Schon wieder ein Vorbild

Politik In Schweden feiert eine linke, feministische Partei Erfolge. Trotz oder wegen der Fortschrittlichkeit des Landes?
Ausgabe 29/2014

Es reicht nicht, dass wir nur über soziale Klassen sprechen. Menschen werden aus ethnischen, funktionalen und sexuellen Gründen diskriminiert“, sagt Gudrun Schyman mit fester Stimme. „Frauenhass, Rassismus, Sexismus, Homophobie tauchen gleichzeitig auf und bedingen einander. Und diese komplexen Mittel der Macht müssen wir bloßlegen; wir müssen die Gesellschaft so beschreiben, dass viele sich darin wiedererkennen. Das schafft der Sozialismus nicht.“ So erklärt die neue Galionsfigur der Feministiskt initiativ (FI) ihr politisches Programm.

Wir sind auf der Insel Gotland. Jedes Jahr verbringt die politische Elite hier im Sommer zusammen mit Tausenden Interessenvertretern, Journalisten und Besuchern eine Woche, zusammengepfercht auf der Fläche eines Berliner Kiezes. Nie ist die Intimität des schwedischen Politikbetriebs deutlicher zu spüren als während dieser Tage, die Politiker sind tatsächlich für jeden erreichbar. Vor der kleinen Bühne, auf der Gudrun Schyman spricht, stehen etwa 100 Leute, sie pfeifen und applaudieren. Die 66-jährige ehemalige Vorsitzende der schwedischen Linken wird fast wie ein Rockstar gefeiert.

Bei den Europawahlen im Mai hat Schymans Feministische Initiative 5,5 Prozent der Stimmen erhalten, ein ziemlich beachtliches Ergebnis. Als erste Roma überhaupt sitzt seitdem die Menschenrechtsaktivistin Soraya Post im Brüsseler Parlament. Bei den schwedischen Parlamentswahlen im September will die FI das überraschend gute Resultat aus dem Frühjahr wiederholen. „Raus mit den Rassisten, rein die Feministen“, lautet der Wahlspruch, der vor allem auf die rechtsradikalen Schwedendemokraten zielt, die seit dem Jahr 2010 im Abgeordnetenhaus sitzen. Dort dienen sie im Grunde als Stütze der Mitte-rechts-Regierung.

Im Wohnzimmer

Die FI wurde bereits im Jahr 2005 gegründet, doch erst seit Herbst 2013 ist die Partei auffällig gewachsen. Sie nutzt die sozialen Medien und hat mit den sogenannten Homepartys eine neue, offenbar attraktive Form für politische Gespräche gefunden. Sowohl Schyman als auch die übrigen Vertreterinnen kommen zu jedem, der mindestens 15 Leute zusammenbringt und das Wohnzimmer oder sonstige Räume zur Verfügung stellt. Sind es vorher rund 1.500 gewesen, engagieren sich in der feministischen Partei heute 17.000 Mitglieder. Der Sprung ins Parlament könnte also wirklich gelingen.

Einer der neu gewonnenen Unterstützer ist der 22-jährige Elis Burrau. „FI verkörpert die am deutlichsten feministische und antirassistische Alternative in Schweden“, sagt er. „Sie bezieht Stellung gegen die Rassisten von den Schwedendemokraten, stellt sich dieser Debatte, hat eine Roma-Aktivistin nach Brüssel geschickt und benennt die Attacken von Neonazis unverblümt als das, was sie sind.“

Die Schwedendemokraten zeigen überdeutlich, dass das Land längst keine Bullerbü-Gemeinschaft mehr ist, sondern eines mit typischen europäischen Problemen. Der Aufstieg der FI wiederum liest sich als Reaktion auf den Rechtsradikalismus, den salonfähig gewordenen Rassismus und die gesellschaftlich nie richtig ernst genommene Diskriminierung von Sinti und Roma. Als Folie dient ihr aber auch die immer noch nicht erreichte Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, gerade weil und obwohl sich Schweden gern als ein globales Vorbild stilisiert.

Die Feministiskt initiativ erinnert zum Beispiel an den Gender Pay Gap, die Geschlechter-Einkommenslücke, die sich in den Sozialversicherungen widerspiegelt und in den Pensionen niederschlägt. Mit dem Konzept der Intersektionalität, also der Tatsache, dass sich verschiedene Diskriminierungsformen in einer Person bündeln können, unterscheiden sie sich von den sozialistischen Linken und auch den Grünen. Aber sie teilen auch Forderungen mit ihnen: etwa die nach einer paritätischen Aufteilung des Elterngelds, einem sechsstündigen Arbeitstag und dem prinzipiellen Recht auf Vollzeit. Radikaler ist die Initiative dort, wo es um Sicherheitspolitik geht. Sie fordert eine vollständige Abrüstung.

Im linken Lager ist man von dem Newcomer nicht unbedingt begeistert. Es hat Warnungen gegeben, eine Stimme für die Feministen sei eine Bedrohung für den linken Einfluss im Parlament, besonders dann, wenn die FI doch an der Sperrklausel (vier Prozent landesweit oder zwölf in einem der 29 Wahlkreise) scheitern sollte. „In den vergangenen sechs Monaten sind viele Linke zur FI geschwenkt“, sagt Elis Burrau. „Ich glaube aber, dass dennoch viele bei den Riksdagen-Wahlen doch für die Linken stimmen werden.“ Trotzdem ist er überzeugt, dass die Feministische Initiative die Hürde schaffen wird.

Auf die Vernunft

Für manche Außenstehende mag es kurios wirken, dass es im aufgeklärten Schweden eine feministische Partei gibt. Doch sie ist durchaus folgerichtig. Die Gleichberechtigung ist eben noch immer nicht erreicht, bleibt aber Staatsraison. Die FI-Forderungen begeistern zwar kaum konservative und liberale Wähler, können von ihnen jedoch auch nicht als Extremismus abgetan werden. Schon jetzt fühlen sich fast alle anderen Parteien gezwungen, wieder mehr und lauter über Gleichberechtigung und Rassismus zu reden. Und die landesweit bekannte Figur Gudrun Schyman trägt natürlich ebenfalls zum Erfolg bei.

Für Deutschland scheint all das kaum vorstellbar: Hier wird eine Herdprämie eingeführt, das Ehegattensplitting bleibt unantastbar, und Feministinnen debattieren über Tussikratie. Ein linksgerichteter feministischer Konsens ist im kleinen Schweden offensichtlich leichter zu erreichen.

Unn Gustafsson, geboren 1980 in Stockholm, lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin

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