Zwei Hufe für die Politik

Genethik Das Parteiengezänk um die Stammzellenforschung stärkt marktbeschleunigte selbstgewisse Wissenschaft

Da haben sie sich so abgemüht! Sind in den Mikrokosmos des Lebens vorgedrungen, in seine angeblich winzigsten Teile, die Gene, haben sich dann wieder aufgeschwungen in ethische Höhen, um in wohlgesetzten Formulierungen das Hohe Haus davon zu überzeugen, dass faustische Neugier und Menschenwürde nicht per se unvereinbar sind und partnerschaftlich liiert am Standort Deutschland Beträchtliches zu leisten vermögen. Der Zähmungsakt schien vorerst geglückt, die Wissenschaft hingehalten, die Öffentlichkeit beruhigt mit einem Ethik-Rat und die Wirtschaft angefüttert mit künftigen Renditeaussichten.

Nun jedoch büchst die seit Monaten unruhig in ihren Ställen stampfende Zunft aus, prescht in scharfem Galopp über den Acker und zeigt herzlich wenig Neigung, sich von den bestellten Ethik-Cowboys wieder einfangen zu lassen. Dazu haben die Pferdchen auch wenig Veranlassung, denn ein juristisches Lasso gibt es nicht, und ein scheu gemachter Gaul wiehert die bittenden Pfiffe seines Stallburschen nur aus.

Von Dressurreiten also kann nicht mehr die Rede sein. "Wertfreie" Wissenschaft am Gängelband der Politik und Staatsknete ist nicht mehr. Deutlicher hätten die Hufe aus Bonn und Kiel, wo zwei konkurrierende Wissenschaftsclans auf eigene Faust embryonale Stammzellen einführen wollen, gegen die Politik und den von ihr installierten Ethik-Rat nicht sein können. Die Einfuhr embryonaler Stammzellen aus Haifa oder Australien ist, rechtlich gesehen, kein Problem: Nicht nur in diesem Zusammenhang rächen sich mittlerweile die politischen Inkonsequenzen des 1990 verabschiedeten Embryonenschutzgesetzes.

Der Blick auf die lieferwilligen Firmen - etwa WiCell in Madison/USA oder die australische Firma ES Cell International - zeigt, worum es im Kern geht, nämlich um die Verflechtung von Wissenschafts- und Marktkapital. In den USA ist die gewerbliche Vermarktung von universitärem Wissen längst an der Tagesordnung, und auch hierzulande ist die "freie" Wissenschaft ins Unternehmertum aufgestiegen, zumindest dort, wo sich etwas patentieren und verkaufen lässt. Wenn WiCell seine Stammzellenkulturen für gutes Geld an ausländische Forschungseinrichtungen oder gewerbliche Lizenznehmer weiter gibt und die Erlöse der Universität zur Verfügung stellt, ist dies vielleicht noch gemeinsinniger, als wenn die Australier ihre Gewinne an anonyme Aktionäre ausschütten.

Man kann diese Entwicklung mit vielen guten Argumenten kritisieren; man kann auch mit Recht fragen, ob menschliches Gewebe überhaupt patentierbar sein darf. Aber man kann nicht wie Ministerin Bulmahn die "Marktfähigkeit" der Universitäten organisieren wollen nach dem Motto science is business und sich dann beklagen, dass Wissenschaftler auf die Politik pfeifen und ihr eigenes Ding machen - "Tatsachen schaffen".

Als der ehemalige Forschungsminister Rüttgers (CDU) in seiner Amtszeit die deutsche Biotechnologie auf seinen Schild hob, verschaffte er ihr Standortvorteile wie kaum einem anderen Wissenschaftszweig. Doch gemessen am "Gesamtbetrieb" ist die derzeit so heftig umstrittene Stammzellenforschung ein so winziger Bereich, dass man die Aufregung nur als Exempel verstehen kann, als Kraftprobe zwischen einem neuen Wirtschaftsfaktor namens Wissenschaft und der sie vorgeblich einschränkenden Politik.

Das Moratorium, das die CDU nun für die Stammzellenforschung vorschlägt, ist kaum geeignet, die von ihr selbst forcierte Entwicklung aufzuhalten, so lange dem kaum verschleierten Erpressungsversuch seitens der Wissenschaft - der Abwanderung deutscher Forscher ins Ausland - etwas entgegen gesetzt wird.

Überdeutlich dagegen ist die parteipolitische Absicht, einen Keil in die Koalition - die einerseits wissenschaftsgläubigen Teile der SPD, die skrupulösen der Bündnisgrünen andererseits - zu treiben und den angeschlagenen Christdemokraten aufs Pferd zu helfen. Die FDP ihrerseits bietet sich Ministerpräsident Clement oder auch dem Kanzler bereitwillig als Mehrheitsbeschafferin an. Einmal in den Niederungen des kalkulierten Parteiengezänks angelangt, sind ethische Argumente höchstens noch politische Manövriermasse, die auf diesen oder jenen Bedarf hin zu kneten dem Ethik-Rat aufgegeben ist.

Für die Wissenschaft allerdings steht mehr auf dem Spiel als nur eine auszuwetzende Wahlschlappe: Sie wird Teil der beschleunigten Verwertungskreisläufe, die die neue "unternehmensbezogene Dienstleistungsgesellschaft auf Wissensbasis", wie das neuerdings heißt, am Laufen hält.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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