Wir retten uns zu Tode

Algendüngung Wenn Klimaschutz und Naturschutz in Widerspruch geraten, hat man schon vorher den falschen Weg gewählt. Eine Forschungsexpedition ins Polarmeer ruft Kritik hervor

So hatte sich die Crew der Polarstern ihre Reise nicht vorgestellt. Gerade erst hatte das deutsche Forschungsschiff von Kapstadt aus Kurs auf den Südatlantik genommen, da war es bereits in einen schweren politischen Sturm geraten. Das international bunt gemischte Team von 48 Wissenschaftlern sollte in einem Gebiet von 300 Quadratkilometern probeweise 20 Tonnen Eisensulfat ins Meer schütten und herausfinden, ob sich mit einer solchen „Eisendüngung“ das Treib­hausgas Kohlendioxid einfangen lässt. So der Plan. Doch die Proteste von Umweltschützern, in die auch das Bundesumweltministerium einstimmte, hatten die Mission kräftig ins Schlingern gebracht.

Nachdem das zuständige Bundesforschungsministerium die Expedition erst einmal ausgesetzt hatte, gab es für die Meeresforscher später doch noch grünes Licht. Unabhängige wissenschaftliche und juristische Gutachten seien zu dem Ergebnis gekommen, dass das Eisendüngungsexperiment für die Umwelt unbedenklich sei und im Einklang mit geltendem Völkerrecht stehe, ließ Ministerin Annette Schavan vernehmen – und erteilte damit ihrem Kollegen, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, eine klare Abfuhr.

Globale Experimente

Hinter dem politischen Hick-Hack ist die Kernfrage, an der sich Umweltschützer und Klimaretter entzweien, in den Hintergrund gerückt: Kann die Ozeandüngung langfristig unseren Planeten vor dem drohenden Klimakollaps retten? Oder handelt es sich um ein hochriskantes Experiment, welches das ohnehin wackelige Gleichgewicht des Polarmeers völlig durcheinander zu bringen droht?

„Gebt mir eine halbe Schiffsladung Eisen, und ich löse damit eine neue Eiszeit aus“, hatte der „Iron-Man“ der amerikanischen Ozeanographie, John Martin, Ende der 80er Jahre gewitzelt. Dahinter steckte eine durchaus ernst gemeinte Idee: Eisen ist ein Spurenelement, das mikroskopisch kleinen einzelligen Algen, dem Phytoplankton, als Lebensgrundlage dient. Ist zu wenig davon im Wasser vorhanden, kann das Plankton nicht gedeihen. Umgekehrt gilt: Wird eisenarmen Gewässern das Metall von außen zugeführt, vermehrt sich das Plankton um so stärker. Dabei holt es sich auch viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre, um durch Photosynthese Biomasse aufzubauen. Wenn die Organismen absterben, so die Theorie, sinkt das gebundene Treibhausgas mit den toten Zellen in die Tiefe und ist dem globalen Kreislauf erst einmal entzogen. Sollte es etwa möglich sein, durch eine künstlich provozierte Algenblüte gegen die Erderwärmung anzugehen?

Tatsächlich zeigten erste Experimente, dass eine Eisendüngung das Wachstum des Phytoplankton fördert. Unklar blieb bislang, was wirklich mit dem eingefangenen Kohlendioxid passiert. Denn nur, wenn ausreichend Kohlenstoff etwa in abgestorbenen Algenzellen auf den Meeresboden absinkt, wäre dem Klima gedient.

Hier nun setzt das Forschungsprojekt LOHAFEX an, das vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meersforschung (AWI) und dem indischen National Institute of Oceanography gemeinsam getragen wird. Die Forscher auf der Polarstern wollen dabei die Algenblüte über einen längeren Zeitraum bis zum Absinken auf den Meeresgrund mit neuen Analyseverfahren verfolgen. Auch wollen sie herausfinden, welche Auswirkungen die Blüte auf das so genannte Zooplankton hat, insbesondere auf den Krill: Das sind garnelenähnliche Krebstiere, die den antarktischen Pinguinen, Robben und Walen als Nahrung dienen. Ihre Bestände haben in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch abgenommen. Für AWI-Meeresforscher Ulrich Bathmann geht es darum, Wissenslücken zu schließen: „Wie will man die Effekte der Ozeandüngung verstehen, wenn man nicht in kleinen Experimenten die Prozesse genau verfolgt?“

Umstritten ist aber, welchen Schaden solche Versuche in der Meeresökologie ausrichten können. Gerade deswegen hatte die UN-Konvention zur Biodiversität 2008 auch einen Passus gegen Ozeandüngung beschlossen, wonach solche Experimente solange untersagt bleiben, bis es feste Regeln für den Einsatz des Verfahrens gibt. Zahlreiche Umweltverbände kritisieren die Polarstern-Expedition als klaren Verstoß. So sieht etwa WWF-Meeresexperte Stephan Lutter nichts weniger als „Deutschlands Glaubwürdigkeit als Klima- und Meeresschützer“ auf dem Spiel. Die „Aktionskonferenz Nordsee“ in Bremen nannte den Plan „größenwahnsinnig“ und forderte gemeinsam mit anderen internationalen Umweltverbänden einen Abbruch der Expedition.

Mit der nachträglich eingeholten Unbedenklichkeitserlärung für LOHAFEX mag das Ministerium sein Gesicht gewahrt haben. Doch für die Umweltschützer ist damit das Kernproblem nicht vom Tisch: Sie befürchten, dass solche Versuche letztlich den Weg für kommerzielle Eisen-Düngetechniken im Ozean öffnen: „Eine große Zahl privater Unternehmen haben hier kommerzielle Interessen und wollen ihr Geld mit dem Verkauf von Emissionskrediten verdienen“, so der Leiter und Mitbegründer des Greenpeace-Forschungsinstituts an der Universität Exeter, Paul Johnston.

Ablasshandel für Klimasünder

Gemeinsam mit anderen Umweltschutzorganisationen hatte sich Greenpeace bereits 2007 gegen die Pläne der Firma Planktos stark gemacht, die im großen Stil Düngetests im Südpazifik durchführen wollte. Ein auf 10.000 Quadratkilometer angelegtes Experiment, bei dem die Besatzung der Weatherbird II 100 Tonnen Eisen ins Meer kippen wollte, scheiterte damals am Widerstand von Umweltschützern und Staaten, die das Schiff nicht in ihre Häfen anlaufen ließen. Weitere Düngungs-Firmen wie das US-Unternehmen Climos stehen schon in den Startlöchern, um mit Verschmutzungs-Ablassscheinen Profit zu machen.

Eine Eisendüngung im großen Stil birgt große Risiken: Phytoplankton steht am untersten Ende der marinen Nahrungskette. Jeder Eingriff könnte daher unvorhersehbare Folgen haben. Auch verbrauchen Mikroben beim Abbau der absinkenden Algen massenweise Sauerstoff, der dann anderen Meeresbewohnern fehlt. Außerdem lässt die Eisendüngung bisweilen giftige Algenarten sprießen. „Die Ozeandüngung ist ein erheblicher Eingriff in die Meeresökologie“, urteilt deswegen WWF-Mann Lutter.

Wieviel Kohlendioxid ließe sich dem Klimakreislauf so überhaupt entziehen? Optimistische Schätzungen sprechen von jährlich etwa drei Gigatonnen bei einer ganzflächigen Düngung des Südpolarmeeres. Das klingt nach wenig, wenn man bedenkt, dass die von Menschen verursachten Emissionen derzeit bei über 36 Gigatonnen jährlich liegen. Hinzu kommt: Solche Kalkulationen vertrauen darauf, dass ein beträchtlicher Teil der Algenblüte tief in den Ozean absinken würde. Tatsächlich aber verzehren Zooplankton und Mikroben einen großen Batzen des Algenteppichs, womit der Kohlenstoff innerhalb von Monaten wieder in die Atmosphäre zurückgegeben würde.

Am Ende spitzt sich die Diskussion auf die Frage zu, wie dem Treibhausproblem generell beizukommen ist: Indem politisch alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, die Emission der Treibhausgase stark zu drosseln? Oder sozusagen mit dem Holzhammer, indem mittels „Geo-Engineering“ stark in den natürlichen Kreislauf eingegriffen wird. Immer wieder ersinnen „Planetenklempner“ gewagte bis kuriose Methoden, um die Erde vor dem drohenden Kollaps zu bewahren. Da wollen Klimaretter die Erde etwa durch künstliche Wolken abschatten oder mit Hilfe gigantischer Sonnensegel vor der Sonne schützen. Andere plädieren dafür, Kohlendioxid in unterirdische Hohlräume einzusperren oder in Flüssigform in die tiefen Wasserschichten der Ozeane zu injizieren.

Greenpeace-Forscher Johnston hält Geo-Engineering für eine „hochriskante Option“, die vom eigentlichen Problem nur ablenkt. „Gegen den Klimawandel gibt es nur zwei Mittel: Wir müssen unseren globalen Energieverbrauch drastisch reduzieren, und wir müssen auf ebenso aggressive Weise die Energiegewinnung auf erneuerbare Quellen umstellen.“ Alles andere sei eine „gefährliche Ablenkung“.

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