Im Lande der Hohepriester und Untertanen

Demokra-was? Ein heißes Eisen wie das NPD-Verbot fördert Dinge zu Tage, die man sich in Ruhe durch den Kopf gehen lassen sollte. Irritierende Dinge. Undemokratische Dinge.

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Soll man die NPD verbieten? Der erste Impuls ist ein selbstverständlich!, und es wäre verdächtig, wenn er anders ausfiele. Nachdenken führt schnell zu einem differenzierteren Bild. Was machen die jetzigen Parteimitglieder und -anhänger dann? Einfach eine neue Partei gründen und weiter geht's?

Solche und andere Gedanken haben Hörer dazu motiviert, beim WDR anzurufen und ihre Meinung zu sagen. Ich habe gut zugehört, auch gestern bei einer Expertenrunde im DLF:

Kann man die NPD verbieten? Niemand scheint das zu wissen. Manche wollen es einfach versuchen, andere warnen vor einer drohenden zweiten Blamage. Ist das wirklich ein Pferderennen? Kann man nicht erwarten, dass Politiker im Schlaf herbeten können, wie unser Staatswesen organisiert ist? Es entsteht der Eindruck, dass die Politik restlos vor sich selbst kapituliert hat. Der Verdacht drängt sich auf, niemand kümmere sich um unsere demokratische Verfassung (und die Verfassung unserer Demokratie!), bis er vor ein Mikrofon gezerrt wird und liefern muss.

Das Verfassungsgericht entscheidet, was im Lande läuft. Man kann von politischer Seite nur rätselraten, was dabei herauskommen wird. Manchem mag das recht sein, ich denke da an die Beschneidung. Regierte und Regierende fiebern vor dem Fernsehschirm, bis das erlösende "l'Allemagne, douze points" durchgesagt wird. Oder etwas anderes. Setzen, sechs! Macht bitte eure Hausaufgaben, dann passiert das nicht wieder. Berufen ans BVerfG habt ihr die Männer und Frauen übrigens auch ...

Man könnte das Volk abstimmen lassen, was es denn gern hätte. Per TED und Like-Button, dann freuen sich ZDF und Piraten gleichermassen. Und dann das Karlsruher Orakel befragen. Haben die dort kein Telefon? Schweigen die alle eisern bis zur Urteilsverkündung zur Frage, ob sich ihre Ansichten in den 56 Jahren seit dem letzten Verbot geändert haben könnten? Und, wenn es schon so sein soll: Warum werden die 1000+ Seiten Material nicht ins Internet gestellt, damit jeder sich ein Bild machen kann? Ist top secret, was genau unseren Staat, unsere sintemalen wehrhafte Demokratie eigentlich bedroht? Dürfen wir nicht wissen, was in Parteien vorgeht, die wir theoretisch ankreuzen könnten bei der nächsten Wahl?

Wirklich einfach ist es allerdings nicht: wenn Polizei, Verfassungsschutz und Justiz nicht immer und überall so komplett versagt haben wie bei der NSU, kann sich in dem Material nichts Kriminelles mehr finden lassen. Keine Volksverhetzung, keine Anstiftung zu Straftaten, kein Aufruf zum Tyrannenmord. Oder?

Und dann ruft eine Frau an. Ich fand ihren Beitrag so bedenkenswert, dass ich ihn transkribiert habe (ab ca. 17:15):

Ja, schönen guten Morgen, allgemein in die Runde. Meine Meinung ist, also ich bin 68 Jahre, muss vorausschicken, dass mein Vater bei den Nazis im KZ gesessen hat. Er hat es zum Glück überlebt. Meiner Meinung nach hätte die NPD und DFU [Anm: gemeint ist die DVU] und wie sie alle hießen nie, nie zugelassen werden dürfen. Aber in der damaligen Zeit und auch heute noch, ist unsere Regierung und sind viele, viele Politiker auf dem rechten Auge blind. Die DKP als KPD hat man damals ganz schnell verboten. Man hat alles beschlagnahmt, da ging das, und obwohl gerade die KPD-Leute damals inhaftiert waren. Nein, aber das war gegen den Kommunismus, das war ja schick, gegen Russland, ja, Länder, die am meisten unter den Faschisten gelitten haben. Und im übrigen möchte ich noch dazu sagen: Faschismus und Nationalsozialismus ist keine Gesinnung, das ist ein Verbrechen. Und man sollte schleunigst diese Partei verbieten und dafür sorgen, dass die sich nicht wieder irgendwo neu formieren können.

<Sabine Brandi befragt Paul Elmar Jöris zur bereits gegründeten mutmaßlichen Nachfolgepartei "Die Rechte" und verabschiedet die Anruferin>

Im DLF hat man noch eingegriffen und geklärt, dass Parteien in der Bundesrepublik nicht zugelassen werden (das werden sie nur zu Wahlen, nach Kriterien, die nichts mit ihren Zielen zu tun haben). Mit dieser seltsamen Auffassung ist die Anruferin jedoch nicht allein. Hoffen wir, dass sich eine wirklich brauchbare Partei nicht nur deshalb nicht gegründet hat, weil sie keine Chance auf Zulassung durch die Etablierten sah.

Die DKP als KPD verboten? Nein, das war so nicht. Aus der verbotenen KPD wurde die ausschliesslich an sich selbst dahinsiechende DKP. Auch war die KPD nicht die einzige Partei, die verboten wurde. Ihr ging die SRP voraus, eine Altnazipartei, und natürlich, gleich 1945, die NSDAP selbst.

In allen Fällen wurde das Parteivermögen eingezogen. Das tat weh, so, wie es die Anruferin heute bei der NPD sehen will. Ich stimme ihr zu. Heute ginge es allerdings eher um die Wahlkampfkostenerstattung. Greifbares Vermögen häuft keine Partei an, wenn sie schlau ist. Höchstens in der Schweiz und in Liechtenstein.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Jäger ist den Tränen der Wut nahe, wenn er an das viele Geld denkt, das die NPD aus der Staatskasse erhält. Es sind Krokodilstränen. Die Lösung wäre so einfach: keine staatliche Parteienfinanzierung mehr. Das kann er natürlich nicht wollen, und so muss ein Verbot her, um den Sumpf trockenzulegen, den man aus Eigeninteresse erst großzügig bewässert hat.

Lasst die Bürger direkt aus dem eigenen Säckel fördern, was nach unserer Verfassung nicht mehr tun soll, als an ihrer Willensbildung mitzuwirken. Nehmt das Grundgesetz endlich ernst, macht eine wirkliche Demokratie aus unserem Land, dann muss niemand mehr Karlsruhe als eine Lotteriegesellschaft ansehen.

Und sagt der Anruferin bitte, dass sie seit der glücklichen Entlassung ihres Vaters nicht weiter nur Untertanin hätte sein sollen, die - zwiespältig wie Menschen sind - gleichzeitig der KPD nachtrauert.

Neues NPD-Verbotsverfahren? Diese Frage konnten Anrufer heute morgen auf WDR5 mit Moderatorin Sabine Brandi und Studiogast Paul Elmar Jöris diskutieren.

Bereits gestern lief eine hörenswerte Expertendiskussion im DLF: Beweislast des Staates - Zum NPD-Verbotsverfahren

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Geschrieben von

UnwiseNomad

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