Für viele Versicherte dürfte in der ersten Gehaltsabrechnung des Jahres eine unangenehme Überraschung stecken. Es wird für die meisten weniger „Netto vom Brutto“ geben, weil viele Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag erhöht haben. Während der allgemeine Beitrag derzeit 14,6 Prozent beträgt, liegen die Prämien bei den einzelnen Anbietern bei bis zu 16,1 Prozent, wobei mitgliederstarke Kassen wie die DAK (16,1), Barmer (15,7) und Technikerkasse (15,6) im oberen Beitragssegment rangieren. Die Anhebungen reißen ein großes Loch in die Taschen der Versicherten, denn Zusatzbeiträge werden nicht paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt, sondern alleine von den Erwerbstätigen.
Eine „unverhältnismäßige Belastung für die Arbeitnehmer“ nennt das die stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Hilde Mattheis, im Gespräch mit dem Freitag. „Ein gewisses Niveau der Belastung darf nicht überschritten werden.“ Sie macht sich schon seit Längerem für die Wiedereinführung der Parität in der Krankenversicherung stark. Schon bei deren Abschaffung durch die rot-grüne Koalition 2005, die von Versicherten erstmals einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent abverlangte, warnte sie vor den Folgen.
Die zunehmende Schieflage war absehbar. Der medizinische Fortschritt ist unaufhaltbar, das auf den Weg gebrachte Krankenhausstrukturgesetz fordert einen Milliardentribut, und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) rechnet mit massiv steigenden Arzneimittelkosten. Die vor Kurzem noch in satten Rücklagen schwelgenden Kassen beklagen inzwischen hohe Ausgabensteigerungen, die trotz der guten Konjunktur nicht mehr aufzufangen seien.
Über zehn Milliarden Euro, rechnet der linke Gesundheitspolitiker Harald Weinrich vor, hätten die Versicherten bereits 2015 mehr bezahlt als die Arbeitgeber. Und der Anstieg wird sich fortsetzen, wenn die Politik nicht interveniert. Auch Sozialverbände, Gewerkschaften und nicht zuletzt die Krankenkassen fordern die Rückkehr zur Parität. Solange die Konjunktur noch anhält, scheint der Zeitpunkt günstig zu sein. Das geschmeidige GKV-System würde dann dieses Mal nicht auf die Forderung der Arbeitgeber nach geringeren Lohnnebenkosten reagieren, sondern sich an der Ausgabenseite orientieren.
Wirtschaft als Kostenwächter?
Linkspartei und Grüne haben in der vergangenen Woche deshalb einen Vorstoß im Parlament unternommen und jeweils einen Antrag vorgelegt. Während es der Linkspartei vorrangig um eine Entlastung der Arbeitnehmer geht, möchten die Grünen die Unternehmen als „Kostenwächter“ ins System zurückbringen.
Würden diese wieder paritätisch an der Finanzierung der Gesundheitskosten beteiligt werden, erklärte Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, in der Debatte, hätten sie auch mehr Interesse an der Kostenkontrolle. Doris Pfeiffer vom GKV-Spitzenverband glaubt nicht, dass das Engagement der Arbeitgeber in den letzten Jahren geringer geworden sei.
Die SPD-Politikerin Mattheis ist ebenfalls davon überzeugt, dass man an der Kostenschraube drehen muss. „Es gibt sicher Effizienzreserven. Ich sehe beispielsweise die Möglichkeit, bei den patentgeschützten Medikamenten, die sich im gehobenen Preissegment bewegen, einzusparen, etwa durch die Weiterentwicklung der Nutzenbewertung oder die Verhandlungen der Kassen bei überzogenen Preisen.“ Auch bei Nachahmungspräparaten ließe sich Geld sparen: Der Abschluss von Rabattverträgen mit mehr als einem Anbieter pro Wirkstoff könnte nämlich nicht nur die Versorgungssicherheit für Patienten – etwa bei Lieferengpässen – erhöhen, sondern auch auf die Preise drücken.
Ob die Rückkehr zur Parität Erfolg haben wird, hängt wohl davon ab, ob es der Opposition und der SPD gelingt, das Thema wahlkampffähig zu machen und die Union noch in dieser Legislaturperiode aufzuweichen. Deren Arbeitnehmerflügel hat sich bereits dafür ausgesprochen, und man müsse dem Koalitionspartner, so Mattheis, nun die Möglichkeit geben, sich im parlamentarischen Verfahren die Einsicht in den richtigen Weg anzueignen. „Wir werden jedenfalls nicht lockerlassen und alles dafür tun, ihn zu überzeugen, auch wenn wir in Sachen Gesundheitsfinanzierung von unterschiedlichen Sternen kommen.“ Derzeit weist in der Union allerdings wenig auf diese Einsichtsfähigkeit hin.
Erstaunlicherweise ist mit der Debatte über die paritätische Gesundheitsfinanzierung auch die seit Längerem ad acta gelegte Bürgerversicherung, bei der alle Einkommensarten in das Finanzierungssystem einbezogen werden sollen, auf der SPD-Agenda wieder sichtbar geworden. SPD-Gesundheitssprecher Karl Lauterbach vermischte in der Bundestagsdebatte eigenwillig Nah- und Fernziel: „Auch wir kämpfen für die Rückkehr der Parität – zur paritätischen Bürgerversicherung.“ Dass mit der Rückkehr zur Parität nun „das Gespenst der Bürgerversicherung“ umgehe, wie in einschlägigen Unternehmensblättern zu lesen ist, hält Mattheis allerdings für Unsinn: „Beides ist gut und richtig, aber unabhängig voneinander umsetzbar.“
Ob es durch die Beitragsanhebung zu einem Kassen-Hopping kommen wird, ist eher fraglich. Eine gerade erschienene Studie der AOK besagt, die Versicherten achteten bei der Wahl ihrer Kasse eher auf deren Leistungsangebot als auf die Beitragshöhe.
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