbehinderung erfüllten; dies aber sei im besagten Fall nicht gegeben.
Die Initiative der Vikarin, die im zweiten Anlauf mit der Einstellung des Verfahrens gegen die Ärzte endete, ist in Großbritannien sehr umstritten. Nicht nur Frauenrechtsorganisationen, sondern auch der Britische Schwangerschaftsdienst sehen darin eine unerwünschte Einmischung in die Belange Dritter, auch wenn sie Jepsons Engagement für die Rechte von Behinderten durchaus anerkennen. Im Kreuzverhör steht nun das Gesetz selbst, das, so Kritiker, schwammig formuliert und beliebig auslegbar sei. So nehmen die britischen Konservativen den Fall zum Anlass zu prüfen, ob Schwangerschaftsabbrüche künftig nur noch bis 20. Woche erlaubt werden sollten. Nach der 21. gilt ein Fötus auch außerhalb des Uterus als lebensfähig.
In dieses Szenario fügt sich ein im März diesen Jahres veröffentlichter Bericht des Wissenschaftsausschusses des britischen Unterhauses, der unter bestimmten Bedingungen "Designer-Babys" ermöglichen will. Bei einer künstlichen Befruchtung, so die Empfehlung, gebe es keine "zwingenden Gründe", weshalb man Eltern verbieten sollte, das Geschlecht ihres Kindes zu bestimmen.
Doch nicht nur die Geschlechts-, sondern auch die übrige genetische Auswahl wollen die Experten künftig liberalisieren: Wenn ein Embryo eine bestimmte genetische Ausstattung aufwiese, so dass das Kind unter Umständen als Stammzellspender für ein Geschwisterkind in Frage käme, könne diesem der Vorzug bei der Einpflanzung eingeräumt werden. Hintergrund ist der Fall des Ehepaars Shahana und Raj Hashimi, die die künstliche Befruchtung in Anspruch nahmen, um für ihren unter einer seltenen Blutkrankheit leidenden Sohn ein Baby mit "passendem" Zellgewebe zu erzeugen. Die Entscheidung über solche Fälle liegt bis heute bei der britischen Behörde für menschliche Fortpflanzung und Embryologie (HEFA) und muss öffentlich gerechtfertigt werden. Nach dem Willen des Ausschusses soll die Entscheidung künftig beim behandelnden Arzt und den Eltern liegen.
Nicht einmal vor der Einpflanzung von menschlichen Zellen in einen Tierfötus schrecken die Wissenschaftler zurück, vorausgesetzt, dass das Unternehmen der Forschung dient. Allerdings war sich das parteiübergreifende Gremium bei seinen Empfehlungen keineswegs einig: Die Hälfte der zehn Mitglieder sprach von einem "Frankenstein-Bericht", der "die Würde des menschlichen Lebens" missachte und verweigerte die Unterschrift. Der bioethischen Debatte in Großbritannien fehlt es auch künftig nicht an Sprengstoff.
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