Eventkritik Die große Stunde der Kleinaktionäre: Die Generalaussprache bei der Daimler-Hauptversammlung bietet eine Bühne für Schaukämpfe. Und "Rimini Protokoll" macht Theater
Dieter Zetsche steht auf der Bühne, sein Gesicht wird auf eine überdimensionale Kinoleinwand projiziert, und sagt Sätze wie „Wir wünschten, wir hätten früher gebremst“, oder „Wir müssen heute das Saatgut für die Ernte von morgen oder übermogen säen“. Es ist kein gutes Jahr, die Automobilbranche liegt am Boden. Das merkt man auch der Rede des Vorstandsvorsitzenden an, der nicht umhin kommt, Probleme zu benennen, allerdings tunlichst versucht, konkrete Zahlen zu vermeiden. Rund 8.000 Aktionäre sitzen in den Rängen im Berliner Messezentrum, einige klatschen und buhen bei der Rede des Vorstandschefs, aber recht verhalten.
Warum "Rimini Protokoll" die Daimler-Hauptversammlung als Bühne siehtWie sich Daimler auf Kosten der Beschäftigten sanieren willDie anderen 25 Vorstände und Aufsichtsräte sitzen mit ernsten Mienen hinter Dieter Zetsche auf der Bühne, verschanzt hinter großen Pulten, und schauen starr geradeaus. So wird es auch den ganzen Tag bleiben. Sie sind wie Statisten, die hier nichts sagen dürfen, aber unverzichtbares Beiwerk für die Inszenierung sind, die fast zwölf Stunden dauern wird. Ein Großteil, fast zehn Stunden, fällt auf die Generalaussprache, bei der Kleinaktionäre Kritik und Fragen an den Vorstand richten und über dessen Entlastung abstimmen können, also ihre Geschäftsführung billigen. Dabei sind die wichtigen Entscheidungen längst besprochen, die Hauptversammlung ist der Abschluss einer Entwicklung, bei der meistens Wochen und Monate vorher mit den größten Anteilseignern die Themen besprochen worden sind. Aber den rund 8.000 Aktionäre, die zur Hauptversammlung gekommen sind, wird suggeriert, dass sie und ihre Stimmen wichtig sind.Dafür wird nicht an Pomp und Inszenierung gespart, alles ist groß, massiv und strahlt in den Daimler-Farben Blau-Weiß: die Bühne, die Bildschirme, die Limousinen, die auf der Bühne und im Foyer stehen. Rund drei Millionen Euro lässt sich die Daimler AG es kosten, ihre Aktionäre zu beeindrucken. Die Veranstaltung ist minutiös vorbereitet und akribisch durchgeführt. Dieses Ritual von Machtinszenierung möchte die Theatergruppe „Rimini Protokoll“ ihren Zuschauern zeigen und hat die Daimler Hauptversammlung zur "aufwändigsten Inszenierung dieser Spielzeit" und zu ihrem neuen Stück erklärt. 200 Aktionäre wurden um ihr Stimmrecht und damit dem Zugangsrecht zur Hauptversammlung gebeten und die Einladungen an Theaterzuschauer verteilt, zusammen mit einem Buch, das die Veranstaltung in fünf Akte einteilt und mit Texten, Zahlen und Fakten rund um die Welt der Aktien und Aktionäre versorgt. Die Theatergänger, die nun als Inhaber von Stimmrechten die Rolle von Aktionären spielen, kommen nicht als Zuschauerblock, sondern bewegen sich selbstbestimmt, dem eigenen Zeitplan folgend, auf der Veranstaltung. Manche zwei, andere 13 Stunden.Zehn Stunden lang wird Aktiendemokratie gespieltDie Generalaussprache ist der Hauptakt, hier wird zehn Stunden lang Aktiendemokratie gespielt. Jeder Aktionär, auch wenn er nur eine einzige Aktie hält, kann den Vorstand befragen und kritisieren, und wird dabei auf Kinoleinwandgröße gezeigt. Die zehn-, später fünfminütigen, Redebeiträge müssen von den Konzernlenkern beantwortet werden, ob es um Schmiergeldzahlungen, Menschenrechtsverletzungen oder Hubraumgrößen geht. Dafür arbeitet das so genannte „Backoffice“ dem Vorstand und Aufsichtsrat zu. Es sind rund hundert Mitarbeiter, die hinter der Bühne agieren, die Daten und Zahlen soufflieren. Die erste Stunde dieses Frage- und Antwortspiels verfolgt noch ein Großteil der Aktionäre, klatscht und johlt vor allem immer dann, wenn der Name Schrempp fällt. Und der fällt oft.Doch längst nicht alle Aktionäre sind gekommen, um Fragen zu stellen oder zu hören. Im Foyer stehen die Leute Schlange für Würstchen, Kartoffelsalat und Nudeln mit Tomatensoße. Und für Autos. Auf roten Teppichen parken zwei Limousinen und ein Smart Cabrio. Männer und Frauen zwischen fünfzig und siebzig drängeln sich darum. Sie setzen sich ans Steuer, testen den Sitzkomfort, öffnen Kofferräume und klettern fast hinein, streicheln zärtlich über die Karosserie, machen Fotos. Mitarbeiter von Daimler wischen alle paar Minuten Fenster und Lack ab, die von Fingerabdrücken übersät sind.Nach dem Essen bleiben viele Plätze in den Sälen leer und noch einmal zwei Stunden später harren nur noch vereinzelte Aktionäre in den Sitzreihen, die applaudieren, pfeifen und buhen. Es scheint wie ein großes Familientreffen, alle Jahre wieder. „Georg, wegen dir sind wir noch geblieben, wann bist du dran?“, raunt ein braungebrannter Mann im gelben Blouson einem Vorbeigehenden zu. Auch der Vorstand- und Aufsichtsrat kennt die meisten der Redner bereits aus den Vorjahren. „Ach Herr Müller, Sie schon wieder.“ Ab 18 Uhr sind es sind es nur noch vier oder fünf Fragesteller, die sich immer wieder auf die Rednerliste setzen lassen. Sie fordern, die Beteiligung von Daimler an EADS zu beenden, äußern Vorwürfe und Fragen zu Streumunitionsträgern, Atomwaffenträgern, und immer wieder den „Geldvernichter Schrempp“. Andere bieten eine skurile Performance, erzählen von ihrer Vergangenheit als Mercedes-Händler oder machen sich einen Spaß daraus, die Konzernlenker immer wieder zu provozieren und mit Schimpfwörtern zu traktieren. Einer hält ein Poster mit einem riesigen Pandabären hoch und schreit: „Es gibt nur noch 600 Pandabären“.Engagierte Aktionäre, lieblose VorständeIn antrainierter Höflichkeit bedankt sich der Aufsichtsratsvorsitzende für jeden Redebeitrag. Während die Aktionäre sehr energetisch und mit sichtlichem Spaß auftreten, werden die Antworten der Vorstände und Aufsichtsräte immer liebloser heruntergeleiert. Daten und Floskeln verschwimmen zu einem Brei, der kaum auseinanderzuhalten ist. „Was zu tun ist, das werden wir tun“ oder „Ich lade Sie ein, dass wir uns zu einem späteren Zeitpunkt darüber unterhalten.“ Alles wiederholt sich in Endlosschleife, Fragen und Antwort, es ist wie ein Spiel, wer zuerst die Nerven verliert. Generalaussprachen in dieser Länge sind in Deutschland besonders ausgeprägt, erzählt ein amerikanischer Journalist, der über Kopfhörer im Pressezentrum die Reden verfolgt. Als es damals um die Trennung von Daimler und Chrysler ging, habe die Versammlung in Berlin über zehn Stunden gedauert, in den USA nur 90 Minuten.Um 20.30 Uhr beendet der Vorsitz die Frage und fordert zur Abstimmung auf, die eine weitere Stunde dauern wird. Einige kritische Aktionäre protestieren noch und verlangen weitere Redezeit, aber ohne Nachdruck. Sie scheinen etwas müde. Und auch die 25 Vorstände und Aufsichtsräte hängen nur noch auf ihren Stühlen, starren müde hinter den Pulten hervor. Als schließlich ein Tagesschau-Gong das endgültige und definitive Ende dieser Hauptversammlung einläutet, verlassen auch die letzten und kritischsten Aktionäre den Saal, holen sich noch ein Würstchen und sagen vielleicht: „Bis zur nächsten Hauptversammlung. Henkel ist am 20. April.“
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