Zweigeteilte Weltgesundheit

Gipfeltreffen In Berlin tagt derzeit eine Privatinitiative, die sich als „Weltgesundheitsgipfel“ ausgibt. Zivilgesellschaftliche Initiativen sprechen ihm die Legitimation ab

In den nächsten Tagen wird in Deutschland die größte Impfaktion der Nachkriegszeit anlaufen und eine Milliarde Euro verschlingen. Unter Experten ist die Maßnahme nach wie vor umstritten. Man hat den Eindruck, dass die Schweinegrippe den Vorwand liefert, nationale Katastrophenpläne unter Ernstfallbedingungen zu proben. Auf die 1,5 Millionen Kinder, die jährlich weltweit an einer banalen Durchfallerkrankung sterben oder die 100 Millionen Menschen, die durch die Finanzkrise in Armut fallen und krank werden, dürfte die westliche Impfhysterie wie ein Hohn wirken. Das von der UN deklarierte Menschenrecht auf Gesundheit ist, wie sich an der Schweinegrippe ablesen lässt, zweigeteilt: Während der ärmere Teil der Welt, der geringen Zugang zu Gesundheitsleistungen hat, als potenzieller Gefahrenherd gilt, geht es dem reicheren Teil darum, wie er sich möglichst umfassend schützt und sich gegen das eindringende Übel von außen immunisiert.

Merkel als Schirmherrin

In Detlev Ganten, dem Präsident des derzeit in Berlin tagenden so genannten Weltgesundheitsgipfels, hat dieses westliche Gesundheitsmanagement schon immer einen geschickten Anwalt gefunden. Ob als Gründungsdirektor des Max-Delbrück-Centrums in Berlin-Buch, wo er Grundlagenforschung und einschlägige Industrie in lukrative Allianzen verwickelte, ob als Vorstandsvorsitzender der Charité in einer Zeit, in der die Berliner Kliniklandschaft ökonomisiert wurde, oder als Experte in gesundheitspolitischen oder ethischen Zerreißproben: Überzeugt davon, dass „wir uns nicht allen Fortschritt auf der ganzen Welt werden leisten können“, wie er kürzlich in einem Interview feststellte, bedeutet Medizin auch die präventive Anpassung an soziale Gegebenheiten. Der Körper soll gesund erhalten werden im Hinblick auf die Zumutungen, die zivilisierte Turbo-Gesellschaften bereithalten.
Das Programm des mit 700 Vertretern aus Politik, Forschung und Industrie bestückten Weltkongresses, der unter Schirmherrschaft von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy stattfindet, zielt darauf ab, Krankheiten zu bekämpfen und die Weltgesundheit zu verbessern. Daran ist nicht zu mäkeln. Doch wo in der nördlichen Hemisphäre Gesundheit immer stärker zu einem individuellen (und selbst zu bezahlenden) Projekt wird – bis zu den ambitionierten Projekten eine personalisierten Medizin, die den Genom-Status von Patienten einbezieht –, müssen die Ländern des Südens um bezahlbare Aids-Medikamente kämpfen.

Gesundheit im Warenkorb

Die Kritik, die schon im Vorfeld des Kongresses laut wurde, machte sich deshalb nicht nur an der fehlenden Legitimation des „Weltgesundheitsgipfels“ fest, sondern auch an den Inhalten. Nicht das öffentliche Gut „Gesundheit“ stehe im Mittelpunkt, sondern die Ware Gesundheit, für die neue Märkte erschlossen werden sollen. Dabei haben selbst hierzulande beispielsweise Menschen ohne Papiere keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, weil Ärzte gesetzlich verpflichtet sind, sie an die Ausländerbehörde zu melden. Weltweit haben zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 90 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungskosten im Pharmabereich kommen nur zehn Prozent der Weltbevölkerung zugute kommen, wie Marion Birch von der britischen Hilfsorganisation Medac kritisiert. Ein auf Standort- und Wirtschaftsinteressen fokussierter so genannter M 8, den der „Weltgesundheitsgipfel“ nach dem Vorbild der G 8 installieren will, sei deshalb ein völlig falsches Signal und delegitimiere darüber hinaus die Autorität der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Das überraschend breite Bündnis aus Gesundheits- und Hilfsorganisationen, Gewerkschaften und Politik, das auf Initiative von medico international gestern einen Gegengipfel initiierte, schaltete nicht, wie der Weltgipfel, in den Weltraum, sondern „nur“ nach Indien zu den Mitarbeitern eines Gesundheitsprojekts. Immerhin reagierte Ganten im ehrwürdigen Langenbeck-Virchow-Haus auf die kritische Öffentlichkeit und strickte auf die Schnelle noch ein paar zivilgesellschaftliche Netze. Worum es aber in der Sache ging, ließ sich vor dem Hauptportal besichtigen. Dort hatte der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen eine „Pipeline für Gesundheit“ aufgebaut. Als Symbol für die Bedeutung der deutschen Pharmaforschung.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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