Scheich Muhammad Hassan Abu-Tir hat etwas, nach dem sich jeder Politiker sehnt: den unmittelbaren Wiedererkennungseffekt. Sein langer mit Henna gefärbter Bart in leuchtendem Rot-Orange erregt wirklich Aufsehen. Tatsächlich ist es ein religiöses Symbol: Der Prophet pflegte sich in der gleichen Weise seinen Bart zu färben. Scheich Muhammad ist in Israel bekannter als jeder andere Hamasführer. In der populärsten TV-Satireshow Ein wunderbares Land wird er bereits von einem berühmten Komiker verkörpert, dem es durch die Imitation seines Stils, seiner Körpersprache und seines Lächelns gelingt, ihn in unsere Wohnzimmer zu bringen. Für viele Israelis hat diese Imitation den Scheich fast zu einer liebenswürdigen Person werden lassen - auch wenn er davon gar nicht erbaut ist.
Etwas Ähnliches war vor Jahren schon mit Yassir Arafat geschehen, eine ihn darstellende TV-Marionette zeigte ihn auf freundliche Weise als komische Figur - völlig anders als das dämonisierte Bild, das die offizielle israelische Propaganda von ihm zu zeichnen sich bemühte.
In der Vorwoche nun kam Abu-Tir aus einem viel gravierenderen Grund in die Medien. Als ich ihn in seinem Hause traf, schwebte eine unheilvolle Drohung über ihm: die Ausweisung. Innenminister Ronnie Bar-On ließ ihn und drei weitere Hamas-Abgeordnete des palästinensischen Parlamentes wissen, sie müssten sich innerhalb eines Monats entscheiden, entweder ihr Mandat aufzugeben oder auf den Status "Bewohner mit dauerhaftem Wohnrecht" in Jerusalem zu verzichten und einer Vertreibung in die besetzte Westbank entgegen zu sehen.
Wie konnte so etwas geschehen?
Nach dem Sechs-Tage-Krieg vom Juni 1967, als sich die israelische Regierung beeilte, Ost-Jerusalem zu annektieren, zog es neue Stadtgrenzen, viel weiter als es die Quartiers von Jerusalem eigentlich zuließen. Es war die Absicht, ein Maximum an Land mit einem Minimum an Palästinensern zu besitzen. Aus diesem Grunde gleicht Jerusalem heute auf dem Stadtplan einem prähistorischen Monster oder einem Wahlbezirk in den USA, dessen Grenzen in manipulativer Absicht zugeschnitten wurden.
Als diese Art von Annexion vollzogen war, erhob sich natürlich die Frage nach dem Schicksal der Einwohner. Wenn es möglich gewesen wäre, sie zu vertreiben, hätte man dies sicher getan, nur wäre dies unter den damaligen Umständen international kaum zu rechtfertigen gewesen. Andererseits schien es das Natürlichste der Welt, den Annektierten die israelische Staatsbürgerschaft zu verleihen, wie es 1949 mit den Bewohnern arabischer Dörfer geschah, die nicht von Israels Armee erobert worden waren, sondern vom jordanischen König Abdallah I. beim Waffenstillstand mit Israel übergeben wurden.
1967 freilich schreckte die israelische Regierung davor zurück, einen weiteren großen Block von Palästinensern aufzunehmen, der den ohnehin schon großen Anteil arabischer Bürger Israels (etwa ein Fünftel) aufgestockt hätte. Also fand man einen trickreichen Weg: Den Palästinensern Ost-Jerusalems wurde der Sonderstatus "Einwohner mit dauerhaftem Wohnrecht" in Israel verliehen, ansonsten blieben sie weiterhin Bürger Jordaniens, konnten nicht an den israelischen Wahlen teilnehmen, erfreuten sich dafür aber anderer Privilegien, indem sie zum Beispiel ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an den israelischen Staat zahlen durften.
Die damalige Regierung wusste genau, die Araber würden Schwierigkeiten haben, sich dagegen zu wehren. Hätten sie die israelische Staatsbürgerschaft verlangt, wäre das einer Anerkennung der israelischen Herrschaft über Ost-Jerusalem gleichgekommen - was bis jetzt kein Staat der Welt getan hat.
Aus israelischer Sicht gab es überdies noch ein anderes Motiv, den "annektierten" Arabern die Staatsbürgerschaft zu verweigern: Im Krieg von 1948 musste die gesamte arabische Bevölkerung West-Jerusalems in den Osten der Stadt fliehen und all ihren Besitz hinter sich lassen, inklusive lukrativer Häuser im Stadtteil Talbiyeh und etlicher Grundstücke, auf denen heute unter anderem die Knesset, der Amtssitz des Ministerpräsidenten, die Hebräische Universität und das Israel-Museum stehen. Wäre den jetzt in Ost-Jerusalem lebenden ursprünglichen Besitzern dieser Immobilien, die Staatsbürgerschaft gewährt worden, hätten diese ihr Eigentum zurückfordern können. Es war daher sicherer, ihnen nur "ein dauerhaftes Wohnrecht" zu geben.
Einer der Unterschiede zwischen einem "Bürger" und jemandem "mit dauerhaftem Wohnrecht" ist der, dass es fast unmöglich ist, das Bürgerrecht ungültig zu machen - doch es ist ziemlich einfach, den Status des "dauerhaften Wohnrechts" zu annullieren. Der Minister des Inneren ist ermächtigt, dies zu tun - eine einfache Entscheidung. Das Opfer kann natürlich beim Obersten Gerichtshof Israels dagegen klagen - die Chancen, Erfolg zu haben, sind gering.
Die Aufforderung von Innenminister Ronnie Bar-On an Scheich Muhammad Hassan Abu-Tir ist auf jeden Fall kein gutes Omen, sie stellt eine Gefahr für die 250.000 Palästinenser Ost-Jerusalems dar, denen wie dem Scheich ihr Status als "Bewohner mit dauerhaftem Wohnrecht" entzogen werden könnte - unter dem einen oder anderen Sicherheitsvorwand. Und in Israel kann Sicherheit fast alles rechtfertigen.
Freilich verletzt ein solches Vorgehen das Völkerrecht, wonach die Bewohner eines besetzten Gebietes (wie Ost-Jerusalem) "geschützte Personen" sind, die nicht aus ihren Häusern vertrieben werden dürfen. Es verletzt auch das Oslo-Abkommen, das besagt, dass über den Status von Jerusalem bei den Abschlussverhandlungen entschieden wird - doch die haben noch nicht einmal begonnen. Der Oslo-Vertrag gewährt den palästinensischen Bewohnern von Jerusalem das Recht, zu wählen und für das palästinensische Parlament gewählt zu werden - genau deshalb ist Abu-Tir als ihr Abgeordneter nominiert worden.
Die Forderung, er solle verzichten oder vertrieben werden, stellt nichts anderes als eine grobe Verletzung eines Abkommens dar - verschuldet von der selben Regierung Olmert, die verlangt, Hamas solle alle Abkommen mit Israel einhalten. Es scheint da für den Zynismus kaum Grenzen zu geben.
Lohnt ein Vergleich?
Ronnie Bar-On wurde in Tel Aviv zwei Monate nach der offiziellen Gründung des Staates Israel geboren. Ich bin mir nicht sicher, ob seine Familie ein oder zwei Generationen früher nach Palästina kam. Er war immer ein Anhänger der Rechten und gefürchtet ob seiner Grobheit. In der Knesset und bei vielen seiner Auftritte in TV-Talkshows bedient er sich der Rhetorik eines Hooligans. Bekannt wurde er hauptsächlich durch einen Skandal, der seinen Namen trägt.
Als die Stelle des Generalstaatsanwaltes, ein sehr mächtiges Amt in Israel, frei wurde, ernannte der damalige Premierminister Netanyahu den aufstrebenden Bar-On zum Nachfolger. Auf einmal kamen Gerüchte auf, die behaupteten, dass dies in geheimem Einverständnis mit Shass-Führer Ariyeh Deri geschehen sei, der gerade auf sein Gerichtsverfahren wartete und am Ende ins Gefängnis wanderte. Ein öffentlicher Sturm brach los, und Netanyahu war gezwungen, ihn nach wenigen Tagen im Amt wieder abzuberufen. Als Politiker gibt Bar-On den perfekten Opportunisten. Seine rechten Ansichten hinderten ihn nicht daran, auf das Trittbrett bei Ariel Sharon zu springen, als dieser die Kadima-Partei aufbaute. Dank dieses Sprungs ist er nun Innenminister.
Abu-Tir wurde 1951 als Sohn einer Familie geboren, die tief im Lande verwurzelt ist. Er war zu einer Haftstrafe auf Lebenszeit verurteilt worden und verbrachte (mit Unterbrechungen) 25 Jahre im Gefängniszellen - fast sein halbes Leben lang. Zuerst war er ein Anhänger der Fatah, im Gefängnis aber wurde er ein frommer Muslim und schloss sich Hamas an.
Er wird von den Menschen seiner Umgebung bewundert, mit ihm lässt sich problemlos ein Gespräch führen, er spricht perfekt hebräisch. Ich traf ihn zum ersten Mal bei einer stürmischen Demonstration in A-Ram im Tränengasnebel. Wir waren uns einig, dass es besser sei, sich unter ruhigeren Umständen zu sehen. So besuchte ich ihn vor ein paar Tagen in seiner Wohnung und bat ihn bei dieser Gelegenheit herauszufinden, ob die Zeit schon reif sei für eine Begegnung mit israelischen Friedensgruppen und der Hamas-Führung.
Für mich weckte dies Erinnerungen, denn vor 32 Jahren knüpfte ich erste Kontakte mit den Abgesandten Yassir Arafats, der damals als Erz-Verbrecher galt, als Führer einer Terrororganisation, deren Charta zur Auslöschung Israels aufrief. Diese Kontakte führten schließlich 1982 zu meinem Treffen mit Arafat im belagerten Beirut, seinem ersten Treffen mit einem Israeli. Aber der Kreis erweiterte sich bald und bereitete auf beiden Seiten den Boden für das Oslo-Abkommen und die Zwei-Staatenlösung.
Ich glaube, es ist nun die Aufgabe der israelischen Friedensgruppen, dasselbe noch einmal zu tun: die erste Brücke zwischen Israelis und Hamas zu schlagen und den Weg zu einem Dialog zwischen der Regierung Israels und der Regierung Palästinas zu ebnen. Übrigens, diejenigen die so hartnäckig von der "Hamas-Regierung" sprechen, sollten logischerweise auch den Ausdruck "Kadima-Regierung" verwenden.
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs/Christoph Glanz
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.